Dr. Lale Akgün

Frau Dr. Akgün, können Sie uns ein wenig von sich erzählen? Sind Sie in Deutschland aufgewachsen? 1962 bin ich mit 9 Jahren nach Deutschland gekommen und bin hier aufgewachsen. Nach dem Abitur habe ich Medizin und Psychologie studiert. 1981 trat ich direkt nach dem Ende des Studiums in den Dienst der Stadtverwaltung Köln. Ich war dort bis 1997 in der Jugendhilfe tätig. In der Zeit von 1992 bis 1997 war ich stellvertretende Leiterin der Familienberatung. Ich bin verheiratet und Mutter einer 12-jährigen Tochter. Seit Februar 1997 leite ich das dem nordrhein-westfälischen Sozialministerium unterstellte Landeszentrum für Zuwanderung (LzZ), das auch unter meiner Leitung aufgebaut wurde. Das LzZ ist eine bundesweit einmalige Einrichtung. Es berät die Landesregierung zu Fragen aus dem Bereich Migration/Integration und koordiniert die Aktivitäten zum Thema Zuwanderung auf Landesebene. Zum Thema „Migration und Integration“ habe ich selbst eine Reihe von wissenschaftlichen Aufsätzen und Buchbeiträgen publiziert.

Seit wann sind Sie politisch tätig? 1981 habe ich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen, nicht zuletzt weil ich aktiv am politischen Geschehen teilhaben wollte.Ich bin 1982 in die SPD eingetreten. Ich stamme aus einem sozialdemokratischen Elternhaus und wollte meiner politischen Überzeugung auch eine politische Heimat geben. Inhaltlich habe ich mich -auch bedingt durch meinen Beruf- immer ganz besonders für Sozial- und Gesundheitspolitik engagiert. Später kamen Migrations- und Integrationfragen hinzu. Seit dem 17. März dieses Jahres gehöre ich dem Vorstand des SPD-Unterbezirks Köln an.

Was ist Ihr politisches Verständnis? Ich kann einige Grundsätze zu meiner Motivation, mich jetzt in die aktive Politik zu begeben und mich dort zu engagieren aufzählen. Politik kann viele Seiten und Facetten haben, so gesehen habe ich mich schon immer politisch betätigt, wenn man Politik als „gesellschaftliches und soziales Engagement mit einer bestimmten Weltanschauung (oder Ideologie) definieren will. Politik beinhaltet auch den Willen zur gesellschaftlichen Gestaltung, und den Willen zur Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung. All dies war und ist für mich persönliche und gesellschaftliche Verpflichtung. Allerdings bin ich auch der Überzeugung, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ein Mandat zu übernehmen.Von meiner politischen Weltanschauung her bin ich selbstverständlich der Sozialdemokratie verpflichtet, von der philosophischen der Aufklärung. Willy Brandt ist mein politisches Vorbild, Kant und Voltaire sind die beiden Philosophen, deren Werk für mich immer eine Leitlinie dargestellt haben.

Die meisten türkischstämmigen Kandidaten werben mit migrationsspezifischen Themen. Gibt es jenseits davon keine Themen, die ein Türke besetzen kann? Ich stehe für die Themen, für die ich mich beruflich spezialisiert habe, das sind –neben der Zuwanderungspolitik – die Themen Familienpolitik, Frauenpolitik und Gesundheitspolitik.Ich habe mir für mein aktives politisches Handeln das Motto: „neue Perspektiven und Solidarität“ ausgesucht. „Neue Perspektiven“ zeichnen sich für mich vor allem durch Mut aus; den Mut, Politik auch jenseits der wohlbekannten Wege zu gestalten, neue Sichtweisen einzubringen, und diese auch umzusetzen. Politik darf nicht hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen herhinken.Solidarität ist ein sozialdemokratischer Grundwert, der ich immer verpflichtet war und immer verpflichtet sein werde.

Chancengleichheit für alle zu schaffen und sozial und gesellschaftlich benachteiligten Gruppen die Möglichkeit anzubieten, sich im Bildungs- und Ausbildungsbereich erfolgreich zu behaupten und auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Solidarität heißt aber auch Empowerment, d.h. die Menschen zu stärken, damit sie ihre Chancen ergreifen können. Ich bin überzeugt davon, dass es uns in den nächsten Jahren gelingen wird, die Wünsche in gesellschaftliche Realität umzusetzen.

Wie schätzen Sie denn die politische Situation für Ausländer ein? Wollen die Deutschen nicht dicht machen und lieber Schuztschilder gegen die „durchrasste Gesellschaft“ aufstellen? Ich erlebe bei den Wahlkampfveranstaltungen auf der Strasse sehr viel Zustimmung, das macht mich froh und zuversichtlich. Ich hoffe, dass ich meinen Wahlkreis direkt gewinnen werde; das hätte Symbolwert als Beweis für Toleranz und für die Öffnung unserer Gesellschaft. Wir dürfen uns von den wenigen Ewiggestrigen nicht unseren Glauben an den gesellschaftlichen Fortschritt nehmen lassen. Deutschland ist ein Einwanderungsland – dies ist kein politisches Bekenntnis, sondern ein schlichtes Faktum. Neu ist, dass in Zukunft verstärkt eine andere Art von Zuwanderung stattfinden wird, nämlich die Hochqualifizierter. Die Anstrengungen für staatliche Integrationsangebote und Kurse für Neuzuwanderer müssen verstärkt werden, für die bereits hier lebenden Migrantinnen und Migranten muss es Anreize zur Teilnahme geben, der Bund muss sich an den Kosten hierfür beteiligen. Als Vorbild dient mir hierbei das seit Jahren erfolgreiche Integrationsmodell der Niederlande. In dieser Legislaturperiode ist es der Bundesregierung unter Gerhard Schröder gelungen, die Reform der Sozialpolitik zu beginnen und die Verkrustungen in der Ausländerpolitik aufzubrechen und neue Wege zu beschreiten.

Sie kandidieren für den deutschen Bundestag. Sie sind Deutsche türkischer Abstammung. Warum sollte ein Deutscher Ihnen seine Stimme geben? Diese Frage verstehe ich nicht. Ich bin genauso Staatsbürgerin dieses Landes wie alle anderen Bürger auch, und ich kandidiere für die sozialdemokratische Partei Deutschlands;d.h. ich stehe für die Werte dieser Partei. Wo sehen Sie ein Problem? In Berlin möchte ich die politischen Interessen der Kölnerinnen und Kölner vertreten, nach Köln sozialdemokratische Bundespolitik transferieren und deren Früchte für die hiesigen Bürgerinnen und Bürger spürbar werden lassen.In den von mir anvisierten Politikbereichen möchte ich nach dem Grundsatz: „global denken, lokal handeln“, die Handlungsfelder auf der Bundesebene immer auch aus dem Blickwinkel der Bürger vor Ort betrachten und die Lösungsmöglichkeiten danach suchen. Vertreterin der Menschen in Berlin und gleichzeitig Multiplikatorin gesellschaftlicher Aktivitäten im Wahlkreis zu sein – dies ist die Herausforderung, der ich mich stellen möchte.

Seit Cem Özdemir zurückgetreten ist, fehlt es an politischen Vertretern der türkischen Community in Deutschland. Verstehen Sie sich als Nachfolge-Vorzeige-Türkin? Diese Frage wird mir oft gestellt. Ich stehe zu meiner Biografie und werde Politik machen. Ich hoffe, dass diese Politik vorbildlich und vorzeigbar wird, weniger meine Person.

Was halten Sie denn von Migranten, die für die CDU werben? Ich freue mich, wenn sich Migranten in der Politik engagieren, in welcher Partei sie das machen, hängt von ihren politischen Überzeugungen ab.

Was würden Sie tun, wenn Sie Kanzlerin von Deutschland wären? Eine sehr hypothetische Frage. Ich glaube, dass wir im Moment mit einem Kanzler Schröder sehr gut fahren und eine sehr gute Politik machen. Wie heisst es: Basbakanimiz Schröder!

Vielen Dank für dieses Gespräch!

Interview Ufuk Senay und Yildiz Turak

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