Suat Bahceci

Adriana Lima

Alles begann damit, dass Suat eines Abends in einer Diskothek angesprochen wurde, ob er nicht Lust habe an der Wahl zum schönsten Schwulen Deutschlands teilzunehmen. Suat überlegte es sich nicht lange, füllte noch vor Ort ein Formular aus – und wenige Wochen später befand er sich auf dem Siegertreppchen dieser Wahl. Damit wurde der Frankfurter Türke offiziell zum schönsten Schwulen Deutschlands gewählt. Heute hat der 19-jährige Abiturient einen vollen Terminkalender. In der Woche drückt er die Schulbank und ab Freitagabend heißt es Auftritte für die "Mister Gay Germany"- Corporation wahrzunehmen. Vaybee!-Redakteurin Yildiz Turak sprach mit einem mutigen jungen Mann über seine Erfahrungen als türkischer Schwuler, die Unterschiede in der deutschen und türkischen Schwulenszene und seine Liebe zur Türkei.

Suat, du bist Deutschlands schönster Schwuler. Woher kam die Idee, an diesem Contest teilzunehmen, und wie hast du Jury und Publikum für dich gewinnen können? Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, an einem solchen Contest teilzunehmen. Doch das Schicksal meinte es gut mit mir. Ich saß in einer Diskothek in Frankfurt und war eigentlich kurz davor zu gehen, weil ich absolut keine Lust mehr hatte (so sah ich an diesem Abend wahrscheinlich auch aus). Plötzlich kam ein Mann auf mich zu und sprach mich an, ob ich nicht Lust hätte, an der Wahl teilzunehmen. Ohne groß einen Gedanken daran zu verschwenden sagte ich ja. Wir unterhielten uns ein wenig, und ich füllte die Formulare aus. Erst danach fing ich an, mir über diesen Schritt ernsthafte Gedanken zu machen.

Nach meinem Ja bin ich an diese ganze Sache sehr professionell rangegangen. Wenn ich schon etwas anfange, dann richtig. Ich habe zwei Wochen vorher eine Choreographie mit zwei Tänzerinnen einstudiert, mir einen Visagisten besorgt und mich auf die Wahl sehr gut vorbereitet. Nicht aus dem Grund, weil ich gewinnen wollte, nein, ich hatte eher Angst, es zu schaffen, denn die Auswirkungen, die Konsequenzen, konnte ich damals noch gar nicht abschätzen. Aber ich dachte mir, wenn ich auf dieser Bühne stehen sollte, dann wollte ich mit 100-prozentiger Sicherheit mein Bestes geben. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich auch genau das ausgestrahlt habe und es sowohl das Publikum als auch die Jury gesehen haben. Das war bestimmt auch wichtiger als mein Äußeres.

Für einen türkischen Schwulen ist das Thema "Coming out" keine Selbstverständlichkeit. In der Türkei, wo schwule Künstler keine Seltenheit sind, belässt man es lieber bei Andeutungen als öffentlichen Bekenntnissen. Hast du keine Angst vor den Folgen der Wahl für dein zukünftiges Leben? Nein, absolut nicht. Ganz im Gegenteil. Durch diesen Titel konnte ich für mich selbst herausfinden, was für eine Energie eigentlich in mir steckt und wie ich diese vorteilhaft für meine Persönlichkeitsentwicklung nutzen kann. Ohne diese Wahl wären diese Seiten nie zum Vorschein gekommen. Durch das Lügen, Versteckspielen und Vorsichtigsein musste ich immer leise sein. Natürlich, ich war nie ein Mauerblümchen, absolut nicht, doch ich sehe inzwischen, dass sich die Menschen für mich interessieren. Nicht für den "Mister Gay", sondern für Suat. Das zeigt mir, dass viele Menschen großen Respekt davor haben, welche Hürden ich überwinden musste. All das gibt mir Kraft, um meinen Erfolg auch in Zukunft weiter zu führen.

Wie fiel die Reaktion deiner Familie aus, als du ihnen deine Homosexualität gebeichtet hast? In der Presse war zu lesen, dass du aus einer liberalen Familie stammst. Darfst du einen Freund mit nach Hause bringen? Anfangs dachte ich, dass sie es gut verkraftet haben, doch ist dem nicht so, leider. Meine Mutter und erstaunlicher Weise meine Schwester akzeptieren und respektieren das auch bis heute nicht. Klar, bei meiner Mutter verstehe ich es, sie kommt aus einer anderen Generation. Sie ist vielleicht eine sehr offne Frau, doch die Vorstellung, dass ihr eigener Sohn schwul ist, ist sicherlich nicht leicht. Vielleicht braucht sie einfach noch Zeit. Bei meiner Schwester verstehe ich es noch immer nicht, was los ist. Sie beschwert sich nur darüber, das ich permanent unterwegs bin, nie zu Hause, immer in einer anderen Stadt. Doch es ist mein Leben, und ich gebe meiner Familie so viel, wie es nur geht. Ich genieße diese Zeit mit vollen Zügen und werde auch die kommenden Hindernisse niederreißen können, egal, was kommen mag. Einen Freund nach Hause bringen? Dieser Gedanke ist noch sehr weit weg. Ich gebe mich schon damit zufrieden, dass wenn sie erst mal das Schwulsein akzeptieren, alles andere kommt von selber.

Welche Erfahrungen hast du als türkischstämmiger "Mr.Gay Germany" gemacht? Ist deine Herkunft eher von Vorteil oder von Nachteil? Bis auf meine Mutter und meine Schwester habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Dass ich "Mister Gay" geworden bin, interessiert die Leute schon an sich. Doch dass ich als Türke den Titel des "Mister Gay" habe, tut es noch viel mehr. Ich glaube, das Rezept des Erfolges steckt in dieser Kombination. Eine der schönsten Erfahrungen, die ich noch in Gedanken halte, ist zum Beispiel das Feedback an meiner Schule. Dort wurde das sehr gut aufgenommen, dort haben die Menschen gezeigt, dass sie auf mich stolz sind. Aber auch, dass ältere Türken auf mich zugekommen sind (einige im Alter meines Opas) und mir gratuliert haben, mich ermutigt haben, weiter zu machen. Das alles hat mir viel Kraft gegeben.

Wann hast du gemerkt, dass Mädchen nichts für dich sind? Wer sagt, dass ich keine Neigungen gegenüber Frauen habe?Ich liebe die Menschen und nicht das Geschlecht. Natürlich ist es so, dass ich mich als Schwuler sehe, doch kann ich nicht ausschließen, das morgen meine Traumfrau mir über den Weg läuft und ich ein Kind von ihr haben möchte. Schicksal, mal sehen, was das Leben mit sich bringt. Gott allein weiß, was mit mir geschieht. Egal, wie sehr ich mich dagegen wehren sollte oder versuche, es umzulenken. Wenn es passieren soll, dann passiert es auch.

Warum reagieren vor allem heterosexuelle türkische Männer mit einer geradezu hysterischen Ablehnung auf schwule Landsleute? Die Frage würde ich sehr gerne meinen Landsleuten stellen. Nach dem ersten Artikel, den ihr gebracht habt, habe ich diese ganzen Diskussionen natürlich mitverfolgt. Bei denjenigen, die es positiv auffassen, sehe ich, dass wir Türken es weit gebracht haben, bei den anderen jedoch merke ich, dass wir noch einen sehr weiten Weg vor uns haben … so viel auch zum Thema "Beitritt der Türkei in die EU". Wie sollen wir es, bitte, mit solch einer Einstellung des größten Teils unserer Gesellschaft so weit schaffen? Als Türke spreche ich für den Beitritt der Türkei in die EU, als türkischer Schwuler bin ich dagegen, weil ich sehe, das wir in der Hinsicht noch lange nicht so weit sind. Denn auch Rechte für Schwule und Lesben sind ein Kriterium, um in die EU aufgenommen zu werden. Hier sollten wir vielleicht mal langsam anfangen, uns Gedanken zu machen.

Du bist gläubiger Moslem und hast auch den Koran gelesen. Für viele Moslems stellt der Koran die Grundlage für die Ablehnung der Homosexualität dar. So wird Homosexualität wie Alkoholismus, Ehebruch oder Apostasie laut traditioneller Koranauslegung als gesellschaftszersetzend angesehen. Wie bringst du deine Vorstellung vom Glauben und deine sexuelle Identität unter einen Hut? Unser Glaube sagt nicht, dass, wenn wir zweimal eine Sünde begangen haben und zweimal eine gute Tat, es dann ausgeglichen ist, wir "clean" sind, nein. Wir müssen für das büßen, was wir angestellt haben, und werden für das belohnt, was wir als gute Tat vollbracht haben. Kein Mensch kann mir sagen, dass ich in die Hölle kommen werde, Gott allein entscheidet das. Ich denke, wir Menschen, gerade Außenstehende, sollten sich darüber keine Gedanken machen. Dafür sind wir nicht geschaffen, jeder von uns sollte sich auf sein eigenes Leben konzentrieren. Wenn ich später bei Gott leiden soll, dann soll es so sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Gottes Wille ist, dass ich meine Gefühle unterdrücke und mein Leben lang unzufrieden bin mit dem Leben, das er mir selber gegeben hat.

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