Ein Herz für Deutschland
2002 war alles noch so einfach. Die Türkei machte bei der Fußball-WM mit, und ein ganzes Volk war glücklich. Obwohl Korea und Japan tausende Kilometer vom Land der Dichter und Denker entfernt liegt, wussten die hierzulande lebenden Türken, was es heißt, auf deutschen Straßen Orgien der Freude zu feiern.
2006 sieht alles ein bisschen anders aus. Die Türkei bleibt zuhause. Und ein fußballverrücktes Land, das seit 2002 gewohnt ist, sich auf der Siegerseite zu wähnen, steht düpiert da. Dass selbst die zur späten Fußballnation erwachten Griechen den Einzug verpasst haben, vermochte zwar dem einen oder anderen von Istanbul bis Berlin Kreuzberg einen Moment der Schadenfreude bereitet haben, aber die "Schmach", nicht an einem so bedeutenden Turnier teilnehmen zu dürfen, konnte dies nicht lindern.
Wohin nun aber mit der türkischen Impulsivität? Was macht der heißblütige Türke, während alle anderen um ihn herum feiern, lachen, trauern oder weinen? Wem drücken die 2,7 Millionen Türken, jetzt wo die WM im bedingt eigenen Land stattfindet, die Daumen? Sind es wirklich Klinsis Jungs, wie der Integrationsforscher Faruk Sen erst kürzlich behauptete? Schreien sie tatsächlich ein enthusiastisches "Goooooooool, Goooooooooool", wenn Poldi das 3:0 gegen die Ecuadorianer schießt. Haben sie Tränen in den Augen, wenn Klose das Leder ins Tor knallt. Denken sie dann "Allah, wir sind die Besten"?
Oder sind die Zuwanderer mit türkischem Migrationshintergrund, wie es im neudeutschen Fachjargon korrekt heißt, etwa Ghanafans, weil sie ein Herz für Außenseiter haben?
Nein, der impulsive Türke ist dieser Tage ein bisschen befangen. Zwar mag der eine oder andere nach langem Hin- und Her das Deutschland-Fähnchen an sein Auto klemmen, weil auch ihn die Begeisterungswelle für das Klinsmann-Team erfasst hat, aber so richtig patriotische Gefühle ohne Wenn und Aber wollen nicht aufsteigen.
"Wer in Deutschland geboren ist, in Deutschland zur Schule geht, in Deutschland Harz IV empfängt und in Deutschland kriminell wird, muss zu Deutschland halten", mag der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber den identifikationsunwilligen Türken entgegenhalten.
Warum eigentlich nicht? – Vielleicht ist es in einigen Jahren so weit, wenn im DFB-Team wenigstens ein einziger Türkischstämmiger mitkickt. Ein identitätsstiftender türkischer Poldi, Asamoah, Neuville, Klose oder Odonkor. Jemand, der in einem ein kleines rotweißes Lichtlein anzündet. Nichtsdestotrotz die Mehrheit der Deutschland-Türken wünscht allen Teilnehmern der WM 2006 alles Gute. Möge Allah, Klinsmann und seine Jungs beschützen.
Redaktion Vaybee!