Türkische LGS-Aufnahmeprüfung: Rekordzahl mit voller Punktzahl sorgt für Kritik

Türkische LGS-Aufnahmeprüfung
AA - Milliyet

Die türkische LGS-Aufnahmeprüfung (Liselere Geçiş Sistemi) verzeichnete in diesem Jahr eine Rekordzahl von 719 Schülerinnen und Schülern, die die volle Punktzahl von 500 erreichten. Im Vergleich zum Vorjahr, in dem 352 Schüler dieses Ergebnis erzielten, hat sich die Zahl damit mehr als verdoppelt – und erreicht den höchsten Stand seit Einführung des Systems im Jahr 2018. Insgesamt nahmen am 15. Juni 2025 über 963.000 Schüler an der Prüfung teil.

Dieser Anstieg hat landesweit neue Diskussionen über die Sicherheit und Fairness der Prüfung ausgelöst. Während das Bildungsministerium (MEB) die ordnungsgemäße Durchführung betont, weisen Bildungsgewerkschaften, Elternverbände und Oppositionsparteien auf mögliche Unregelmäßigkeiten hin. So sollen während des laufenden Prüfungszeitraums Hefte digital verbreitet und Inhalte bereits ab 11:57 Uhr in sozialen Medien geteilt worden sein – obwohl die Prüfung offiziell um 10:45 Uhr endete.

Vorwürfe und Reaktionen auf die türkische LGS-Aufnahmeprüfung

Das Bildungsministerium erklärte, die Prüfung sei „transparent und überprüfbar“ verlaufen und sämtliche Aufgaben seien durch Fachgremien erstellt worden. Die in Umlauf befindlichen Behauptungen wies das Ministerium als unbegründet zurück und kündigte juristische Schritte gegen jene an, die die Diskussionen öffentlich machten.

Minister Yusuf Tekin äußerte sich scharf zu den Vorwürfen und wies diese mit deutlicher Kritik an der Opposition zurück. Die frühzeitige Veröffentlichung von Prüfungsinhalten bestätigte er in einem Interview, betonte jedoch, dies habe die Prüfungssicherheit nicht gefährdet. Gegen die verantwortliche Person seien Ermittlungen eingeleitet worden.

Bildungsgewerkschaften wie Eğitim Sen sowie der Elternverband VELİ-DER zeigten sich dennoch besorgt. Besonders die Konzentration von Schülern mit voller Punktzahl an bestimmten Schulen und Regionen lasse Fragen zur Gleichbehandlung und zur Objektivität des Auswahlverfahrens aufkommen. Zudem kritisierten sie die mangelnde Transparenz hinsichtlich der Prüfungsauswertung und der statistischen Verteilung der Ergebnisse.

Auch Oppositionsparteien wie CHP, DEM Partei und İYİ Partei fordern Aufklärung. In parlamentarischen Anfragen wurde unter anderem nach Verantwortlichkeiten für die Veröffentlichung der Hefte sowie nach dem aktuellen Stand der ministeriellen Untersuchung gefragt. Besonders auffällig sei laut Kritikern die hohe Zahl an Bestleistungen an bestimmten Imam-Hatip-Schulen – ein Umstand, der neue Debatten über Gleichbehandlung und Ressourcenverteilung im Bildungssystem angestoßen hat.

Systemkritik und strukturelle Fragen

Unabhängig von den aktuellen Vorwürfen sehen viele Beobachter strukturelle Probleme im LGS-System. Die Prüfung, die seit 2018 freiwillig ist, entscheidet maßgeblich über den Zugang zu weiterführenden Schulen mit besonderem Profil. Kritiker monieren, dass dadurch ein erheblicher Druck auf die Schülerinnen und Schüler ausgeübt werde und gleichzeitig das öffentliche Bildungssystem geschwächt werde.

Gewerkschaften und Bildungsexperten fordern daher eine grundlegende Reform. Das aktuelle Modell fördere Ungleichheit, begünstige privilegierte Schulen und verlasse pädagogische Grundprinzipien zugunsten eines selektiven Leistungssystems. Vor allem die zunehmende Bedeutung von Privatschulen und die Reduzierung staatlicher Gymnasialplätze verstärkten soziale Ungleichheiten, so die Kritik.

Die Frist für Schulwahlpräferenzen über das Online-Portal e-Okul endet am 24. Juli. Die Ergebnisse der Schulplatzzuweisung sollen am 4. August bekanntgegeben werden. Für viele Familien bleibt dabei die Unsicherheit: Wie fair war die Prüfung – und welche Rolle spielen die Rekordergebnisse bei der Schulvergabe?

Was ist die LGS-Prüfung?

Die LGS (Liselere Geçiş Sistemi) ist eine zentrale Aufnahmeprüfung in der Türkei für Schülerinnen und Schüler im Alter von 13 bis 14 Jahren. Sie entscheidet darüber, wer Zugang zu besonders angesehenen weiterführenden Schulen wie Wissenschaftsgymnasien, Anadolu-Gymnasien oder Imam-Hatip-Schulen erhält. Die Teilnahme ist freiwillig, doch für viele ist ein gutes Ergebnis entscheidend: Wer in der LGS schlecht abschneidet oder nicht teilnimmt, wird automatisch einer wohnortnahen Schule zugewiesen – meist mit geringerem akademischem Ruf. Entsprechend hoch ist der Druck auf Schüler und Familien, gute Leistungen zu erzielen.