Die Erdbebenkatastrophe in der Türkei und ihre wirtschaftlichen Folgen

Erdbebenkatastrophe Wirtschaft Türkei
AA / Hürriyet

Nach Einschätzung von Experten, die die wirtschaftlichen Folgen des Erdbebens bewerten, wird das Wirtschaftswachstum der Türkei 2023 auf 1 Prozent zurückgehen. Befürchtet wird auch ein weiterer Anstieg der Inflation.

Die Diskussionen über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Erdbebenkatastrophe, die die schwersten Verluste in der Geschichte des Landes zur Folge hat, reißen nicht ab. Selbst optimistische Schätzungen gehen von Verlusten in zweistelliger Milliardenhöhe aus, und es wird davon ausgegangen, dass es viele Jahre dauern wird, bis die vom Erdbeben betroffenen Städte wieder zur Normalität zurückkehren.

Nach Angaben des Türkischen Statistikinstituts (TurkStat) beträgt der Anteil der 11 vom Erdbeben betroffenen Provinzen am BIP der Region 9,8 Prozent. Die Region hat eine Bevölkerung von rund 14 Millionen Menschen. Die Wirtschaft im Katastrophengebiet ist geprägt von Landwirtschaft und Viehzucht sowie industrieller Produktion, insbesondere von Textilien, Eisen und Stahl sowie Energie.

So entfallen allein auf Kahramanmaraş 36 Prozent der türkischen Garnproduktion, während in Gaziantep, der Exportbasis für die Märkte des Nahen Ostens, 60 Prozent der weltweiten Teppichproduktion aus einem Stück hergestellt werden. Ein Drittel der gesamten türkischen Zitrusfrüchteproduktion befindet sich in Adana. In Hatay befindet sich das größte Eisen- und Stahlwerk der Türkei und 21 Prozent der Zitrusfrüchteproduktion. Şanlıurfa, das sich in den letzten Jahren in den Bereichen Tourismus und Gastronomie einen Namen gemacht hat, ist führend in der Produktion von Getreide, Baumwolle und Linsen.

Wirtschaftliche Folgen dieser Katarstrophe nicht vergleichbar mit Van oder Marmara

Das in Washington ansässige Middle East Institute, das Berichte und Analysen über die Länder des Nahen Ostens veröffentlicht, hat kürzlich einen Bericht herausgegeben, in dem es heißt, dass nach dem Erdbeben immer mehr Menschen erwarten, dass die Türkei in naher Zukunft eine neue Währungskrise erleben wird. Der Bericht, der von Prof. Dr. M. Murat Kubilay verfasst wurde, weist darauf hin, dass die türkische Wirtschaft nach wie vor sehr anfällig für externe finanzielle Schocks ist und dass sich diese Situation negativ auf die Erwartungen im Inland auswirkt.

Dr. M. Murat Kubilay betont in seinem Bericht, dass ein Vergleich der Auswirkungen des Erdbebens von Kahramanmaraş auf die Wirtschaft mit den Erdbeben von Van im Jahr 2011 oder von Marmara im Jahr 1999 nicht richtig sei.

Das Erdbeben von Van habe sich in einem sehr begrenzten Gebiet ereignet. Das Marmara-Beben hingegen habe sich im Produktions- und Finanzzentrum der Türkei ereignet. Das Erdbeben von Kahramanmaraş liege in seiner Dimension dazwischen. Es habe ein riesiges Gebiet getroffen, aber das Finanzsystem funktioniere und die Versorgungskette sei nicht ernsthaft unterbrochen worden. Das Bild sei jedoch noch unklar.

Türkeis Wirtschaftswachstum kann 2023 auf 1 Prozent fallen

Vor dem Erdbeben befand sich die landwirtschaftliche Produktion in der südöstlichen Region in ernsten Schwierigkeiten. Die Dürre einerseits und der Erzeugerpreisindex für landwirtschaftliche Produkte, der im Januar 2023 bei über 142 Prozent lag, deuteten auf eine deutliche Verlangsamung der landwirtschaftlichen Produktion hin. Nach dem Erdbeben besteht in der Region ein Futtermittelproblem. Abgesehen von der Infrastruktur, die die Landwirte verloren haben, sind die Zahlen der durch das Erdbeben verendeten Tiere und der Landwirte, die die Region verlassen haben, noch unklar.

Murat Kubilay zufolge werden die durch das Erdbeben verursachten Infrastrukturschäden zwar 10 Milliarden US-Dollar übersteigen, die eigentlichen negativen Auswirkungen werden jedoch auf die Wachstumsperformance der Türkei zukommen. Kubilay schätzt, dass die türkische Wirtschaft, für die bis 2023 ein Wachstum von 3 bis 3,5 Prozent prognostiziert wird, etwa 2 Prozent dieses Wachstums einbüßen könnte. Grob geschätzt könnte dies für die Türkei einen Verlust an Wachstum in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar bedeuten.