
Muhsin Omurca

Für sein Stück "Skinhead in Istanbul" erhielt Muhsin Omurca 1998 den deutschen Kabarettpreis. Mit seinem aktuellen Soloprogramm "TRäume alptrEUme", das nur so vor Pointen strotzt, tourt er jetzt erfolgreich durch die Landen. Im Vaybee!-Interview gibt Omurca, der als "legitimer" Begründer der Migranten-Comedy in Deutschland gilt, Auskunft darüber, warum die Türkei einen Übervater in Gestalt der EU braucht und wie die Antwort eines Kabarettisten auf die langweilige Frage "Was ist an Ihnen deutsch und was ist türkisch?" ausfallen kann. Das Gespräch führte Vaybee!-Redakteurin Yildiz Turak vor Muhsin Omurcas Aufführung in den Katakomben in Essen.
Herr Omurca, welches Drama muss sich in der Vergangenheit eines Menschen abgespielt haben, damit er heute als Kabarettist auf der Bühne steht? Dass verdankt man der Tatsache, dass man als Teenie keine Beachtung unter den Mädels gefunden hat. Nein, Spaß beiseite. Meine Lehrerin in der Türkei kam eines Tages auf mich zu und sagte: "Omurca, du kannst gut zeichnen. Hast du Karikaturen gezeichnet?" Ich antwortete "Nö". Sie wies mich darauf hin, dass es einen internationalen Wettbewerb für Karikaturisten gebe. Allerdings nur für professionelle Karikaturisten. "Aber du zeichnest gut", sagte sie. Ich war damals 14, habe eine Karikatur gezeichnet und die ist dann in dem Sammelband des Wettbewerbs veröffentlicht worden. Mit diesem Sammelband bin ich Monate lang unter dem Arm herumgelaufen. So rutschte ich unter die Karikaturisten. Ich war das jüngste Mitglied des Karikaturistenverbandes in Istanbul. Ich habe zunächst einmal nur Cartoons gezeichnet und dabei gelernt, wie man die Pointe an den Mann bringt und wie die Pointe ihr Ziel erreichen soll. Von da an ist es ein leichter Schritt zum Kabarett.
Auf Ihrer Homepage ist zu lesen, dass Sie von Dieter Hildebrandt entdeckt worden sind. Wie kam es dazu? 1985 haben Sinasi Dikmen und ich das erste deutsch- und türkischsprachige Kabarett "Knobibonbon" gegründet. Zu der ersten Aufführung in Ulm haben wir Dieter Hildebrandt eingeladen. Er ist gekommen und fragte mich "Wo haben Sie eigentlich die Schauspielerei gelernt?" Als ich sagte, dass ich an dem Abend zum ersten Mal auf der Bühne stand, war seine Begeisterung Hoch Zwei. Er hat uns in seine Sendung "Scheibenwischer" eingeladen. Wir sind mit ihm auch später auf Deutschlandtournee gegangen, und so sind wir mit ihm von Anfang an bekannt geworden.
Sinasi Dikmen und Sie waren in den 80ern die ersten, die erkannten, für welche Lacher das deutsch-türkische Verhältnis sorgen kann. Heute liegt "Ethno-Comedy" voll im Trend. Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Ich finde die Entwicklung wunderbar. Wir haben politisches Kabarett gemacht und wie der Name schon sagt, Kleinkunst betrieben und tatsächlich nur Interessierte angesprochen. Wir haben niemals die Masse erreicht. Bis eben Kaya Yanar kam. Er hat die Massen für diese Themen sensibilisiert, so dass sich heute fast jeder ein bisschen auskennt im Ausländerbereich.
In Ihrem aktuellen Stück nehmen Sie das Verhältnis der Türken zu Europa auf die Schippe. Warum sind wir Türken so erpicht darauf, in die EU aufgenommen zu werden? Es gibt jetzt eine neue Umfrage, die vor zwei Tagen veröffentlicht (6. April 2005) wurde. Laut dieser Umfrage sind nur noch 63 Prozent der Türken für den Beitritt, der Rest ist dagegen. Also ein starker Abwärtstrend. Deshalb können wir nicht davon reden, dass alle Türken erpicht darauf sind, in die EU aufgenommen zu werden. Aber das kann auch nur ein temporärer Trend sein. Ich persönlich bin für den Beitritt. Die Gründe liegen auf der Hand. Die Türkei hat sich vor 80 Jahren zur Demokratie bekannt, auch wenn wir in diesen 80 Jahren die Demokratie nicht erreicht haben – und ich glaube, wenn es nach den Türken ginge, werden wir noch mal 100 Jahre brauchen. Wir Türken brauchen irgendeine Institution z.B. Gott, Ankara, Baba, einen General, einen Pascha, irgendeinen Vorgesetzten, der uns zeigen muss, wo es lang geht. In diesem Fall ist Brüssel unser Vater. Brüssel sagt uns " Du wollen in die EU rein, dann du müssen machen Hausaufgaben!" Wir geben uns Mühe. Weil wir so viele Körbe bekommen, hindert das uns nicht daran, weitere Körbe zu bekommen.
Demnach sind wir ein Volk von Masochisten? Das ist ein gegenseitiges Spiel mit den Europäern. Deshalb ein Sadomaso-Spiel, bei dem beide Seiten auf ihre Kosten kommen.
Integration, ob gescheitert oder gelungen, ist das Thema Ihrer Stücke. Wie gelungen ist Ihre eigene Integration in die deutsche Gesellschaft? (Lacht) Na, ja ich bin hier nicht geblieben (Anmerk. d. Redaktion: Muhsin Omurca hat seinen Wohnsitz von Ulm nach Barcelona verlagert.) Aber genau mit diesem Thema sind wir vor 20 Jahren auf die Bühne gegangen. In diesem Jahr feiert das türkische Kabarett in Deutschland 20-jähriges Jubiläum. Das Thema ist immer aktuell geblieben. Denn niemand weiß, was man unter dem Begriff Integration verstehen soll. Es gibt auch keinen Integrationskatalog, so dass man dem Ausländer sagt "Nimm dir diesen Katalog zur Hand, suche dir ein Bild, einen Charakter aus und werde ein Deutscher." Aber die Krönung meiner Integration war tatsächlich der deutsche Pass. Ich habe auch einen deutschen Pass in der Tasche, aber jeder lacht mich aus, wenn ich ihm sage, "Ich bin Deutscher". Die Deutschen sind uns eine Erklärung schuldig. Was verstehen sie unter diesem Begriff? Ich habe mit Gewerkschaften, Politikern und Lehrern diskutiert. Fazit nach 20 Jahren: Integration ist eine Assimilierung, die es nicht gibt.
Angela Merkel taucht in Ihrem Stück am Rande auf. Wie wäre es für Sie als Kabarettist, wenn Frau Merkel Bundeskanzlerin wird? Nein, bitte nicht so weit fantasieren. Ich kann sie mir nicht vorstellen. Aber wenn Sie Bundeskanzlerin werden würde, hätten alle deutschen Kabarettisten für die nächsten Jahre wahnsinnig viel Stoff. Es würde einen Kabarettboom geben.
Gibt es eine Eigenschaft der Deutschen und der Türken, die für Sie als Kabarettist wie geschaffen ist? Etwas, was Ihnen immer Material bietet? Darüber könnte man Bücher schreiben. Ich mache mir tatsächlich Listen darüber. Was gehört zu den Türken? Muska (Talisman), Beschneidung. Was gehört zu den Eigenschaften der Deutschen? Sich permanent entschuldigen, eine Entschuldigungsinflation. – Für den Türken kommt eine Entschuldigung nicht in Frage. Wenn du ein Kabarettstück schreibst, stellst du beide Kulturen unweigerlich gegeneinander und suchst nach interessanten Seiten. Es gibt Unterschiede, die nicht direkt auffallen. Diese Unterschiede kommen natürlich in meinem Programm vor. Andere Beispiele. Wie raucht ein Türke? Der Türke raucht nicht, er frisst seine Zigarette! Wie läuft ein Türke? Schulter hoch, dann zurück und Kopf nach Vorne – windkanalgerecht.
Zu guter Letzt eine abgedroschene Journalistenfragen, an der kein türkischer Promi in Deutschland vorbeikommt? Was ist an Ihnen deutsch und was ist türkisch? An mir deutsch ist mein Pass, an mir türkisch ist – ich bin beschnitten. Ich werde vielleicht erst ein perfekter Deutscher, wenn ich das fehlende Stück wieder annähen lassen würde.
Herr Omurca, herzlichen Dank für das Interview.