Bauchfrei in den Unterricht

Ezo Gelin

Eine ganz gewöhnliche Pause an einer ganz gewöhnlichen Hauptschule,Schülerinnen sitzen vor dem Schulgebäude und strecken ihre braunen Bäuche der Mittagssonne entgegen. Sie tragen kurze Röcke, Hüfthosen und knappe Oberteile. An manch einem Bauchnabel blitzt ein Piercing. Übertrieben aufreizend finden die  jungen Frauen ihr luftig-leichtes Schul-Outfit indes nicht: „Für uns gibt es Grenzen – wir sind schließlich nicht nackt“. Sie können sich nicht vorstellen, dass sie die Blicke von Lehrern und Schulkameraden derart auf sich ziehen, dass dadurch Unterricht und Lernen gestört werde. Auch versuchten sie nicht, bei Lehrern bessere Noten zu schinden. „Das hat doch noch bei niemanden geklappt“, glauben die Mädchen.

In einer niedersächsischen Gesamtschule schienen derartige Befürchtungen jedoch an der Tagesordnung. Die Schulleiterin forderte dort jüngst Schüler und Eltern auf, nicht mehr mit bauchfreien T-Shirts, tiefen Dekolletés oder kurzen Röcken zum Unterricht zu erscheinen. Die Schulleitung war der Meinung, dass die „unangemessene Kleidung“ die Lernsituation beeinträchtige. „Gegen eine Kleiderordnung würde ich mich wehren. Wer soll das denn überprüfen?“, sagt der Direktor der Alfred-Delp-Schule, Ulf Schröder. Ihm sei auch nicht bekannt, dass bei der Schulverwaltung darüber nachgedacht werde, Bekleidungsvorschriften anzuordnen. „Dafür gibt es im Schulgesetz auch keine Grundlage“, kommentiert der Sprecher des hessischen Kultusministeriums, Ralf Hörnig.

Könne ein Lehrer aus sittlichen Gründen nicht mehr ungestört unterrichten, müsse das durch Gespräche in der Schule geklärt werden. Wenn Eltern, Schüler und Lehrer sich einig seien, könnten auch Bekleidungsregeln eingeführt werden. Direktor Schröder würde in Dieburg die Einführung von Schuluniformen schon eher unterstützen, „um das Marken-Problem zu lösen“. Unter Schülern herrsche viel Neid wegen Markenkleidung, die sich ein Schüler leisten könne und ein anderer aber nicht. Noch nie hätten sich Kollegen über die Kleidung der Schüler beschwert.

Dass Mitschüler des anderen Geschlechts durch aufreizende Disco- oder Strandbekleidung vom Lernen abgelenkt werden könnten, glaubt Schröder kaum. „Die gehen heute viel natürlicher miteinander um.“ Und Neda Rafiei bestätigt: „Vielleicht sind die Jungs einige Minuten abgelenkt, dann ist’s aber auch wieder gut.“  Dass seine Mitschülerinnen viel nackte Haut zur Schau tragen, lässt den Türken Cetin Durdi (17) angeblich kalt. „Ich konzentriere mich nur aufs Lernen“, beteuert er – und schaut Maria Martino nach, als sie mit Hüftschwung vom Pausenhof eilt.

Englischlehrer Karl Johe will in Klassengesprächen dagegen erfahren haben, dass Schüler „sehr viel an Sexualität denken.“ Kollege Peter Schäfer ist ebenfalls überzeugt: „Bei den Jungs spielen die Hormone verrückt, wenn sie den ganzen Tag einem leicht bekleideten Mädchen gegenüber sitzen.“ Persönlich fühlten sie sich nicht vom Erscheinungsbild ihrer Schüler gestört – „sofern die Schamhaargrenze nicht unterschritten wird“, so Schäfer. In Prüfungen finde er offenherziges Outfit aber unangemessen. „Es gibt weder Aufregung noch Beschwerden“, sagt der stellvertretende Schulleiter der Dieburger Landrat-Gruber-Berufsschule, Peter Farr. Er räumt aber ein: „Wir wirken an der beruflichen Sozialisation unserer Schüler mit. So kann richtige Bekleidung bei uns ein Thema sein.“

Die angehende Frisörin Maria Martino möchte sich keinesfalls vorschreiben lassen, wie sie in die Schule zu kommen hat. Sie trägt ein knappes Oberteil mit tiefem Dekolleté, das von zwei dünnen Bändchen am ansonsten unbedeckten Rücken zusammen gehalten wird. „Dürfte ich mich nicht so anziehen, würde ich nicht mehr zur Schule kommen“, empört sich die Achtzehnjährige und kontert: „Manche Lehrer kommen ja schlimmer angezogen in die Schule als wir Schüler.“ Das bestätigt der Leiter des Staatlichen Schulamts, Jürgen Wessling: „Das Problem ist eher, wie ungepflegt einige Lehrer in der Schule auftreten“.      

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