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Alt 08.07.2013, 20:17
Benutzerbild von benekalice
benekalice benekalice ist offline
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Standard Türkei: Erdoðans Häftlinge

nachzulesen unter : faz.de


In der Türkei sitzen Menschen in Haft, weil sie demonstriert haben. Wer sind sie?

© Yakub Cabuk/EPA/dpa
Polizisten nehmen am Taksim-Platz Mitte Juni Demonstranten fest.

Polizisten nehmen am Taksim-Platz Mitte Juni Demonstranten fest.
Düstere Aussichten

Seit Wochen demonstrieren die Menschen in Istanbul und anderen Städten der Türkei. Was mit dem Protest gegen die Pläne für ein Einkaufszentrum im Gezi-Park im Stadtteil Taksim begann, wuchs sich zu einem breiten gesellschaftlichen Bündnis gegen die Regierung von Tayyp Erdoðan aus. Als Erdoðan den Streit um das Bauprojekt eskalieren ließ, forderten die Demonstranten seinen Rücktritt.

Die Regierung antwortet mit Härte. Die Polizei ging mit Tränengas, Wasserwerfern, Gummigeschossen und Schlagstöcken vor. Tausende Menschen wurden in Gewahrsam genommen. Der türkische Menschenrechtsverein (Insan Haklar Derneði, IHD) stellt folgende Bilanz auf: Vom 27. Mai bis zum 24. Juni, der Hochphase der Demonstrationen, gab es vier Tote (ein Polizist starb), 7.681 Menschen wurden verletzt (davon verloren sechs Menschen aus Istanbul ein Auge durch Gummigeschosse), 2.841 Demonstranten wurden festgenommen (darunter 294 Kinder), 70 wurden verhaftet, vorwiegend in Istanbul (33), der Hauptstadt Ankara (22) und Izmir (13). Laut IHD sind bis auf 66 Personen alle Festgenommenen wieder frei. Das Schicksal der Verhafteten ist ungewiss. Hinzu kommt, dass sie auf der Grundlage der türkischen Antiterrorgesetze behandelt werden, die Polizei und Justiz umfassende Vollmachten gibt, den Verhafteten und ihren Anwälten aber viele Rechte nimmt. Wer als Terrorverdächtiger festgenommen wird, der muss mitunter monate- oder jahrelang im Gefängnis sitzen und auf einen Gerichtstermin warten. Die Anwälte bekommen keine Einsicht in die Akten. Die Verhaftungen der vergangenen Monate scheinen dabei nach einem bestimmten System zu verlaufen: Nach Recherchen der ZEIT sind die Verhafteten beispielsweise aus Istanbul entweder Mitglieder in sozialistischen oder linksnationalistischen Parteien oder in politischen Vereinen.
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Doch die Menschen, die nun im Rahmen der Gezi-Park-Demonstrationen verhaftet wurden, sind nicht die ersten, die nach den Antiterrorgesetzen behandelt werden. Seit vielen Jahren sitzen Journalisten, Anwälte, Schriftsteller, Bürgermeister in Haft, mit wenig Aussicht auf ein rechtsstaatliches Verfahren.

In den kommenden Wochen wird die ZEIT einige Inhaftierte vorstellen. Dabei geht es nicht darum, sie von jeglicher Schuld freizusprechen, sondern darum aufzuzeigen, unter welchen rechtsstaatlich zweifelhaften Bedingungen sie in Haft sitzen.

Ulas Bayraktaroglu

Ekin Bayraktaroglu hält ihre drei Monate alte Tochter auf dem Arm und ein Bild von ihrem Mann in der Hand. Ulas Bayraktaroglu ist seit gut zwei Wochen im Gefängnis. Gegen den 37-Jährigen wird nach dem berüchtigten türkischen Antiterrorgesetz ermittelt. Er sitzt in Untersuchungshaft in einem Spezialgefängnis in Edirne nahe der bulgarischen Grenze.
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe der ZEIT, die Sie am Kiosk oder online erwerben können.

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe der ZEIT, die Sie am Kiosk oder online erwerben können.

Ulas Bayraktaroglu demonstrierte im Juni im Gezi-Park am Istanbuler Taksim-Platz. Seine Partei, die legale sozialistische SDP, hatte dort einen Stand. Wenige Stunden vor seiner Verhaftung lieferten sich Bayraktaroglu und einige Parteimitglieder eine stundenlange Schlacht mit der Polizei an einer Barrikade. Die Demonstranten verloren. Die Polizei verfolgte sie bis in ihre Parteibüros nahe dem Taksim-Platz, pumpte das Haus mit Tränengas voll und verhaftete sechs Menschen, darunter Ulas Bayraktaroglu, Mitglied des Zentralkomitees der SDP.

Was ihm konkret vorgeworfen wird, sagt die Staatsanwaltschaft nicht – auch nicht auf Nachfragen der ZEIT. Antiterrorermittlungen sind geheim. Ein Hinweis gab der Gouverneur von Istanbul, der Bayraktaroglu als "Terroristen" bezeichnet hat. Bis die Anklageschrift veröffentlicht wird, können Monate vergehen. Bis dahin dürfen seine Frau Ekin und das Baby ihn einmal in der Woche im Gefängnis sehen. Sie sprechen dann per Telefon und sehen sich durch eine Glaswand. Einmal im Monat dürfen sie sich ohne Glaswand treffen.

Für Ulas und Ekin Bayraktaroglu ist die Erfahrung nicht ganz neu. Schon 2010 saß Ulas wegen Ermittlungen nach dem Antiterrorgesetz im Gefängnis. Damals heirateten sie hinter Gittern. "Es gab einen Gefängniskuchen, eine Mischung aus Früchten, Schokolade und Keksen", sagt Ekin. Die Heirat hat ihm damals die Haft erleichtert. Nach elf Monaten kam Bayraktaroglu wieder auf freien Fuß. Das dürfte diesmal nicht so einfach werden.
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ürkei: Erdoðans HäftlingeDüstere Aussichten
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Boran Atici und Hasan Tunc

Boran Atici

Boran Atici schlief, als die Polizei kam, ihn zu holen. Morgens um vier Uhr drangen die Beamten in die Wohnung im Istanbuler Stadtteil Esenler ein. Sie durchsuchten alle Räume, auch das Elternschlafzimmer, während mehrere Beamte Boran Atici Handschellen anlegten. Sie nahmen den Laptop des 24-Jährigen, einige Hemden und Wäsche, ein Barett und ein Abrechnungsbuch der Partei, in der Atici Mitglied ist: der legalen linken Splitterpartei ESP.

Die Verhaftung des Boran Atici legt ein Muster offen. Bei der Verhaftung von Demonstranten vom Gezi-Park konzentrieren sich Polizei und Regierung derzeit auf Angehörige von kleinen linken Parteien. Sie stützen so die Behauptung der regierenden AKP, bei den Demonstrationen, an denen über Wochen Hunderttausende Menschen in der ganzen Türkei teilnahmen, handele es sich um das Werk "kleiner, marginaler Gruppen".

Während der Demonstrationen im Gezi-Park sei Boran Atici die meiste Zeit am Stand der ESP gewesen, erzählt seine Mutter Ayten Atici, die ebenfalls dort war. Dafür haben die Polizisten ihn an dem Morgen des 18. Juni zur Vatan-Terrorhaftanstalt gebracht. Vier Tage später wurde er in das Sondergefängnis in Tekirdað verlegt, wo Terrorverdächtige auf ihren Prozess warten. Was man ihm konkret vorwirft, wurde ihm bisher nicht mitgeteilt. Auch in seinem Fall schweigt die Staatsanwaltschaft gegenüber der ZEIT. Eine direkte Auseinandersetzung mit der Polizei habe er nicht gehabt, sagt seine Mutter. Nur einen Hinweis aus seinem Vorleben gibt es: Atici wurde vor einem Jahr schon einmal auf der Polizeiwache vernommen, wegen Verteilung einer linken Zeitung. Aufgefallen war er also schon einmal.

Boran Atici studiert Medizintechnik. Derzeit sind Ferien. Doch dass Atici zum Herbstsemester wieder studieren kann, ist recht unwahrscheinlich.

Hasan Tunc

Die Familie Tunc war auf den Demonstrationen im Gezi-Park im Istanbuler Zentrum. Der Vater, die Mutter und Hasan Tunc, ihr 20 Jahre alter Sohn. Mutter und Sohn standen abwechselnd in Schichten am Stand der ESP, einer kleinen linken Partei. Doch als die Polizisten während einer Razzia frühmorgens in ihre Wohnung im 1.-Mai-Viertel in Esentepe, Istanbul, eindrangen, suchten sie nur nach einem: Hasan. Der 20-Jährige sollte ein Papier unterschreiben, dass er seit 2009 verbotene Veranstaltungen besucht habe. Er weigerte sich. Sie nahmen ihn mit, dazu elf Bücher, sein Mobiltelefon und den Brief eines inhaftierten Freund.

Die Mitglieder der Familie Tunc sind kurdische Aleviten, sie stammen aus dem ostanatolischen Elbistan. Eine raue Gegend, eine Geschichte des Widerstands. Ein Onkel von Hassan starb während des Armeeputsches 1980, ein anderer Onkel saß lange im Gefängnis. Hasan, seine Mutter und sein Vater sind Mitglieder der sozialistischen ESP.

Hasan Tunc wurde erst in eine Antiterrorhaftanstalt gebracht, dann in das Spezialgefängnis Tekirdag verlegt, so wie viele andere Verhaftete der Gezi-Demonstrationen. Die Polizisten beschuldigten den 20-jährigen Gelegenheitsarbeiter, verbotene Demonstrationen besucht zu haben. Sie haben ihm den Ohrring abgerissen, das konnte sein Vater beim ersten Besuch sehen.

Da Hasan als Terrorverdächtiger verhaftet wurde, erwartet der Vater nicht, seinen einzigen Sohn bald wieder in Freiheit zu sehen. Die Mutter ahnte es sofort, als die Polizei frühmorgens in der Wohnung stand. "Ich bin in derselben Partei, war auf denselben Demonstrationen, warum nehmt ihr nicht mich?", rief sie den Polizisten zu. "Wir nehmen deinen Sohn", antwortete ein Beamter, "und lassen dich so den schlimmsten Schmerz auf Erden fühlen."
  #2  
Alt 09.07.2013, 15:01
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Zagros4 Zagros4 ist offline
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Registriert seit: 08.07.2013
Beiträge: 10
Standard

Vor den Gezi Park Demos saßen auch schon tausende im Gefängniss obwohl sie nichts verbrochen haben. Zum Beispiel kurdische Demonstranten. Das zählt wohl nicht... Aber schön das die anderen nun das Schicksal teilen
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