okuyun biraz gencler:
Weder in Deutschland noch in der Türkei gibt es bisher ein Studienfach "Inter-ethnische Beziehungen". Es liegen auch keinerlei vernünftig gegliederten Quellen über die Territorien Ost- und Südanatoliens vor, was aus der Sicht der Gesellschaftswissenschaften zu bedauern ist. So rufen wir prominente Wissenschaftler und Forscher auf, sich dringend dieser Thematik anzunehmen und sie wissenschaftlich zu erforschen. Wir sind der Ansicht, daß die Gegebenheiten und Realitäten unseres Landes den Gesellschaftswissenschaften ein Anliegen sein müßten.
Die Öffentlichkeit mit durchschnittlicher Allgemeinbildung geht heute immer noch davon aus, daß alle Einwohner der Türkei auch Türken seien; die Existenz anderer Minderheiten, Kurden, Armenier, Dimili (Zaza) u.a. ist ihr wenig oder gar nicht bekannt.
In der Türkei drängt die Dimili-Frage wegen ihrer Aktualitität auf eine stärkere wissenschaftliche Beachtung hin, wie es bereits auch mit der Kurden-Frage der Fall ist und wie es mit weiteren ethnischen Gruppen, wie Armeniern, Lasen und Tscherkesen wird geschehen müssen.
Die Dimili-Bevölkerung zeigt eine eigene Ethnizität. Im folgenden verdeutlichen wir anhand einiger Fakten, in welchem Sinn wir "Ethnizität" verstehen. Hier zunächst eine Definition von Ethnizität: "Ethnizität ist so wirksam, weil über sie Interesen und Gefühle miteinander verknüpft werden können, sie schafft gemeinsame Identifikation über sinnlich erfahrbare Dinge, wie Sprache, Religion, Bräuche, Essen, Musik und Namen.
Das Territorium der Dimili erstreckt sich in Ostanatolien über die Provinzen Siverek (Urfa), Gerger (Adiyman), Pütürge, Araphir (Malatiya), Kangal, Hafik, Zara, Susehri (Sivas) und Refahiye (Erzincan) vorbei am Gebiet von Kelhit und Bayburt nach Tercan und Hinis (Ezurnum). Zum Territorium der Dimili gehören ebenfalls Varto (Mus), Mutki (Bitlis), Sasan (Siirt) und davon südlich Lice, Hani, Dicle, Egil, Cermik, Cungüs und Siverek. In diesen Provinzen bilden Dimili-Bewohner die Mehrheit, ebenso wie in den Städten Bingöl, Diyarbakir, Elazig, Erzincan und Tunceli.
In der Türkei stellen traditionell die Türken gefolgt von den
Kurden die größte ethnische Bevölkerungsgruppe dar; drittgrößte Gruppe sind die Dimili.
Von den in Ost- und Südanatolien lebenden ethnischen Gruppen sind die Kurden die größte Bevölkerungsgruppe, gefolgt von den Dimili.
Das Bewußtsein einer eigenen Identität der Dimili wächst.
Die Dimili unterteilen sich in sunnitische und alevitische Dimili, welche beide eine Gruppe von Menschen mit gemeinsamem Kulturbesitz, mit gemeinsamen historisch-geschichtlichen und auch aktuellen Erfahrungen bilden. Die sunnitischen und alevitischen Dimili gehen von einer ihnen gemeinsamen Herkunft aus und haben auf dieser Basis ein bestimmtes Identitätsbewußtsein und ein Bewußtsein von Solidarität entwickelt.
Bereits die Vorstellung einer gemeinsamen Herkunft ist für ethnische Gruppierungen von entscheidender Bedeutung: Abstammungsgemeinschaften, selbst wenn sie nicht real, sondern nur in der Vorstellung bestehen, haben diese herausragende Bedeutung (Weber 972, S. 237). Wenn eine Gruppe im Integrationsprozeß mit anderen ihre Identität behauptet, schließt dieses immer Kriterien von Zugehörigkeit und Symbole von Zugehörigkeit und Ausschluß mit ein. Eine ethnische Gruppe wird unter anderem definiert durch die ethnische Grenze; der für diese Gruppe typische kulturelle Stoff ist nicht das entscheidende Kriterium.
Es liegen Reiseberichte von ausländischen Reisenden über die Struktur der von Dimili bewohnten Gebiete vor, in denen der Dimili-Bevölkerung eine eigene ethnische Struktur bescheinigt wird. Armenische Reisende haben diese eigene ethnische Struktur unzweideutig beschrieben.
Der amerikanische Konsul von Diyarbakir, Taylor, schreibt über die Dimili in Dersim, daß sie die moslemischen Glaubensriten nicht praktizieren, sie gehen nicht zur Moschee, erfüllen nicht die moslemischen Gebetsauflagen, feiern keinen Ramadan, sind nicht alkoholabstinent, feierrn ihre Feste gemeinsam mit beiden Geschlechtern, die Frauen bewegten sich unverschleiert und ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit.
Caucasian Battlefields schreibt in seinem Buch "A history of the wars on the Turco-Caucasian border 1828-921", daß die Dersim-Zazas (Dimili) keine Kurden, sondern ein eigenständiger, seßhafter Menschentypus seien, die eine uralte Ethnizität repräsentierten. Die historisch ältesten Stämme im Dersim-Gebiet sind die Zaza (Dimili), gleichzeitig die älteste Rasse aus Vorderasien.
Wie definieren die Dimili ihre eigene kulturelle Identität? Wodurch unterscheiden sich die Dimili von anderen ethnischen Gruppen? Wie werden die Dimili von anderen ethnischen Gruppen definiert?
Vorauszusetzen für die Suche nach einer spezifischen kulturellen Identität dieser Minderheit ist, daß die Erforschung ihrer Identität als eine wissenschaftliche Ärbeit zugelassen und eingestuft wird. In der türkischen Republik wurde dieses Thema nie erwähnt oder gar diskutiert; das Vorhandensein einer kulturellen Identität einer Minderheit beschwört Ängste vor einer Spaltung der Republik herauf. Unter den konservativen Politikern ist trotz der Rede von der "kurdischen Realität" die Wahrnehmung der Existenz anderer Minderheiten noch tabu. Rassistisch und faschistisch orientierte Politiker sprechen zwar von einer "kurdischen Nation", sie leugnen jedoch das Vorhandensein einer kulturellen kurdischen Identität. Ignoriert wird auch die Existenz einer kulturellen Identität der Dimili, obwohl die Dimili das Recht auf Ausübung ihrer eigenen Sprache und Kultur fordern.
Ein wissenschaftlicher Arbeitsansatz zur Erforschung von Minderheiten-Identitäten wäre, daß ein Kulturbegriff geschaffen werden würde, der die besondere historische Ausprägung von Kultur und Identität beleuchtet. "Wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns ... auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditioneller) Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht, soll eine soziale Beziehung Vergesellschaftung heißen, ebenso, wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckrational) motivierten Interessenausgleich oder auf ebenso motivierter Interessenverbindung beruht" (Weber 972, S. 21).
Weiterhin gibt Weber folgende Definition: "Wir wollen solche Menschengruppen, die aufgrund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider, oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, ... ethnische Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutgemeinschaft vorliegt oder nicht" (ebd. S. 273). Die traditionelle und kulturelle Identität ist besonders für Minoritäten von großer Bedeutung. Ethnisches Selbstbewußtsein ist nicht an die eigene Sprache gebunden. Auch die Religion kann als Symbol der ethnischen Zugehörigkeit fungieren, wie das Beispiel Nordirland zeigt (vgl. Grant, 987). Bei den Dimili z.B. wird die ethnische Zugehörigkeit vorrangig durch alevitische religiöse Symbole demonstriert. Gruppen können ihre Identität auf die verschiedenste Weise ausdrücken. Es ist interessant zu beobachten, daß sich bei der Dimili-Bevölkerung in der Fremde eine ethnische Identität aus Sprachsymbolen entwickelt, die die religiös unterschiedlich eingestellten sunnitischen und alevitischen Dimili verbindet. Neben religiösen Symbolen ist die Sprache das stärkste Identitätssymbol. Auf Symbole dieser Art wird zurückgegriffen, um gefühlte, aber noch nicht präzise dargestellte Gemeinsamkeiten zu demonstrieren.
Thernstrom schlägt in seiner "Harvard Encyclopedia of American Ethnic Groups" 980 vierzehn Charakteristika vor, die in variierter Zusammenstellung für ethnische Gruppen bezeichnend sein können:
1) gemeinsame geographische Herkunft
2) Einwandererstatus ("migratory status")
3) Rasse
4) Sprache / Dialekt
5) religiöser Glaube
6) Verbindungen, die über Verwandschaft, Nachbarschaft oder die
Gemeinde hinausgehen
7) gemeinsam geteilte Traditionen, Werte und Symbole
8) Literatur, Folklore und Musik
i) Essensvorlieben
10) Muster der Siedlungs- und Arbeitsweise
11) Sonderinteressen in Bezug auf Politik im Heimatland und in den
USA
12) Institutionen zur Sicherung und Aufrechterhaltung der Gruppe
13) ein inneres Gefühl der Unterschiedlichkeit (distinctiveness)
14) die Wahrnehmung der Unterschiedlichkeit von außen her;
Der Realitätsgehalt des Ethnischen wird auch durch Beiträge der Ethnopsychoanalyse gestützt. Devereux nimmt ein "ethnisches Unbewußtes" an, und zwar mit folgender Begründung: "Jede Kultur gestattet gewissen Phantasien, Trieben und anderen Manifestationen des Psychischen den Zutritt und das Verweilen auf bewußtem Niveau und verlangt, daß andere verdrängt werden. Dies ist der Grund, warum allen Mitgliedern ein und derselben Kultur eine gewisse Anzahl unbewußter Konflikte gemeinsam ist ..." (Devereux 982, S.12).
Es erscheint mir, daß das "ethnisch Unbewußte" bei den Dimili begründet ist im Ursprung ihrer religiösen Überzeugung, in der viele christliche, hauptsächlich von den Armeniern übernommene Elemente enthalten sind. Diese Elemente sind entweder übernommen im Verlaufe einer Verschmelzung mit den Vorstellungen der extremen Shi"a oder sie wurden von dem in Dersim lebenden armenischen Bevölkerungsanteil direkt übernommen. (vgl. G.S. Asatrian und N.Kh. Gevorgian).
Die Kultur dient der Deutung des gesellschaftlichen Lebens und damit der Orientierung des Handelns. Sie enthält die "Landkarten der Bedeutung" für die jeweilige Gruppe (Clarke 979, S.122).
Literatur
Asatrian, G.S. and Gevorgian, N. KH.: Zaza Miscellany: Notes on Some Religious Customs and Institutions. In: Ackta Iranica, Leiden Holland 988.
Auernheimer, G.: Einführung in die interkulturelle Erziehung, Darmstadt 990.
Clarke, J.( u.a.):Jugendkultur als Widerstand, Frankfurt/M 979.
Devereux, G.: Normal und anormal. Aufsätze zur allgemeinen Entnopsychiatrie, Frankfurt/M 974.
Grant, N.: Bildung und Erziehung für eine multikulturelle Gesellschaft. In: Erziehung in der multikulturellen Gesellschaft, VE-Info., Nr. 17, S. 27 ff, ...987.
Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 972
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