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Alt 27.05.2006, 03:32
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campeon campeon ist offline
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Standard Was hat sich seit susurluk geändert ?

wer kann dies hier nochmal laut vorlesen ?

was hat sich seit dem , wenn überhaupt möglich, vorsichtig ausgedrückt , "geändert" ?


Ermittlungen gegen den Staat

Susurluk-Affäre: Die türkische Konterguerilla hat ihre Schuldigkeit getan
Eigentlich war alles nur ein Unfall: Nahe der westtürkischen Stadt Susurluk raste Anfang November 1996 ein gepanzerter Mercedes 600 in einen Lastwagen. Drei der vier Insassen waren sofort tot, einer überlebte. Ein Unfall, der den türkischen Staates erschütterte, denn als die Namen der Verunglückten bekannt wurden, ging ein Aufschrei durch das Land, von dem sich die Türkei bis heute nicht erholt hat. In dem Wagen befand sich neben dem Parlamentsabgeordneten Sedat Bucak, der Schönheitskönigin Gonca Uz und dem hochrangigen Polizeifunktionär Hüseyin Kocadag auch Abdullah Çatli - ehemaliger Funktionär der paramilitärisch-faschistischen "Idealistenverbände" und ein international gesuchter Killer. Nur Bucak überlebte - ein Mitglied der damals regierenden Tansu Çiller-Partei DYP, der in seinem Heimatort Siverek eine 10.000 Mann starke Privatarmee gegen die PKK aufgebaut hat. Am Unfallort fand die Polizei einen vom damaligen Innenminister Mehmet Agar unterzeichneten Ausweis, der den Verbrecher Çatli als "Polizeiexperten" auswies, einen Diplomatenpaß, sieben Schußwaffen mit Schalldämpfern und etwas Kokain. Die Medien begannen zu recherchieren - und deckten ein Dickicht von Raub, Erpressung, Rauschgifthandel und Mord auf, in das höchste Regierungsstellen verstrickt waren. Immer mehr Details der engen Verbindung des türkischen Staates zum organisierten Verbrechen und zu Killerbanden drangen in den vergangenen eineinhalb Jahren ans Tageslicht - einer Verbindung unter dem Vorzeichen der vermeintlich notwendigen Bekämpfung der kurdischen Guerilla.

Nun ist es sogar amtlich: Im Kampf gegen seine Gegner war dem türkischen Staat jedes Mittel recht. Er hat Todesschwadrone gegen die kurdische Opposition eingesetzt, ließ kritische Journalisten ermorden, arbeitete eng mit der türkischen Mafia zusammen und beteiligte sich am internationalen Drogengeschäft. Das ist das Fazit einer Untersuchung, die Ministerpräsident Mesut Yilmaz in Auftrag gegeben hatte und deren Ergebnisse er nun in weiten Teilen der Öffentlichkeit präsentierte.

Sonderermittler Kutlu Savas ließ in seinem Susurluk-Untersuchungsbericht nichts aus. Er stellte fest, daß Abdullah Çatli nicht der einzige Killer gewesen ist, mit dem staatliche Stellen intimere Kontakte pflegten. Auch der bis heute flüchtige Mahmut Yildirim soll eine zentrale Rolle bei unzähligen Morden gespielt haben. Der Mann mit dem Decknamen "Grün" arbeitete im Auftrag des Militärs, des Geheimdienstes und des Polizeiapparates. Daneben kassierte er Provisionsgelder aus dem Drogengeschäft. "Es ist schwierig zu erklären, warum die staatlichen Autoritäten mit Grün zusammenarbeiteten, obwohl sie wußten, daß Grün in Fällen von Erpressungen, Vergewaltigungen, Raub, Mord, Folter und Entführung der Täter war."

Etliche politische Morde in Türkisch-Kurdistan können nun als aufgeklärt gelten, beispielsweise jene an dem kurdischen Schriftsteller Musa Anter, dem kurdischen Abgeordneten Mehmet Sincar, dem Parteivorsitzenden der "Arbeitspartei des Volkes", Vedat Aydin. Alle drei sind von Killern im Staatsauftrag umgebracht worden. "Die Entscheidungsbefugnis für Morde im Gebiet des Ausnahmezustandes war in den Händen von Unteroffizieren, stellvertretenden Kommissaren und den übergelaufenen Terroristen.", heißt es in dem Bericht.

Auch der Bombenanschlag auf die pro-kurdische Tageszeitung Özgür Ülke im Dezember 1994 war eine Auftragsarbeit. Der Financier der Zeitung, Behcet Cantürk, sollte "gewarnt" werden: "Der Staat wurde mit Rechtsmitteln mit Cantürk nicht fertig. Folge war, daß die Zeitung Özgür Ülke mit Plastikbomben in die Luft gejagt wurde", stellte der Sonderermittler fest. Doch die Warnung verfehlte ihre Wirkung: "Während erwartet wurde, daß Cantürk sich nunmehr dem Staat fügt, plante dieser eine neue Zeitung. Der türkische Sicherheitsapparat beschloß seine Ermordung, und dieser Beschluß wurde exekutiert."

Glück hingegen hatte der georgische Staatspräsident Eduard Schwewardnadse. Er sollte, laut Aussage des türkischen Staatsministers Eyüp Asik, wegen Unstimmigkeiten beim Bau von Spielcasinos in Georgien ermordet werden. Doch hier versagten die Staatskiller. Erfolgreicher war man hingegen im eigenen Staatsapparat: Offensichtlich kämpfte die Polizei unter Führung des ehemaligen Polizeipräsidenten und späteren Innenministers Mehmet Agar auch gegen den türkischen Geheimdienst MIT. Über 100 Informanten des Geheimdienstes seien zwischen 1992 und 1997 von der Polizei entführt und verhört, fünfzehn umgebracht worden.

Aufgeklärt scheinen nun auch die Hintergründe der Ermordung des Spielcasinokönigs Ömer Lütfü Topal Mitte 1996 zu sein. Topal, dessen Jahresumsatz auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt wurde, hat in großem Umfang mit Politikern und Polizeichefs zusammengearbeitet. Eine nicht erfolgte Zahlung von 17 Millionen US-Dollar an Ankara ist ihm schließlich zum Verhängnis geworden.

Kredite staatlicher Banken sollen direkt in die Hände mächtiger Drogenbosse geflossen sein, heißt es in dem Bericht. Diese hätten sich dafür entsprechend erkenntlich gezeigt. So sei der Wahlkampf von Mehmet Agar von dem Drogenbaron Mehmet Ali Yaprak finanziert worden, dessen Hauptgeschäft die Produktion und der Schmuggel des Aufputschmittels Captagon in arabische Länder ist.

Die Blütezeit der Kollaboration staatlicher Instanzen mit kriminellen Banden waren nach dem Urteil des Sonderermittler Kutlu Savas die Jahre 1993 bis 1996, die Regierungszeit der Ministerpräsidentin Tansu Çiller. Ihr Nachfolger Mesut Yilmaz setzte den Sonderermittler, der dies untersuchen sollte, auch aus Eigennutz ein: Yilmaz hoffte, daß die Untersuchungsergebnisse seine Intimfeindin Çiller endgültig politisch erledigen würden.

Neben den staatsterroristischen Aktivitäten finden sich in dem Bericht auch mehrere Hinweise auf unmittelbare Verstrickungen der Çiller-Familie in rechtswidrige Aktivitäten. Bereits im Dezember hob das türkische Parlament die Immunität der engen Çiller-Vertrauten Mehmet Agar und Sedat Bucak auf. Sie müssen sich wegen Gründung einer kriminellen Bande, Hilfe für steckbrieflich gesuchte Personen und Amtsmißbrauch vor dem Staatssicherheitsgericht in Istanbul verantworten. Auch der ehemaligen Ministerpräsidentin droht die Aufhebung ihrer Immunität. Für sie wird es nun eng: Yilmaz hat angekündigt, eine weitere Ermittlungskommission aus Reihen der Polizei, des Geheimdienstes, des Finanz- und des Zollministeriums bilden zu lassen, die weitere Einzelheiten staatlicher Kriminalität zur Zeiten der Çiller-Regentschaft erforschen soll.

Auch wenn Çillers Karriere mit den jetztigen offiziellen Enthüllungen tatsächlich beendet sein sollte, für den türkischen Staat war ihr verbrecherisches Handeln äußerst effektiv. Im Kampf gegen die kurdische Opposition haben die von ihr bestellten Auftragskiller im Verein mit dem Militär ganze Arbeit geleistet. Die PKK hat ihren Guerilla-Kampf gegen den türkischen Staat verloren. Der Traum eines eigenen Staates scheint auch bei den verwegendsten Kämpfern für die "kurdische Sache" ausgeträumt. Mittlerweile lebt die Mehrheit der türkischen Kurden im Westen der Türkei und nicht mehr in den kurdischen Gebieten - Folge der Zwangsevakuierung von unzähligen kurdischen Dörfern und der Vertreibung von Millionen Kurden aus den ländlichen Regionen. Diese demographische Veränderung ist nicht mehr umkehrbar. Der PKK wurde ihre territoriale Basis entzogen. Das türkische Militär beherrscht heute die kurdischen Städte und Berge. Hinzu kommen die militärischen Niederlagen der PKK im Nordirak. Die "separatistische Bedrohung" gilt inzwischen in Kreisen der türkischen Militärspitze nicht mehr als Hauptgefahr. An deren Stelle steht nun die "Bedrohung durch die religiöse Reaktion".

Inzwischen hat auch PKK-Führer Abdullah Öcalan das Scheitern seiner Guerilla-Strategie erkannt. Es sei für ihn "eine große Freude, Politik für die Türkei zu machen", erklärte er in einem Interview mit dem PKK-nahen Fernsehsender Med-TV: "Damit habe ich keinerlei Schwierigkeiten, wenn es eine rechtliche Garantie und Sicherheit in der Türkei geben würde, und man sich gegenseitig vertraut. Er wünsche sich "eine Neustrukturierung des Staates innerhalb der bestehenden Grenzen" und erstrebe ein legales Agieren der PKK, notfalls auch unter einem anderen Namen: "Wenn die Türkei Angst vor dem Namen unserer Partei hat, sind wir bereit, den Namen zu ändern. Wenn sie Angst vor dem Krieg hat, sind wir bereit, ihn einzustellen."

Seit Monaten sendet Öcalan unablässig Verhandlungsangebote in Richtung des türkisches Staates - Angebote, die einer Selbstaufgabe gleichkommen. So erklärte er in einem Interview mit der liberalen türkischen Tageszeitung Radikal Ende Dezember nicht nur die Zeit für einen "umfassenden Frieden" für gekommen, er rühmte darüber hinaus auch noch ausdrücklich die "fortschrittliche Rolle der türkischen Armee": "Die Armee ist sich im klaren, daß die Zeit gekommen ist, die kurdische Frage zu lösen. Sie weiß, daß sie deshalb intervenieren muß. Diesmal kommt die Intervention mit einem zivilen Putsch."

Öcalans umfassende Friedensbereitschaft ist aus der Not geboren. So heißt es in einem Artikel in der Dezember-Nummer von Özgür Halk, einer inoffiziellen PKK-Zeitschrift: "Wir stehen kurz vor einer Niederlage." Auch wenn demnächst "weitere Schritte in Richtung auf einen Sieg" unternommen würden, könne man die in den vergangenen Jahren entstandene "Verspätung nicht einholen". Weiter heißt es in dem zwölfseitigen Artikel: "So kann man den Krieg nicht weiterführen, alles andere wäre Lüge." Unterschrieben ist der Beitrag mit "Ali Firat" - ein Pseudonym Öcalans.

Offensichtlich befindet die PKK sich in einem desolaten Zustand. Neben den militärischen Niederlagen soll es in der letzten Zeit sogar zunehmend zu heftigen Meinungsverschiedenheiten über den weiteren Kurs zwischen dem bislang absolutistisch herrschenden Führers Öcalan und einem Teil seiner engsten Mitarbeiter gekommen sein. Türkische Zeitungen berichten unter Berufung auf Geheimdienstquellen, daß Öcalans Stellvertreter Semdin Sakik dem PKK-Chef schwere Versäumnisse und Fehler vorgeworfen hat.

Die Regierung Yilmaz wird nicht auf das Angebot Öcalans eingehen. Für sie ist und bleibt er der "Staatsfeind Nr.1". Doch könnte Öcalans Friedensofferte mittelfristig einen Weg aus der Gewaltspirale weisen. Der Druck des Militärs auf die Regierung, eine politische Lösung des "Kurdenproblems" zu finden, wird in der Tat steigen. Inzwischen konstatieren die türkischen Generäle, daß die Armee "bis zum letzten" gegangen sei und nun die Politik handeln müsse. Der militärische Sieg über die PKK müsse mit sozialen und wirtschaftlichen Programmen in den kurdischen Gebieten flankiert werden. Denn die ungelöste "Kurdenfrage" dient den europäischen Regierungen als Vehikel, mit dem der Türkei auch weiterhin der Zugang zur EU verwehrt werden kann. Das ist nicht im Interesse des türkischen Militärs.
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Alt 27.05.2006, 03:32
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wer kann dies hier nochmal laut vorlesen ?

was hat sich seit dem , wenn überhaupt möglich, vorsichtig ausgedrückt , "geändert" ?


Ermittlungen gegen den Staat

Susurluk-Affäre: Die türkische Konterguerilla hat ihre Schuldigkeit getan
Eigentlich war alles nur ein Unfall: Nahe der westtürkischen Stadt Susurluk raste Anfang November 1996 ein gepanzerter Mercedes 600 in einen Lastwagen. Drei der vier Insassen waren sofort tot, einer überlebte. Ein Unfall, der den türkischen Staates erschütterte, denn als die Namen der Verunglückten bekannt wurden, ging ein Aufschrei durch das Land, von dem sich die Türkei bis heute nicht erholt hat. In dem Wagen befand sich neben dem Parlamentsabgeordneten Sedat Bucak, der Schönheitskönigin Gonca Uz und dem hochrangigen Polizeifunktionär Hüseyin Kocadag auch Abdullah Çatli - ehemaliger Funktionär der paramilitärisch-faschistischen "Idealistenverbände" und ein international gesuchter Killer. Nur Bucak überlebte - ein Mitglied der damals regierenden Tansu Çiller-Partei DYP, der in seinem Heimatort Siverek eine 10.000 Mann starke Privatarmee gegen die PKK aufgebaut hat. Am Unfallort fand die Polizei einen vom damaligen Innenminister Mehmet Agar unterzeichneten Ausweis, der den Verbrecher Çatli als "Polizeiexperten" auswies, einen Diplomatenpaß, sieben Schußwaffen mit Schalldämpfern und etwas Kokain. Die Medien begannen zu recherchieren - und deckten ein Dickicht von Raub, Erpressung, Rauschgifthandel und Mord auf, in das höchste Regierungsstellen verstrickt waren. Immer mehr Details der engen Verbindung des türkischen Staates zum organisierten Verbrechen und zu Killerbanden drangen in den vergangenen eineinhalb Jahren ans Tageslicht - einer Verbindung unter dem Vorzeichen der vermeintlich notwendigen Bekämpfung der kurdischen Guerilla.

Nun ist es sogar amtlich: Im Kampf gegen seine Gegner war dem türkischen Staat jedes Mittel recht. Er hat Todesschwadrone gegen die kurdische Opposition eingesetzt, ließ kritische Journalisten ermorden, arbeitete eng mit der türkischen Mafia zusammen und beteiligte sich am internationalen Drogengeschäft. Das ist das Fazit einer Untersuchung, die Ministerpräsident Mesut Yilmaz in Auftrag gegeben hatte und deren Ergebnisse er nun in weiten Teilen der Öffentlichkeit präsentierte.

Sonderermittler Kutlu Savas ließ in seinem Susurluk-Untersuchungsbericht nichts aus. Er stellte fest, daß Abdullah Çatli nicht der einzige Killer gewesen ist, mit dem staatliche Stellen intimere Kontakte pflegten. Auch der bis heute flüchtige Mahmut Yildirim soll eine zentrale Rolle bei unzähligen Morden gespielt haben. Der Mann mit dem Decknamen "Grün" arbeitete im Auftrag des Militärs, des Geheimdienstes und des Polizeiapparates. Daneben kassierte er Provisionsgelder aus dem Drogengeschäft. "Es ist schwierig zu erklären, warum die staatlichen Autoritäten mit Grün zusammenarbeiteten, obwohl sie wußten, daß Grün in Fällen von Erpressungen, Vergewaltigungen, Raub, Mord, Folter und Entführung der Täter war."

Etliche politische Morde in Türkisch-Kurdistan können nun als aufgeklärt gelten, beispielsweise jene an dem kurdischen Schriftsteller Musa Anter, dem kurdischen Abgeordneten Mehmet Sincar, dem Parteivorsitzenden der "Arbeitspartei des Volkes", Vedat Aydin. Alle drei sind von Killern im Staatsauftrag umgebracht worden. "Die Entscheidungsbefugnis für Morde im Gebiet des Ausnahmezustandes war in den Händen von Unteroffizieren, stellvertretenden Kommissaren und den übergelaufenen Terroristen.", heißt es in dem Bericht.

Auch der Bombenanschlag auf die pro-kurdische Tageszeitung Özgür Ülke im Dezember 1994 war eine Auftragsarbeit. Der Financier der Zeitung, Behcet Cantürk, sollte "gewarnt" werden: "Der Staat wurde mit Rechtsmitteln mit Cantürk nicht fertig. Folge war, daß die Zeitung Özgür Ülke mit Plastikbomben in die Luft gejagt wurde", stellte der Sonderermittler fest. Doch die Warnung verfehlte ihre Wirkung: "Während erwartet wurde, daß Cantürk sich nunmehr dem Staat fügt, plante dieser eine neue Zeitung. Der türkische Sicherheitsapparat beschloß seine Ermordung, und dieser Beschluß wurde exekutiert."

Glück hingegen hatte der georgische Staatspräsident Eduard Schwewardnadse. Er sollte, laut Aussage des türkischen Staatsministers Eyüp Asik, wegen Unstimmigkeiten beim Bau von Spielcasinos in Georgien ermordet werden. Doch hier versagten die Staatskiller. Erfolgreicher war man hingegen im eigenen Staatsapparat: Offensichtlich kämpfte die Polizei unter Führung des ehemaligen Polizeipräsidenten und späteren Innenministers Mehmet Agar auch gegen den türkischen Geheimdienst MIT. Über 100 Informanten des Geheimdienstes seien zwischen 1992 und 1997 von der Polizei entführt und verhört, fünfzehn umgebracht worden.

Aufgeklärt scheinen nun auch die Hintergründe der Ermordung des Spielcasinokönigs Ömer Lütfü Topal Mitte 1996 zu sein. Topal, dessen Jahresumsatz auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt wurde, hat in großem Umfang mit Politikern und Polizeichefs zusammengearbeitet. Eine nicht erfolgte Zahlung von 17 Millionen US-Dollar an Ankara ist ihm schließlich zum Verhängnis geworden.

Kredite staatlicher Banken sollen direkt in die Hände mächtiger Drogenbosse geflossen sein, heißt es in dem Bericht. Diese hätten sich dafür entsprechend erkenntlich gezeigt. So sei der Wahlkampf von Mehmet Agar von dem Drogenbaron Mehmet Ali Yaprak finanziert worden, dessen Hauptgeschäft die Produktion und der Schmuggel des Aufputschmittels Captagon in arabische Länder ist.

Die Blütezeit der Kollaboration staatlicher Instanzen mit kriminellen Banden waren nach dem Urteil des Sonderermittler Kutlu Savas die Jahre 1993 bis 1996, die Regierungszeit der Ministerpräsidentin Tansu Çiller. Ihr Nachfolger Mesut Yilmaz setzte den Sonderermittler, der dies untersuchen sollte, auch aus Eigennutz ein: Yilmaz hoffte, daß die Untersuchungsergebnisse seine Intimfeindin Çiller endgültig politisch erledigen würden.

Neben den staatsterroristischen Aktivitäten finden sich in dem Bericht auch mehrere Hinweise auf unmittelbare Verstrickungen der Çiller-Familie in rechtswidrige Aktivitäten. Bereits im Dezember hob das türkische Parlament die Immunität der engen Çiller-Vertrauten Mehmet Agar und Sedat Bucak auf. Sie müssen sich wegen Gründung einer kriminellen Bande, Hilfe für steckbrieflich gesuchte Personen und Amtsmißbrauch vor dem Staatssicherheitsgericht in Istanbul verantworten. Auch der ehemaligen Ministerpräsidentin droht die Aufhebung ihrer Immunität. Für sie wird es nun eng: Yilmaz hat angekündigt, eine weitere Ermittlungskommission aus Reihen der Polizei, des Geheimdienstes, des Finanz- und des Zollministeriums bilden zu lassen, die weitere Einzelheiten staatlicher Kriminalität zur Zeiten der Çiller-Regentschaft erforschen soll.

Auch wenn Çillers Karriere mit den jetztigen offiziellen Enthüllungen tatsächlich beendet sein sollte, für den türkischen Staat war ihr verbrecherisches Handeln äußerst effektiv. Im Kampf gegen die kurdische Opposition haben die von ihr bestellten Auftragskiller im Verein mit dem Militär ganze Arbeit geleistet. Die PKK hat ihren Guerilla-Kampf gegen den türkischen Staat verloren. Der Traum eines eigenen Staates scheint auch bei den verwegendsten Kämpfern für die "kurdische Sache" ausgeträumt. Mittlerweile lebt die Mehrheit der türkischen Kurden im Westen der Türkei und nicht mehr in den kurdischen Gebieten - Folge der Zwangsevakuierung von unzähligen kurdischen Dörfern und der Vertreibung von Millionen Kurden aus den ländlichen Regionen. Diese demographische Veränderung ist nicht mehr umkehrbar. Der PKK wurde ihre territoriale Basis entzogen. Das türkische Militär beherrscht heute die kurdischen Städte und Berge. Hinzu kommen die militärischen Niederlagen der PKK im Nordirak. Die "separatistische Bedrohung" gilt inzwischen in Kreisen der türkischen Militärspitze nicht mehr als Hauptgefahr. An deren Stelle steht nun die "Bedrohung durch die religiöse Reaktion".

Inzwischen hat auch PKK-Führer Abdullah Öcalan das Scheitern seiner Guerilla-Strategie erkannt. Es sei für ihn "eine große Freude, Politik für die Türkei zu machen", erklärte er in einem Interview mit dem PKK-nahen Fernsehsender Med-TV: "Damit habe ich keinerlei Schwierigkeiten, wenn es eine rechtliche Garantie und Sicherheit in der Türkei geben würde, und man sich gegenseitig vertraut. Er wünsche sich "eine Neustrukturierung des Staates innerhalb der bestehenden Grenzen" und erstrebe ein legales Agieren der PKK, notfalls auch unter einem anderen Namen: "Wenn die Türkei Angst vor dem Namen unserer Partei hat, sind wir bereit, den Namen zu ändern. Wenn sie Angst vor dem Krieg hat, sind wir bereit, ihn einzustellen."

Seit Monaten sendet Öcalan unablässig Verhandlungsangebote in Richtung des türkisches Staates - Angebote, die einer Selbstaufgabe gleichkommen. So erklärte er in einem Interview mit der liberalen türkischen Tageszeitung Radikal Ende Dezember nicht nur die Zeit für einen "umfassenden Frieden" für gekommen, er rühmte darüber hinaus auch noch ausdrücklich die "fortschrittliche Rolle der türkischen Armee": "Die Armee ist sich im klaren, daß die Zeit gekommen ist, die kurdische Frage zu lösen. Sie weiß, daß sie deshalb intervenieren muß. Diesmal kommt die Intervention mit einem zivilen Putsch."

Öcalans umfassende Friedensbereitschaft ist aus der Not geboren. So heißt es in einem Artikel in der Dezember-Nummer von Özgür Halk, einer inoffiziellen PKK-Zeitschrift: "Wir stehen kurz vor einer Niederlage." Auch wenn demnächst "weitere Schritte in Richtung auf einen Sieg" unternommen würden, könne man die in den vergangenen Jahren entstandene "Verspätung nicht einholen". Weiter heißt es in dem zwölfseitigen Artikel: "So kann man den Krieg nicht weiterführen, alles andere wäre Lüge." Unterschrieben ist der Beitrag mit "Ali Firat" - ein Pseudonym Öcalans.

Offensichtlich befindet die PKK sich in einem desolaten Zustand. Neben den militärischen Niederlagen soll es in der letzten Zeit sogar zunehmend zu heftigen Meinungsverschiedenheiten über den weiteren Kurs zwischen dem bislang absolutistisch herrschenden Führers Öcalan und einem Teil seiner engsten Mitarbeiter gekommen sein. Türkische Zeitungen berichten unter Berufung auf Geheimdienstquellen, daß Öcalans Stellvertreter Semdin Sakik dem PKK-Chef schwere Versäumnisse und Fehler vorgeworfen hat.

Die Regierung Yilmaz wird nicht auf das Angebot Öcalans eingehen. Für sie ist und bleibt er der "Staatsfeind Nr.1". Doch könnte Öcalans Friedensofferte mittelfristig einen Weg aus der Gewaltspirale weisen. Der Druck des Militärs auf die Regierung, eine politische Lösung des "Kurdenproblems" zu finden, wird in der Tat steigen. Inzwischen konstatieren die türkischen Generäle, daß die Armee "bis zum letzten" gegangen sei und nun die Politik handeln müsse. Der militärische Sieg über die PKK müsse mit sozialen und wirtschaftlichen Programmen in den kurdischen Gebieten flankiert werden. Denn die ungelöste "Kurdenfrage" dient den europäischen Regierungen als Vehikel, mit dem der Türkei auch weiterhin der Zugang zur EU verwehrt werden kann. Das ist nicht im Interesse des türkischen Militärs.
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