Was meint ihr denn so dazu. muss man dem mann das antun??
Angriff der Bürger auf die Putsch-Generäle
Der ehemalige Putschist und türkische Staatschef Kenan Evren (li.) mit Premier Recep Tayyip Erdogan
Zäsur: Klagen gegen die Junta von 1980 - Staatsanwaltschaft ermittelt
Im Ruhestand hat er viele Bilder gemalt, so heißt es. Doch spätestens jetzt wird den 93-jährigen General die Muse verlassen haben. Kenan Evren, dem Führer der fünfköpfigen Junta, die 1980 die Macht in der Türkei an sich gerissen hatte, soll der Prozess gemacht werden. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, heißt der Vorwurf. Eine Anschuldigung, die nicht verjährt.
30 Jahre nach dem Umsturz hat die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara auch gegen zwei weitere noch lebende Junta-Mitglieder Ermittlungen eingeleitet. Marinekommandeur Nejat Tümer und Tahsin Sahinkaya, der Chef der Luftstreitkräfte, vom Time Magazine einst als einer der "50 reichsten Generäle der Welt" gelistet, sollen ebenfalls vor Gericht. Für die Türkei ist das ein absolutes Novum, ein Bruch mit der Geschichte der Republik, die der Armee eine Wächterrolle über die Politik und über die Trennung von Staat und Islam gegeben hatte.
Evren hatte schon angekündigt, dass er sich eine Kugel in den Kopf jagen werde, sollte er vor Gericht gestellt werden. Doch die konservativ-islamische Regierungspartei AKP von Premier Tayyip Erdogan lässt nicht locker. "Die Putschführer von 1980 waren eine Mörderbande" , sagt Ömer Celik, Erdogans Stellvertreter im Parteivorsitz, "türkische Bürger sind systematisch ausgelöscht worden."
Evren ließ seinerzeit 50 politische Aktivisten der Linken und der Rechten hinrichten, 650.000 Menschen wurden in den ersten Putschwochen verhaftet, 800 sollen später an den Folgen von Folter oder Hungerstreik gestorben sein. Weil Evren sich 1982, gestützt auf eine neue Verfassung, auch noch für sieben Jahre zum Staatspräsidenten wählen ließ, sind heute noch viele Straßen und Schulen nach ihm benannt. Celik ist das ein Dorn im Auge: "Ich will, dass sein Name aus dem öffentlichen Raum verschwindet."
Ende der Straffreiheit
Mit dem Referendum zur Verfassungsänderung am 12. September, auf den Tag 30 Jahre nach dem Putsch, ist das alles möglich geworden. Die Türken haben mit großer Mehrheit unter anderem auch Artikel 15 der Verfassung gestrichen, der den Putschführern Straffreiheit garantierte. Seither gehen vor den Gerichten in den Großstädten Klagen gegen die alten Junta-Generäle ein, eingebracht von NGOs und linksstehenden Parteien. Ob sie Erfolg haben oder nicht, wird die türkische Innenpolitik in den nächsten Wochen beschäftigen. Denn Männer des alten Regimes, vom Militär einst empfohlen und gestützt, entscheiden über den Junta-Prozess: Hamza Keles, Vize- Generalstaatsanwalt in Ankara, muss nach den Vorermittlungen über die Eröffnung eines Verfahrens befinden. Und dann kommt Abdurrahman Yalcinkaya an die Reihe, Generalstaatsanwalt der Republik und hoher Priester des Säkularismus.
"Yalcinkaya wird sich das in der Tat noch anschauen" , titelte die Tageszeitung Habertürk unter ironischer Anspielung auf ein Lieblingswort von Kenan Evren - "netekim" ("in der Tat" ). Yalcinkaya hatte sich einen Namen gemacht, als er 2008 beim Verfassungsgericht einen Antrag zum Verbot der Regierungspartei AKP einreichte wegen angeblicher Islamisierung des Staates. Yalcinkaya scheiterte knapp. Nun wird er es sein, der Kenan Evren und die anderen Generäle später vor dem Staatsgerichtshof anklagen müsste. (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 21.9.2010)