58 Jahre Haft für ein Kind?
Strassenprotest in Istanbul: Wer für die PKK demonstriert, gilt der türkischen Justiz als Mitglied der verbotenen Kurden-Guerilla.
ISTANBUL. Nach gewaltsamen Protesten für den inhaftierten PKK-Führer Abdulla Öcalan drohen in der Türkei Hunderten kurdischen Kindern und Jugendlichen drakonische Haftstrafen.
Jan Keetman
Die kurdische Protestwelle hatte mit der Behauptung begonnen, der auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft gehaltene PKK-Führer Abdullah Öcalan sei erniedrigend behandelt worden. Sofort flackerten überall im Südosten der Türkei Proteste auf, Jugendliche zündeten Barrikaden an, warfen Steine auf Polizei und Militär.
58 Jahre für Steine werfen?
Die verschiedenen örtlichen Justizbehörden reagierten auf diese Aktionen von Jugendlichen ganz unterschiedlich. In Van wurden festgenommene Jugendliche und Kinder in Gegenwart von Psychologen verhört und dann ihren Eltern übergeben. In Diyarbakir fordert die Staatsanwaltschaft für sechs Minderjährige Strafen von jeweils 23 Jahren Haft. In Adana sollen sechs Kinder im Alter zwischen 13 und 16 Jahren für jeweils 58 Jahre ins Gefängnis! Angeblich haben die sechs Steine auf Polizisten geworfen.
Kinder vertriebener Kurden
Diese Fälle sind nur die Spitze eines Eisberges. Der Anwalt Vedat Özkan aus Adana erklärte in einem Telefongespräch mit unserer Zeitung, dass in Adana in drei Wochen etwa 200 Minderjährige zwischen 12 und 18 Jahren festgenommen wurden. Davon seien 40 oder 50 derzeit in Untersuchungshaft. Die meisten hätten keine Anwälte. Nach Vedat Özkan drohen ihnen allen Strafen um 23 Jahre Gefängnis und ihre Chancen vor Gericht stünden schlecht. Die Polizei habe am Rande von Kundgebungen und Ausschreitungen einfach alle Jugendlichen aufgegriffen, und die Gerichte würden der Polizei glauben. Fast alle Jugendlichen, die an solchen Demonstrationen teilnahmen, kommen aus Familien, die im Rahmen der Bekämpfung der PKK aus Dörfern vertrieben wurden. In Diyarbakir und in Adana bilden diese ehemaligen Bauernfamilien nun ein Subproletariat, von dem ein erheblicher Teil mit der PKK sympathisiert.
Wer protestiert, gehört zur PKK
Der türkische Staat hat mit einer Erneuerung seiner Antiterrorgesetze vor drei Jahren juristisch aufgerüstet. Damit wird nun jeder, der sich an einer Aktion für die PKK beteiligt und sei es nur eine Kundgebung, wie ein Mitglied der PKK behandelt. Nach Vedat Özkan bedeutet das für die festgenommenen Kinder grundsätzlich eine Strafe von mindestens fünf Jahren Gefängnis. Nach Angaben Özkans wurden schon in den Monaten vor den Unruhen im Oktober etwa 200 Jugendliche festgenommen und mit drakonischen Strafen bedroht. Im März 2006 wurden in Diyarbakir über 200 Jugendliche festgenommen, 20 von ihnen sind noch immer im Gefängnis und ihnen drohen Freiheitsstrafen bis zu 20 Jahren. Viele der inhaftierten Minderjährigen kommen aus der Kleinstadt Cizre. Die Unruhen in Cizre hatten schon im Februar vergangenen Jahres begonnen, als der zwölfjährige Yahya Menekse von einem Panzer überrollt worden war.
Zynischer «Strafrabatt»
Türkische Juristen sind der Meinung, die Strafen fielen auf keinen Fall so hoch aus wie gefordert, denn die Minderjährigen könnten von einem «Strafrabatt» bis zu 50 Prozent profitieren.
Quelle: Tagesblatt
Ich meine wenn man sowas liest, kann man echt verstehen, das die Leute auf die Barikaden gehen.
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