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Die blaue Moschee in Hamburg - sie ist offen für den Dialog mit Christen
Muslime in Deutschland
Das Netzwerk der Gutgläubigen
Von Uta Rasche
10. September 2004 Sie engagieren sich in Moscheevereinen und muslimischen Organisationen, studieren und oder lehren Islamwissenschaft, gründen muslimische Verlage oder Buchhandlungen: Deutsche, die zum Islam übergetreten sind. Manche nehmen ihren neuen Glauben so ernst, daß sie mehrere Jahre in Koranschulen in Saudi-Arabien oder Pakistan verbringen. Einzelne drifteten in den Extremismus ab und kämpften in Tschetschenien oder Bosnien als Mudschahedin gegen die "Ungläubigen".
Zahl der Konvertiten steigt
Die Zahl der deutschen Konvertiten zum Islam ist im vergangenen Jahr drastisch gestiegen. Traten nach Angaben des Islam-Archivs in Soest in der Vergangenheit in Deutschland alljährlich bis zu 300 Nichtmuslime zum Islam über, sind es zuletzt 800 gewesen. Mohammed Selim Abdullah, Leiter des Islam-Archivs, führt das auf den Ausbruch des neuerlichen Golf-Kriegs zurück.
Um Muslim zu werden, genügt es, vor zwei Zeugen das Glaubensbekenntnis, die Schahada, auszusprechen: "Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Mohammed sein Diener und Gesandter ist." Moscheevereine, die mit dem Islam-Archiv zusammen arbeiten, schicken dann eine Mitteilung nach Soest. Andere dagegen verzichten auf protokollarische Formalitäten vollkommen.
Eine besondere Biographie - ein besonderes Verhältnis zur Religion
Etwa 800000 Muslime mit deutschem Paß gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei uns. Gebürtige Deutsche sind von ihnen nur wenige. Die Zahl der Konvertiten, Menschen also, die von einer anderen Religion zum Islam übergetreten sind, schätzt man auf 13000 bis 60000. Sie machen zwar unter den mehr als drei Millionen Muslimen in Deutschland nur einen kleinen Teil aus. Doch Konvertiten haben eine besondere Biographie und ein besonders enges Verhältnis zu ihrer Religion - und sind manchmal auch besonders gefährlich. Sie wollen sich selbst und ihren neuen Glaubensgenossen beweisen, daß es ihnen ernst ist mit ihrer Bekehrung. Daher der ausgeprägte Wunsch, sich auf religiösem Gebiet demonstrativ hervorzutun.
Das kennt auch Mohammed Siddiq, ein deutscher Muslim, der mit bürgerlichem Namen Wolfgang Borgfeld heißt. Er ist 60 Jahre alt, mit 18 konvertiert. In der ersten Zeit hat seine Großmutter das Essen für ihn in separaten Töpfen kochen müssen, damit es nicht "unrein" würde. Über Jahre hinweg hat er sich aus religiösen Gründen auch nicht fotografieren lassen. "Mit 16 wollte ich meinen eigenen Weg finden", sagt Borgfeld, den am Islam vor allem "die Einfachheit und Klarheit der muslimischen Gottesvorstellung" faszinierte.
„Der Wunsch, etwas für den Islam zu tun”
Nach Banklehre und nachgeholtem Abitur hat Mohammed Siddiq ("der Wahrheitsliebende") ein Studium der Soziologie und Islamkunde begonnen und ist nach Syrien, Jordanien, Irak, Kuweit, Saudi-Arabien, Marokko, Algerien, Libyen und in den Sudan gereist, wo er vier Jahre lang eine Koranschule besuchte. Nachdem er weitere vier Jahre an einer Koranschule in Medina zugebracht hatte, verspürte er "den Wunsch, etwas für den Islam zu tun". Er zog mit seiner Frau nach Aachen, wo er Besuche von Schulklassen in der Aachener Moschee und Begegnungen deutschsprachiger Muslime organisierte.
Alsbald gründete er einen eigenen Verein, das "Haus des Islam". Mit Spenden von Privatleuten, auch mit Unterstützung von Muslimen aus Kuweit, kaufte er 1983 ein ehemaliges Hotel in Lützelbach, einem Dorf im Odenwald. Hier wohnt Borgfeld heute mit seiner Frau und seinem zwölf Jahre alten Sohn, veranstaltet Korankurse, Ferienfreizeiten, Wochenendseminare zu Fragen muslimischen Lebens und Glaubens und organisiert Wallfahrten nach Mekka und Medina. Er lebt vom Handel mit Parfümölen und von Provisionen für die Abwicklung von Geschäften mit malaysischen Firmen.
„Keine Abkehr vom Christentum”
Wolfgang Borgfeld ist fromm, engagiert und überzeugt, den richtigen Weg gegangen zu sein. "Ich habe meinen Weg nie als Abkehr vom Christsein empfunden", sagt er, "sondern als Weiterentwicklung." Er zitiert einen anderen Konvertiten: "Wir sind die besseren Christen." Das Wort stammt von Ahmad von Denffer, der, ähnlich wie Borgfeld früher, deutschsprachiger Referent am Islamischen Zentrum in München ist. Nach einem Studium der Islamwissenschaft in Mainz hat er die Schule der "Islamic Foundation" in Leicester besucht. Außerdem hat er in München die einflußreiche Organisation "Muslime helfen" ins Leben gerufen, die Muslime in allen Teilen der Welt unterstützt: die Witwen von Srebenica, verletzte Palästinenser, Kriegsopfer in Bosnien und Tschetschenien, Erdbebenopfer in Iran, die muslimische Minderheit in Mindanao auf den Philippinen sowie muslimische Waisenkinder - "denn auch der Prophet Mohammed war Waise", heißt es auf der Website von "Muslime helfen".
Andere Konvertiten geben die "Islamische Zeitung" in Potsdam heraus, der eine Nähe zu rechtsextremem, antisemitischem Gedankengut nachgesagt wird. Auch die "Muslim-Zeitung" in Hannover wird von deutschen Muslimen gemacht. Die Konvertitin Susanne Seifert hat eine islamische Buchhandlung in Wiesbaden gegründet; der Konvertit Hadayatullah Hübsch, Imam der Nuur-Moschee in Frankfurt, hat zahlreiche Bücher über den Islam veröffentlicht. Der Konvertit Christian Abdul Hadi ("der Diener Gottes, des Rechtleitenden") Hofmann, früher Mitarbeiter der CDU, ist zur Zeit damit beschäftigt, in Berlin nach dem Vorbild der Evangelischen und Katholischen Akademien und mit Unterstützung der langjährigen Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John eine "Islamische Akademie" zu etablieren.
Ein Konvertit als erster Professor für Islamische Religionspädagogik
Die derzeit prominenteste Position, die ein deutscher Konvertit innehat, ist die erste Professur zur Ausbildung von Islamlehrern für staatliche Schulen, die an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingerichtet wurde. Muhammad Sven Kalisch, 38 Jahre alt, unterrichtet vom nächsten Wintersemester an muslimische Studenten am "Centrum für Religiöse Studien". Vom Land Nordrhein-Westfalen wird es als großes Integrationsprojekt gepriesen. Dabei ist allerdings völlig unklar, ob Kalisch und die von ihm ausgebildeten Lehrer von den verschiedenen muslimischen Richtungen überhaupt akzeptiert werden.
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