Einzelnen Beitrag anzeigen
  #5279  
Alt 04.04.2005, 21:16
Benutzerbild von delahoyaa
delahoyaa delahoyaa ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 06.05.2008
Beiträge: 0
Standard CDU/CSU und der Armenier-Antrag

Leserbrief an „Welt am Sonntag“

Betreff: „Union will Türkei mit ihrer Vergangenheit quälen - Armenier-Debatte im Bundestag“ vom 3. April 2005 von Jan Rübel


Sehr geehrte Damen und Herren,

leider müssen wir feststellen, dass es Herrn Rübel nicht gelungen ist als Journalist einen objektiven Blick auf die Ereignisse in Ostanatolien während des 1. Weltkriegs zu werfen.

Herr Rübel schreibt, dass „mindestens eine Million Menschen starben.“ Dies ist schwer möglich, da im Osmanischen Reich nur 1.200.000 Armenier lebten von denen 300.000 in den Kaukasus flüchten konnten und 150.000 aus Westanatolien der Umsiedlung entgingen. Unabhängige Historiker sprechen von 600.000 Opfern, Journalisten wie Herr Rübel jedoch von „mindestens eine Millionen“. Es wird auch nie eine Quelle zu dieser Behauptung angegeben, sondern die maßlos übertriebenen armenischen Zahlen ohne jegliche Überprüfung blind übernommen.

Für „viele Türken“ ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kein Tabu, dazu hätte Herr Rübel einen Blick in die türkische Presse werfen müssen, in der tagtäglich die Ereignisse während des 1. Weltkrieg behandelt werden und pro-armenische Historiker zu Wort kommen können. In Armeniern jedoch darf nicht diskutiert werden, man darf nur anerkennen. Die Türkei hat beim Besuch der Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey gesagt, dass man eine neutrale internationale Untersuchungskommission zur Armenier-Frage möchte und Frau Calmy-Rey hat die türkische Position sehr begrüßt. Armenien hingegen lehnt eine solche Untersuchungskommission nach wie vor strikt ab. Armenien möchte sich nicht der Geschichtsaufarbeitung stellen, sondern über politische Instrumente eine Anerkennung erreichen, auch da Herr Rübel meint, dass „die Wissenschaft ihre Arbeit schon getan hat.“

Dass die CDU/CSU die „unannehmbare Resolution“ nur dazu gebraucht, um einer türkischen EU-Mitgliedschaft eine neue Hürde aufzubauen ist richtig, da die CDU/CSU diese Angelegenheit während ihrer 16-jährigen Regierungszeit nicht zum Thema machte und selbst am 75. Jahrestag keine ähnliche Resolution in den Bundestag einbrachte. Damals war die Türkei noch weit davon entfernt, eines Tages EU-Mitglied zu werden. Nun stehen in wenigen Monaten Beitrittsgespräche an und die CDU/CSU greift zu diesem Mittel, nachdem sie mit ihrer Idee einer „privilegierten Partnerschaft“ kläglich gescheitert ist.

Die Debatte ist scheinheilig und in seiner Intension moralisch verwerflich, historische Ereignisse politisch zu instrumentalisieren.
Selbst Hrant Dink (Chefredakteuer der in Istanbul erscheinenden armenischen Zeitung „Agos“) schreibt dazu:
„Die CDU instrumentalisiert die Armenier, damit die Türkei nicht in die EU aufgenommen wird.“

Die Aussage „zwischen europäischer Gedächtniskultur einerseits und türkischer Verdrängungstradition andererseits“ können wir aufgrund des von Frankreich verübten und nicht anerkannten Völkermordes in Algerien, des vom Deutschen Reich verübten und nicht anerkannten Völkermordes an den Hereros und des von Italien verübten und nicht anerkannten Völkermordes in Libyen nicht nachvollziehen.

Dass der Bundestag am 21. oder 22. April über den Völkermord debattieren möchte ist das einzigartige an dieser politisch motivierten Aktion. Es gibt kaum ein historisches Gebiet, wo dermaßen viele Geschichtsverfälschungen verbreitet wurden und diese sind allesamt nichttürkische Quellen. Letztendlich möchte man auf politischer Ebene Tatsachen schaffen, ohne dass die historische Erkenntnisgewinnung abgeschlossen wird. Hier wird versucht Geschichte mit der Holzhammermethode den Menschen aufzuoktroyieren. Es ist die Sache der Historiker die Geschichte zu bewerten und nicht der Politiker oder der Gesetzgeber.

Die Verständigung zwischen Herr Rübel und dem türkischen Botschafter Herrn Irtemcelik scheitert, weil man ihn vor vollendeten Tatsachen stellen will und verbal lyncht, wenn er von der offiziellen armenischen Ansicht abweicht.
Herr Rübel wirft Herrn Irtemcelik vor, die Massaker an den Armeniern relativieren zu wollen um im nächsten Schritt selber die Massaker an den Muslimen zu relativen. Nicht nur werden die muslimischen Opfer verleugnet, sondern auch verhöhnt, weil man deren Tod für legitim befindet. Wenn Herr Rübel die Zahl der muslimischen Opfer „grotesk übertrieben“ findet, sollte er türkischen Migrantenfamilien, unter denen es viele türkische und kurdische Familien aus Ostanatolien gibt, einen Besuch abstatten. In jeder dieser Familien kann Herr Rübel mindestens ein Familienmitglied finden, welches im 1. Weltkrieg von armenischen Rebellen ermordet wurde.

Dass Herr Rübel Herrn Irtemcelik vorwirft, die „Fakten zu verwischen“ ist ein altbekanntes Muster: Wenn es aus türkischer Seite kommt, dann werden die Argumente sofort ignoriert und ins Lächerliche gezogen, ohne sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.
Umso erstaunlicher ist die Ignoranz, wenn man bedenkt wie oft grobe Geschichtsverfälschung auf armenischer Seite verbreitet wurde und wie oft diese Geschichtsverfälschung revidiert werden musste.

Dass das Osmanische Reich gegen eine Autonomie der Armenier war, ist besonders in Kriegszeiten verständlich. Wie hätte Frankreich reagiert, wenn es um das nackte Überleben der Republik geht? Frankreich ging sogar extrem brutal gegen die Zivilbevölkerung vor, wenn es selbst in den Kolonien Aufstände gab. Die anderen klassischen Kolonialländer waren nicht weniger zimperlich, und es handelte sich immerhin um Kolonien und nicht um das eigene Land.
Kein Staat duldet die Abspaltung einer Minderheit, hierzu verweisen wir auf die ETA in Spanien, die FLNC auf Korsika und die IRA in Nordirland. Zudem genossen die Armenier Autonomie im Sinne des Millet-Systems.

Wir möchten anmerken, dass es nicht wie Herr Rübel meint um „Zeitaufschub“ sondern um eine sachlich fundierte Geschichtsaufarbeitung geht. Man scheint nicht daran interessiert zu sein, die Geschichte objektiv aufzuarbeiten. Das ist bitterlich nötig, wenn man sich vor Augen führt, dass bisher fast sämtliche Quellen auf armenischer Seite revidiert werden mussten. Es gehört eine ordentliche Portion Ignoranz dazu, dies nicht sehen zu wollen.

Der Türkei wird vorgeworfen, dass ihre Demokratie „unfertig“ sei. Andererseits wird der russische Präsident Wladimir Putin, der für den Völkermord in Tschetschenien verantwortlich ist, vom Bundestag eingeladen und es wird ihm erlaubt im deutschen Parlament eine Rede zu halten. Soviel zum Thema „europäische Gedächtniskultur einerseits und türkische Verdrängungstradition andererseits“.

Mit freundlichen Grüßen

Türkische Internet Community

www.tic.de.tp
www.politikcity.de