Die Geschichte des Abu Karim
In einem Dorf, das es heute nicht mehr gibt, war Abu Karim ein angesehner Mann. Er hatte einen kleinen Laden, in dem er Schreibwaren und Lebensmittel verkaufte. Während des Krieges im Jahre 1948 stürmten israelische Einheiten das Dorf und versammelten die Einwohner auf dem kleinen Marktplatz. Auch Abu Karim stand in der menge der Dorfbewohner. Der Mann, der die Soldaten befehligte, fragte nach dem Sprecher des Dorfes. Da trat Abu Karim hervor. Hinter ihm standen seine zwei Kinder und seine Frau, die aus Angst um ihren Vater und Ehemann weinten. Der israelische Offizier ging auf sie zu. Er fragte: „Deine Tochter?“ Abu Karim antwortete: „Munna!“ Sie weinte. Der Offizier nahm sein Revolver aus dem Halfter und zielte auf ihrem Kopf mit großen dunklen Augen, die Ausdruck endlosen Entsetzens waren. Es war still. Niemand wagte auch nur einen Laut von sich zu geben. In der Luft lag eine unermessliche Anspannung. Dann fielen zwei Schüsse. Im nächsten Moment fiel Munna rücklings zu Boden. Mit aller Wucht schlug ihr Kopf auf. Blut tropfte aus ihrem langen Braunen Haar und versicherte in der sandigen Erde. Abu Karim starrte fassungslos auf den leblosen Körper seiner Tochter. Dann schritt er zwischen den Soldaten hindurch, hob die tote Munna auf und trug sie gesenkten Blickes die Straße entlang, bis er hinter einer Mauer verschwand. Zurück blieb nur einen rote Spur von dem Blut, das aus ihrem Kopf rann.
Abu Karims Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Sie weinte und schrie „Allahu Akbar! Allahu Akbar! Gott ist groß! Gott ist groß!“ Einer der Soldaten trat an sie heran und befahl ihr zu verstummen. Doch der Schmerz von Abu Karims Frau war zu stark. Das blutende Herz der Mutter, deren Kind vor ihren Augen erschossen wurde, musste sein Leid hinausschreien. Nachdem die jammernde Frau dem Soldaten nicht gehorcht hatte, begann er sie mit seinen Füßen in den schwangeren Bauch zu treten. Sie fiel zur Seite und er trat weiter auf sie ein. Dann setzte er die Mündung seines Gewehres an ihren Kopf und drückte ab. ES FIEL EIN SCHUSS.
Als Abu Karim zurückkehrte, war seine Kleidung blutverschmiert. Seine Hände und Ärmel waren dreckig. Er hatte seine Tochter auf dem nahe gelegenen Friedhof begraben. Als er bleich vor Entsetzen auch seine Frau auf der blutroten Erde erblickte, hob er sie auf und trug sie gebeugten Ganges wieder die Straße hinunter, bis er erneut hinter der Mauer zum Friedhof verschwand.
Der Sohn von Abu Karim war noch jung. Vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Er weinte und weinte und weinte. Zusammen mit all den Menschen, die hilflos um ihn herumstanden. Er klammerte sich an den Rock einer Frau, vergrub sein Gesicht darin und versteckte sich. Sie drückte sein Kopf mit einer Hand an ihre zitternde Hüfte. Dann sackte der kleine Karim in sich zusammen.
Der Offizier erblickte den laut schluchzenden Jungen und befahl ihm, hinter dem Rücken der Frau hervorzukommen. Als Karim nicht gehorchte, ging der Offizier auf ihn zu, riss ihn an seinem rechten Arm hervor und schleifte ihn über den Boden. Dann ließ er ihn liegen und ging um das kleine wehrlose Kind herum. Die Menschen hielten den Atem. Dann fielen zwei Schüsse, die dem kleinen Jungen die Brust durchlöcherten. Er bewegte sich noch, rang nach Luft, bevor das Leben sein Kinderkörper entschwand.
Nachdem Abu Karim auch seinen Sohn beerdigt hatte, forderten die Juden ihn auf, mitzukommen. Er sagte aber, dass er noch seinen Ausweis holen müsse. Dann verschwand er einen Moment in seinem Laden, welcher sich gleich an dem Platz befand, auf dem sie standen. Schließlich gaben sie den Dorfbewohner nur wenig Zeit, ihre Habseligkeiten zusammenzupacken, zerstörten vor ihren Augen ihre Häuser und Geschäfte, legten sie in Schutt und Asche und trieben die Menschen wie Vieh vor sich her, um sie irgendwann ihrem Schicksal zu überlassen. Abu Karim hatten sie jedoch mit in das Militär-Hauptquartier genommen. Man erzählt, dass dort wenig später eine Bombe explodiert und unzählige israelische Soldaten den wohlverdienten Tod fanden. Abu Karim konnte jedoch nicht beerdigt werden.
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