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Alt 09.05.2004, 03:08
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Standard Zensor USA

ZENSOR USA

Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird

Kristina Borjesson (Hg.)

Pendo Verlag (2004); ISBN: 3-85842-577-X



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Charlotte Dennet: Das große Spiel ums Öl: die bruchstückhafte Berichterstattung im Kampf gegen den Terror

- "Pipelinepolitik"
Michael Levine: Die großen Lügen im Kampf gegen die Drogen

John Kelly: Verschwiegene Verbrechen ?Die CIA und das Gesetz


Kristina Borjesson: Die ungeklärte Ursache für den Absturz der TWA 800

Hierzu nur ein externer Link zur "Flight 800 Independent Researchers Organization", die zum Thema ebenfalls recherchiert hat (Link stammt aus dem Buch).




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JeanZiegler*: Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe


Die Agonie der Freiheit

Zensor USA. Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird ist ein bedeutsames, -wichtiges und vor allem hochaktuelles Buch.

Ein Buch nur für Amerikaner? Keineswegs. Die Weltmacht USA führt präventive Kriege. Im Nordkaukasus unterstützt sie Putins Vernichtungsfeldzug gegen die Tschetschenen. In Palästina finanziert und fördert sie Sharons Staatsterror gegen die wehrlose Zivilbevölkerung. Mit dem Völkerrecht hat sie offiziell gebrochen, und die Vereinten Nationen beschimpft ihr Verteidigungsminister mindestens dreimal am Tag. Kurz: Zur Durchsetzung eigener, engster Öl- und Finanzinteressen verwüstet die Bush-Clique derzeit den Planeten. Sie maßt sich an, im Namen des diffusen »Krieges gegen den Terror« weltweit allen Völkern und Staaten, auch der Schweizerischen Eidgenossenschaft - ihre Gewalt- und Desinformationsstrategie aufzuzwingen.

Publishers Weekly ist die prestigereiche Branchenzeitschrift der nordamerikanischen Verlags- und Pressezunft. Normalerweise ist ihre Sprache vornehm zurückhaltend. Werturteile scheut sie wie der Teufel das Weihwasser. Zu diesem Buch aber sagt sie: »Jeder normale Leser, der dieses Buch oder auch nur einzelne Essays daraus liest, wird entsetzt sein. Die Berichte darüber, was hinter den Fassaden der mächtigsten Fernseh-, Radio- und Zeitungsgesellschaften gegenwärtig vor sich geht, provozieren einen Schock.«

Die Zensur der freien Gedanken, des investigativen Journalismus, der vorurteilslosen Berichterstattung ist das wussten schon die Römer - die ultima ratio regnum, die letzte und effizienteste Waffe des Imperiums.

Die »Bush-Männer« hassen das Wort »Zensur«. Ihnen liegt am Erhalt der demokratischen Fassade. Sie haben für ihre Verschleierungs- und Aggressionsstrategien einen schönen, komplizierten und fast unverdächtigen neuen Namen erfunden: Reality perception control, so heißt die ultima ratio, die höchste Waffe des Bush-Wallstreet-Öl-lmperiums.

Der französische Philosoph Guy Deborde schreibt: »Pour la premiere fois les memes sont les maitres de tout ce que l"on fait et de tout ce que l"on en dit.« (Zum ersten Mal sind dieselben Leute Herr über alles, was getan, und über alles, was darüber gesagt wird.) Deborde war ein Visionär. Er schrieb bereits vor fünf Jahren über das, was wir alle heute konkret und täglich erleben.

Wie funktioniert die "Reality perception control" der Bush-Männer. Die vorliegende eindrückliche Essay-Sammlung von fast zwei Dutzend hochkompetenter, mutiger, investigativer amerikanischer Journalisten gibt detailliert Auskunft darüber. Ich versuche zu systematisieren.

»Buzzsaw« ist der zentrale Begriff im amerikanischen Originaltitel des Buches. Er heißt wortwörtlich »Kreissäge«. In dieser Ausgabe wird er mit dem Ausdruck »ins offene Messer« übersetzt. Damit wird die gesamtamerikanische Maschinerie der Informationsverhinderung, Präventivzensur und Ausschaltung unbotmäßiger Journalisten bezeichnet. Die bezahlten Söldner der Großkonzerne und der staatlichen Exekutivgewalt verhindern mit allen - wörtlich: allen - Mitteln das Erscheinen kritischer Berichte über die gelebte Wirklichkeit der Bürger. Ein Fernsehreporter, Journalist oder Buchautor, der sich diesem Diktat nicht beugt, wird gnadenlos verfolgt. Seine Karriere wird gebrochen, wie zahlreiche dokumentarisch belegte Beispiele in diesem Band schockierend aufzeigen.

Gore Vidal berichtet folgenden Vorfall: Im Nachrichtensender CNN bedrohte der Sprecher des Weißen Hauses, Arie Fleischer, ganz unverfroren das versammelte Pressecorps der Vereinigten Staaten: »You better watch what you say.«

Was ist die unmittelbare Folge solch hochoffizieller brutaler Drohungen? Charlotte Dennett gibt in ihrem ausgezeichneten Essay »Das Große Spiel ums Öl« (vgl. S. 24) eine lapidare Antwort: »Selbstzensur«. Selbstzensur des Reporters, Journalisten oder Buchautors. Selbstzensur des Produktionsleiters, Redakteurs oder Verlegers. Und Selbstzensur der von der Zensur nicht direkt betroffenen Medienunternehmen, die sich scheuen, über das, was dem konkurrierenden Unternehmen zustößt, auch nur mit einem Wort zu berichten.

Die Methoden und Schliche der von den Bush-Männern erfundenen und mit kaltem Zynismus durchgeführten Realtiy perception control sind vielfältig. So werden in den USA neuerdings landesweit die Lesegewohnheiten der Bibliotheksbesucher kontrolliert. Auch die größten und finanziell mächtigsten Verlage werden angehalten, möglichst keine arabischen Autoren zu verlegen. Die Manuskripte von Autoren, welche die Ölkriege der Bush-Junta kritisch untersuchen, sterben meist bereits auf dem Tisch des Verlagslektors.

Das vorliegende Buch gibt Auskunft über den langen, erstaunlichen Kampf, den Michael Moore gegen seine eigenen Verleger geführt hat. Moore gewann ihn schließlich, sein Buch Stupid white men erschien und wurde zum Weltbestseller. Aber Moores Sieg ist eine einsame Ausnahme.

Eine wahrhaft beeindruckende Erfindung der Bushschen Zensur- und Lügenfabrik sind die so genannten »eingebetteten Journalisten«. Der Krieg zur Eroberung der irakischen Ölquellen sollte in voller Transparenz und unter aktiver Anteilnahme der Öffentlichkeit, das heißt der Presse, geführt werden. Es stellte sich das Problern: Wie kann man freien Journalisten den Zugang zum Schlachtfeld ermöglichen und gleichzeitig ihre freie, eventuell kritische Berichterstattung verhindern?

Charlotte Dennett beschreibt die Methode. Ausgewählte Journalisten werden ausgewählten Kampfeinheiten zugeteilt. Sie leben, essen, reisen mit der Einheit. Sie können die Soldaten befragen. Sie fahren in gepanzerten Armeefahrzeugen in die eroberten Städte und Dörfer ein. Sie dürfen sich nicht von der Einheit entfernen. Kriegsopfer bekommen sie grundsätzlich nie zu Gesicht. Mit jemand anderem als den Soldaten zu sprechen ist verboten. Bevor der »eingebettete« Journalist seinen Bericht an seine Redaktion im fernen Amerika oder auf einem anderen Kontinent schickt (eingebettet waren nicht bloß amerikanische Korrespondenten), muss er ihn dem kommandierenden Offizier der betreffenden Einheit vorlegen.

Der Offizier kann den Bericht zensieren oder vollständig verhindern. Seine Legitimation? Die »operative Sicherheit«.

Während des Vormarsches von Kuwait nach Bagdad im zweiten Irakkrieg 2003 haben zahlreiche amerikanische Kampftruppen, vor allem in der Gegend von Kerbala und Najaf, aber auch in den südlichen Vorstädten von Bagdad, in blutrünstiger Grausamkeit auf alles geschossen, was sich bewegte. Gemäß Schätzungen der UNO sind rund 11 000 irakische Zivilisten ? Frauen, Kinder und Männer ? massakriert. Zehntausende mehr verstümmelt oder verbrannt worden. Beunruhigte amerikanische Fernsehreporter und Journalisten wollten über das eine oder andere Massaker berichten. Dem kamen die Pentagon-Bürokraten zuvor. In einem Interview mit der Washington Post erklärt Oberstleutnant Rick Long: »Reporter sollten nicht unabhängig nach Tatsachen forschen ...Wenn etwas Schlimmes passiert, ist es Aufgabe des Militärs, Ermittlungen anzustellen.«

Eines der dunkelsten Kapitel der Reality perception control ist das Töten von Journalistinnen und Journalisten. Berühmt und immer noch ungelöst ist der Fall von James H. Hatfield.

Hatfield hatte die Maxime von Thomas Jefferson wörtlich genommen:: »Wenn ein Mann ein öffentliches Amt annimmt, sollte er sich als öffentliches Eigentum betrachten.« Hatfield schrieb die erste, akribisch recherchierte Biographie über George W Bush. Ihr Titel: »Das Bush-Imperium. Wie George W. Bush zum Präsidenten gemacht wurde.« Hatfield war ein hervorragender Journalist. Er lebte in Texas. Seine Frau Nancy gehört in fünfter Generation der republikanischen Aristokratie an. Noch während der Arbeit am Buch wurde Hatfield mit Drohungen, Erpressungs- und Korruptionsversuchen eingedeckt. Gegen massivsten Widerstand publizierte ein Kleinverlag das Manuskript (in dem unter anderem zum ersten Mal der Drogenkonsum des Kandidaten belegt wurde).

Prozesse und öffentliche Diffamationskampagnen ruinierten den Autor psychisch und finanziell. Am 18. Juli 2001 wurde Hatfield in seinem Haus in Dallas tot aufgefunden. Die lokale Polizei vermutete Selbstmord, die Familie Mord.

In Bagdad war das Palestine-Hotel, nicht weit vom Tigris-Ufer, das Hauptquartier der nicht »eingebetteten« ausländischen Kriegskorrespondenten. Seine Lokalisierung und Funktion war dem Pentagon bestens bekannt. Kurz nach der Eroberung von Bagdad fuhr ein amerikanischer Panzer vor dem Hotel auf und beschoss das Gebäude mit Granaten. Ein britischer und ein spanischer Reporter wurden getötet, andere verletzt.

Auch andere Fernsehreporter hatten dramatische, dem Pentagon nicht genehme Bilder gesendet. Beispiel: die arabischen Sender al-Dschasira und Abu Dhabi TV. Amerikanische Panzer beschossen die Büros der beiden Sendeanstalten in Bagdad. Sie töteten einen der wichtigsten und kompetentesten Korrespondenten von al-Dschasira und verletzten mehrere seiner Kollegen.

Der Pendo Verlag, dem das hohe Verdienst der Entdeckung dieses Buches für den deutschen Markt zukommt, fragte mich im Oktober, ob ich das Vorwort schreiben wolle. Alljährlich im November muss ich in NewYork vor der UNO-Generalversammlung meinen Bericht über die Vor- und Rückschritte des Menschenrechtes auf Nahrung verteidigen. Wegen der Anfrage des Pendo Verlags ließ ich mir bei der Erstellung des letztjährigen Arbeitsprogramms Zeit für die Lektüre der lokalen und nationalen amerikanischen Presse und die Verfolgung der wesentlichen Fernseh- und Radiosendungen.

Das Resultat? Am 15. November 2003 wurde der Kommandant der 101. Airborne Division im Irak, General Sanchez, zwanzig Minuten lang vom Chefreporter der FOX-News live über die Lage am Tigris befragt. Der General gab die üblichen Propagandasprüche von sich. Der Chefreporter nickte verzückt, stellte nicht eine kritische Frage und spickte sein ganzes Kurtisanen-Interview mit stets wiederkehrenden devoten Sätzen wie: »lf i"ll get you right, general ... Did l understand you correctly, general?« Kurz: Hofjournalismus, wie man ihn sich klebriger nicht vorstellen könnte.

Ebenfalls in der zweiten Novemberhälfte fanden auf drei Kanälen (CBS, NBC,ABC) Diskussionen über die Rechtmäßigkeit der Folter von Gefangenen statt. Angeleitet von israelischen Folterspezialisten quälen amerikanische Sicherheitsleute inzwischen von Guantanamo über Kuwait bis Afghanistan nicht nur Verdächtige, sondern auch ihre völlig unverdächtigen Familienmitglieder und Bekannte. Methode: langfristiger Schafentzug; Einpferchung des Gequälten in engste Betonzellen, in denen er (oder sie) weder liegen noch stehen, noch sitzen kann; nervenzerstörende Lärmerzeugung 24 Stunden am Tag, etc.

Während dreier Diskussionsrunden hörte ich nur einmal einen harten Protest gegen die Folter - von einem jungen Vertreter der Organisation Human Rights Watch. Alle anderen Gesprächsteilnehmer ? Universitätsprofessoren, FBI-Leute, Journalistinnen und Journalisten ? fanden, dass die fortgesetzte präventive Folter nicht nur Verdächtiger, sondern auch bloß mit dem Verdächtigen liierter Personen zu Zeiten des »Krieges gegen den Terror« durchaus wünschenswert sei. Auch Sippenhaft und systematische Zerstörung von Wohnhäusern, in denen der Verdächtige vielleicht einmal eine Nacht verbracht hat, seien rechtmäßig und wünschenswert.

Jeder weiß, dass, seit Gamal Abdel Nasser 1954 die ersten »Muslimischen Brüder« hängen ließ, der Hass zwischen arabischen "Nationalisten" und islamischen Fundamentalisten unauslöschlich und vehement ist. Das gilt heute von Marokko bis Bahrein, vom Sudan bis in den Irak. Trotzdem publizierte das zweitgrößte Massenblatt NewYorks The NewYork Post (das größte ist Daily News) während dreier Novemberwochen eine Serie völlig undokumentierter substanzloser Artikel über die »intime Zusammenarbeit« vor dem 11. September 2003 zwischen Osama bin Laden und Saddam Hussein.

Das vorliegende brillante Buch ist eine Sammlung von Essays ganz verschiedener, aber gleicherweise renommierter amerikanischer Journalistinnen und Journalisten. Viele Essays behandeln Erfahrungstatbestände, die nichts mit dem »Krieg gegen den Terror« zu tun haben. Die amerikanische Lügen- und Informationsverhinderungsstrategie, die wir heute erleben, ist das ins Extrem gesteigerte Stadium der Zensurmethoden, die teilweise bereits früher zur Anwendung gekommen sind und von denen ? weil sie sie am eigenen Leibe erfahren haben - die Autoren dieses Bandes kenntnisreich berichten. Mein Vorwort konzentriert sich auf dieses extreme Stadium, den Reality perception control-Feldzug der Bush-Männer und ihrer Komplizen.

Ich liebe die unglaublich komplexe nordamerikanische Gesellschaft, ihre multikulturellen Wurzeln, die Warmherzigkeit ihrer Menschen. Ich habe lange Jahre in Amerika studiert und dort auch gearbeitet. Diese Jahre gehören zu den schönsten, instruktivsten meines Lebens. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine Zivilgesellschaft von der Effizienz und dem Mut der amerikanischen. Die Bewegung gegen den Vietnamkrieg hat einen amtierenden Präsidenten zum Verzicht auf die nächste Kandidatur gezwungen. Die basisdemokratische Opposition in den späten Sechzigerjahren des 20.Jahrhunderts gegen die Rassendiskriminierung gehört zu den Sternstunden der Menschheit. In den späten Achtzigerjahren hat der Präsident der sozialistischen Internationalen Willy Brandt den amerikanischen Ex- Jesuiten und Kriegsdienstverweigerer Michael Harrison mit der Ausarbeitung des neuen, noch heute gültigen Programms der Sl betraut.

Dieses Buch zeugt vom klugen, mutigen und zu wenig beachteten Kampf isolierter Journalistinnen und Journalisten gegen die bodenlose Arroganz der Konzerne und ihrer Söldner im Weißen Haus. Die Autoren dieses Buches kämpfen für uns alle, auf weichem Kontinent wir auch wohnen. Sie kämpfen gegen den gemeinsamen Feind, für die gemeinsame Hoffnung. Die Hoffnung auf Gedankenfreiheit, Informationszirkulation und freie, kritische Debatte. Information und Kritik sind der Atem der Demokratie. Wer eine zensierte Weltsicht hat, ist fremdbestimmt. Nur informierte Menschen sind freie Menschen.

Wendell Philipps schreibt: »Eternal vigilance is the price of liberty.«

Die Autoren dieses Buches sind Wächter in der Nacht, sie sind die Vorfahren der Zukunft. Für ihre Widerstandskraft, die leuchtende Evidenz ihrer Überzeugungen, für ihren persönlichen Mut schulden wir ihnen tiefe Dankbarkeit und Bewunderung.

Jean Ziegler
Genf im Januar 2004