Kaffeehausphilosophen
Man stelle sich eine sonnendurchflutete Staßencafè - Situation vor. Wir richten unser Augenmerk auf vier junge Leute an einem Tisch. Ein Junge, ein Mädchen, einander gegenüber sitzend, unterhalten sich ganz offensichtlich über Menschen die nicht anwesend sind. Es verbleiben, ebenfalls einander gegenüber sitzend, der Junge A, ein Exot, und der Junge B, stämmig und fast kahl rasiert. Das Alter aller vier ist bei etwa zwanzig anzusetzen, wobei das Mädchen aussieht als sei sie 15. Man konsumiert Getränke und es wird geraucht.
A: Die Zeit der übelste Hohn, dem die Menschheit unterworfen ist. Man wird als Mensch zwar sowieso andauernd verarscht, aber das Phänomen >vergehende Zeit< ist der größte Beschiss... A zieht heftig, aber mit ehrlicher Wut an seiner Zigarette.
B: Ja, es erfordert immer unheimlich viel Zeit, einen Raum zu durchqueren. Wenn es Zeit und Raum nicht gäbe, bräuchten wir nur mit dem Finger zu schnippen (schnippt mit dem Finger) und wir säßen jetzt zum Beispiel in Florenz.
A: (verträumt) Florenz ist das hier mit Sicherheit nicht.
Er wirft einen leicht spöttischen, fernweherfüllten Blick in die kleinstädtische Fußgängerzone – Straßencafè- Szenerie. In schöner Regelmäßigkeit flanieren entsetzlich unförmige Frauen (maria!) vorbei, die ihren Mitmenschen voller Stolz den wahrscheinlich dicksten 104 kg Hintern der Welt – zumindest der Europäischen Gemeinschaft – in geradezu beängstigend knappen Röcken präsentieren.
A: .. Es ist wahrscheinlich weit nach Italien. (Nachdenklich) vielleicht ist der Raum ja ursprünglich Schuld.
B: An was?
A: Na an der Zeit. Wenn es den Raum nicht gäbe, bräuchte man auch keine Zeit, ihn zu durchqueren.
B: Das stimmt!
A: Und das Absurdeste daran ist: Weder Raum noch Zeit müssen existieren. Kant lehrt, sie existieren als Kategorien in unserem Verstand, eine praktische Erfindung des Gehirns, die hilft, Sinneseindrücke zu ordnen. Mehr nicht. Um Zeit und Raum zu überwinden, müssen wir lediglich unserem Hirn diese beiden blödsinnigen Kategorien abgewöhnen.
B: Nur schade, dass die Welt ohne ihre räumliche Ausdehnung kaum vorstellbar ist. Und wo der Raum sich erst einmal ausgedehnt hat, da ist die Zeit auch nicht mehr weit.
A: Man müsste doch einfach nur lernen, sich das Unvorstellbare vorzustellen. Fangen wir mit etwas Profanem an, zum Bespiel mit der vierten Dimension.
B: Das ist aber schwer.
A: Es kann nicht so schwer sein. Es doch alles nur in unserem Kopf. Raum und Zeit sind sozusagen lediglich kollektive Geisteskrankheiten.
B: Mit der These könntest du glatt irgend so eine obskure Sekte gründen.
A: Eine, die dann unglaublich kostspielige Kurse anbietet, um die Leute von dieser Krankheit zu heilen?
B: Ja, indem man ihnen beibringt, sich die vierte Dimension vorzustellen.
A: Keine schlechte Idee.
Den Rest des Nachmittags versuchen die jungen Leute vergeblich den Kellner auf sich aufmerksam zu machen, um zu zahlen und ihre Plätze mit guten Gewissen verlassen zu können.
Für Darya und Caspar
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