Erdogans Anti-Putsch-Operation "Schmutzige Hände"
Die Türkei erlebt den wohl größten Korruptionskandal der jüngeren Geschichte. Betroffen sind Minister aus dem inneren Kreis Erdogans. Der Premier spricht von einer Verschwörung – und schlägt zurück. Von Boris Kálnoky , Budapest
Drei Ministersöhne verhaftet. Anträge zur Aufhebung der Immunität von vier Ministern aus dem inneren Kreis des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan, darunter EU-Minister Egemen Bagis – das Gesicht mit dem die Türkei die EU von ihrer Fortschrittlichkeit überzeugen will.
---> Korruptionsvorwürfe in dreistelliger Millionenhöhe rund um Embargo-umgehenden Goldhandel mit dem Iran.
-----> Abgekartete staatliche Aufträge und fragwürdige Baugenehmigungen trotz Natur- und Denkmalschutz.
-----> Das sind die Zutaten des größten politischen Dramas der türkischen Geschichte in neuerer Zeit.
Laut türkischen Medienberichten soll allein Wirtschaftsminister Zafer Caglayan – nach Ansicht der Staatsanwälte – Schmiergeldzahlungen in Höhe von rund 40 Millionen Euro kassiert haben.
Wenn auch nur ein Bruchteil der Vorwürfe der Staatsanwälte stimmt, dann erlebt die Türkei derzeit den größten Korruptionskandal, an den sich irgendjemand erinnern kann. Nicht, dass es früher viel anders gewesen wäre. Aber in einem Land ohne jede Kultur von Transparenz und Verantwortung ist es eben nicht üblich, dass solche Dinge aufgedeckt werden.
"Dunkle Mächte" wollen ihn stürzen
Dass es nun geschieht, liegt nur daran, dass ein zentraler Akteur im Kampf um die politische Macht einen anderen erledigen will. Der Angegriffene ist Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Er sagt es selbst, "dunkle Mächte" im In- und Ausland wollen ihn stürzen, ebenso ein "Staat im Staat" in der Türkei.
Erdogan verglich die Ereignisse mit dem sogenannten "postmodernen Coup" von 1997/98, als die damalige Führung unter Fundamentalistenführer Necmettin Erbakan von informellen Machtstrukturen des damaligen kemalistischen Establishments zum Rücktritt gezwungen wurde.
-----> Dieser Satz Erdogans war eine unverhüllte Drohung: Wenn er den Machtkampf überlebt, könnten jene, die seine Leute der Korruption überführen wollen, als "Putschisten" im Gefängnis landen.<------------
Wer "jene" sind, die ihm an den Kragen wollen, gilt zumindest in den türkischen und internationalen Medien als gesichert: Der in den USA lebende Prediger Fetullah Gülen und seine in der Türkei sehr einflussreichen Netzwerke frommer Sympathisanten. Natürlich traut sich die Regierung nicht, ihn beim Namen zu nennen, auch wenn ihre Umschreibungen nur auf ihn passen. Und natürlich trauen sich Gülen und seine Leute nicht zu sagen, dass sie es sind, obwohl ihre Führungsfiguren und Medien aus allen Rohren auf Erdogan feuern.
Es geht um Posten, Pfründe und Strömungen
Der Konflikt zwischen Erdogan und Gülen hat wahrscheinlich wenig mit Ansichten zu tun, es geht um Posten und Pfründe und darum, welche Strömung innerhalb des islamischen Lagers die Führungsrolle übernimmt, nachdem die alte kemalistische Elite und das einst säkular gesinnte Militär ihren Einfluss weitgehend verloren haben.
Dass es ein Kampf um Leben und Tod ist, der erst aufhören wird, wenn einer der beiden entmachtet ist, wurde deutlich, als am Donnerstag ein Sex-Video ins Internet gestellt wurde, das angeblich Erdogans Bruder zeigen soll.
Vorige Woche hatte Gülen in einer Videobotschaft dunkel angedeutet, dass manche türkische Politiker ein Prostituierten-Problem hätten. Er sei – so zitierte ihn die "Financial Times" – per Telefon informiert worden, das eine "hochrangige Persönlichkeit" auf dem Weg zu einer Prostituierten sei, und habe diesen dann warnen lassen, davon abzusehen, um ihn vor Fallen zu schützen. Er wisse von etwa zehn ähnlichen Begebenheiten, wurde Gülen zitiert.
Im Klartext: Hier ist ein Mann, der über welche Kanäle auch immer über das heimlichste Privatleben der wichtigsten Akteure in der Türkei informiert ist. Eine Warnung an die Regierung, kaum verhüllter als Erdogans Putschisten-Analogie.
...
http://www.welt.de/politik/ausland/a...ge-Haende.html