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Alt 11.08.2013, 16:32
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benekalice benekalice ist offline
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Standard Dei Verpestung der Gehirne2

Die von Gülen gepredigten Werte Fleiß, Selbstdisziplin und Sparsamkeit entsprechen dem Selbstbild dieser „anatolischen Tiger“. „Für Ausdauer und Geduld werden wir mit Erfolg belohnt; die Strafe für Trägheit ist Mittellosigkeit“(5), heißt es so in Gülens "Grundlagen des islamischen Glaubens", sodass manche Kritiker dem Imam eine „protestantische Koran-Auslegung“(6) vorwerfen und die geschäftstüchtige Gülen-Bewegung mit ihrer neoliberalen Agenda als Calvinisten des Islam bezeichnen. Die Gülen-Bewegung ist eine im religiösen Gewand auftretende konservative Emanzipationsbewegung der anatolischen Kapitalisten und der unter dem Kemalismus jahrzehntelang von der Teilhabe an der Macht ausgeschlossenen „schwarzen Türken“, die konservativen, oft noch aus einer bäuerlichen Tradition kommenden Muslime Inneranatoliens im Unterschied zu den „weißen Türken“, also den laizistischen Eliten der Westtürkei .

Unterwanderung statt Frontalangriff

Eine Verhaftung wegen „islamistischer Umtriebe“ zu Beginn der 1970er Jahre hatte Gülen in der bereits von Nursi vertretenen Ansicht bestärkt, dass der säkulare Staat ein zu mächtiger Gegner sei, um ihn frontal anzugreifen. Stattdessen setzte Gülen auf die Unterwanderung des Staatsapparates, wie ein 1999 vom Fernsehsender NTV ausgestrahltes geheimes Video an seine Anhänger beweist. „Die Anwesenheit unserer Schüler in der Justizverwaltung und dem übrigen Staatsapparat ist der Garant für unsere Zukunft. (…) Die Muslime dürfen nicht eilig handeln. Wer voreilig handelt, gerät in Gefahr, wie in Algerien, dass sein Kopf zerquetscht wird. (…) Ihr müsst, ohne aufzufallen und ohne auf euch aufmerksam zu machen, an die Schaltstellen der Macht gelangen. Wir brauchen keine Märtyrer. Wenn eure Kollegen im Amt Raki trinken, so müsst ihr sogar im Fastenmonat mit ihnen trinken, um nicht aufzufallen. Für unsere große Sache ist es euch erlaubt, euch zu verstellen.“ (7) Ins Fadenkreuz der Gülen-Anhänger geriet dabei insbesondere die Polizei, in der sie ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre systematisch zuerst in den Polizeischulen und dann in den Personalabteilungen ihren Einfluss ausbauten, um so gezielt ihre Kader an wichtige Stellen zu bringen und Gegner auszuschalten.

Heute lässt sich Gülen von seinen Anhängern als Verfechter der Demokratie feiern. Doch in Wahrheit hat Gülen, der von sich bekannte, „immer aufseiten des Staates und Militärs“ zu stehen, die Militärputsche von 1971 und 1980 als notwendige Säuberung der türkischen Nation vor fremdländischen und unislamischen Elementen begrüßt. Die Militärs dankten es dem 1981 aus dem Staatsdienst ausgeschiedenen Imam, indem sie dessen Gemeinde als Gegengewicht zur radikalen Linken protegierten und die von Gülen vertretene türkisch-islamische Synthese als bis heute gültige Staatsideologie an die Stelle des strikten Laizismus der Kemalisten setzten.

Die politische Kaste – vom konservativen Staatspräsidenten Turgut Özal über Ministerpräsidentin Tansu Ciller bis zum Sozialdemokraten Bülent Ecevit – hofierte Gülen in den 1990er Jahren als gemäßigt-religiöses Gegengewicht zur stark anwachsenden radikal-islamischen Wohlfahrtspartei von Necmettin Erbakan. Als der Generalstab am 28. Februar 1997 den zum Ministerpräsidenten aufgestiegenen Erbakan in einem postmodernen Putsch zum Rücktritt zwang, leistete Gülen zivile Schützenhilfe, indem er im Fernsehen die Regierung seines langjährigen Rivalen im Lager des politischen Islam zum Abtreten aufforderte. Doch anschließend geriet Gülen, dem die Justiz nun die Pläne zur Errichtung eines islamischen Staates unterstellte, selbst ins Fadenkreuz. Offiziell aus gesundheitlichen Gründen floh er im März 1999 in die USA, wo er später mithilfe früherer CIA-Kontakte eine Green Card zum dauerhaften Aufenthalt erhielt. Obwohl alle Verfahren in der Türkei eingestellt wurden, lebt Gülen bis heute auf einem Anwesen in Pennsylvania. Mit ihrer neoliberalen Ausrichtung, ihrer Frontstellung zum schiitischen Iran bei gleichzeitiger wohlwollender Toleranz gegenüber Israel ist die Cemaat ein natürlicher Verbündeter der US-Regierung bei der Umsetzung ihres Greater Middle East Project. Der damalige Direktor des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Nikolai Patruschew, warnte bereits im Jahr 2002, die Institutionen der Gülen-Bewegung dienten als Tarnorganisationen der CIA. In mehreren GUS-Republiken wurden Gülen-Schulen geschlossen.

In der Türkei war Ende 2002 mit dem erdrutschartigen Wahlerfolg der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) die große Stunde der Gülen-Bewegung gekommen. Die vom jetzigen Ministerpräsidenten und Erbakan-Schüler Recep Tayyip Erdogan und dem jetzigen Staatspräsidenten Abdullah Gül – selber ein Gülen-Sympathisant – geführte AKP konnte als erste religiöse Partei in der Geschichte der Republik eine Alleinregierung bilden. Doch es mangelte ihr an qualifiziertem Personal, um die laizistischen Kräfte im Staatsapparat abzulösen. So kam es zum Bündnis der AKP mit der Gülen-Bewegung, die geschätzte dreißig Prozent der Wählerstimmen beisteuerte, während sich ihre Kader im Staatsapparat und insbesondere der Justiz breitmachten. Im Namen der Demokratisierung der Türkei betrieben Sonderstaatsanwaltschaften nun eine Hexenjagd gegen laizistische, prokurdische und linke Gegner der AKP. Dabei bedienen sich die Gülen-Juristen illegaler Abhöraktionen zur Belastung ihrer Gegner, die sich auf Grundlage des Antiterrorgesetzes mit kafkaesken Anklagekonstrukten konfrontiert sehen. Hunderte hochrangige Militärs einschließlich früherer Generalstabschefs wurden unter dem Vorwurf, Putschpläne gegen die AKP geschmiedet zu haben, ebenso inhaftiert wie Tausende einer Unterstützung der illegalen Arbeiterpartei Kurdistans PKK beschuldigte Politiker legaler prokurdischer Parteien und Hunderte Studenten, Journalisten, Mitglieder sozialistischer Parteien und Gewerkschaften. Nach Auffassung des renommierten US-amerikanischen Magazins Foreign Policy wurde unter der AKP-Regierung zwar die Macht des Militärs zurückgedrängt. Doch dies sei keine Demokratisierung, da die Gülen-Bewegung an dessen Stelle einen neuen „tiefen Staat“ errichtet habe.(8)

Der frühere Gülen-Gefolgsmann und Vizedirektor des Polizeinachrichtendienstes Hanefi Avci hat die Unterwanderung der Polizei in seinen autobiografischen Aufzeichnungen ebenso deutlich gemacht wie die Enthüllungsjournalisten Ahmet Sik und Nedim Sener. Alle drei Autoren wurden unter fingierten Terrorismusvorwürfen verhaftet und Siks Buch "Die Armee des Imams" – gemeint ist die türkische Polizei –noch vor Erscheinen verboten. „Diejenigen aus der Gemeinde, die wie eine kriminelle Vereinigung innerhalb der Bürokratie agieren, sind hierfür verantwortlich“, ist der im Frühjahr 2012 nach internationalen Protesten nach einjähriger Untersuchungshaft freigekommene Sik von der treibenden Rolle der Gülen-Gemeinde bei den Massenverhaftungen überzeugt und warnte: „Wer Gülen berührt, verbrennt sich die Finger.“ Nach der gemeinsamen Ausschaltung ihrer laizistischen Gegner kommt es inzwischen zu einem Machtkampf um Pfründe und Posten im Lager des politischen Islam. So wollen die Gülen-Anhänger verhindern, dass Erdogan sich zum Staatspräsidenten wählen lässt.

Mit der Geduld einer Spinne …

Seit den 1990er Jahren ist die Gülen-Bewegung in Deutschland unter der millionenstarken türkischen Diaspora aktiv. Von Gülen inspirierte Privatschulen wie das Berliner TÜDESB-Gymnasium, das Dialog-Gymnasium in Köln-Buchheim oder die BiL-Privatschule in Stuttgart /Bad Cannstatt finden sich mittlerweile in jeder größeren Stadt. Dazu kommt ein Netz von über 165 Nachhilfeinstituten. Die Schulen, deren Leitungen in der Regel nach außen jeden „institutionellen“ Bezug zur Gülen-Bewegung abstreiten, dienen als Köder zur Nachwuchsgewinnung. Zwar ist der Unterricht an staatlichen Lehrplänen ausgerichtet. Doch bei Freizeitangeboten, in Nachhilfeeinrichtungen und in Wohnheimen wird moralischer Druck auf die Schüler und ihre Eltern ausgeübt, für die Hizmet-Bewegung zu spenden und sich an deren Aktivitäten zu beteiligen. „Mit der Geduld einer Spinne legen wir unser Netz, bis sich Menschen darin verfangen“(9), hatte Gülen seine Anhänger angewiesen.

Als Kaderschmieden dienen sogenannte Lichthäuser, von denen es allein in Berlin mehr als zwanzig gibt. Nach außen handelt es sich hier um Wohngemeinschaften frommer Studenten. Doch Aussteiger berichten von regelrechter Gehirnwäsche und Sektenstrukturen mit Gehorsamspflicht gegenüber den „großen Brüdern und Schwestern“, den untersten Kadern der Bewegung. „Mein Körper, meine Gedanken – alles hat denen gehört. Ich habe gemacht, was sie wollten", berichtet eine Aussteigerin in der am 15. April 2013 ausgestrahlten WDR-Reportage "Der lange Arm des Imam".