Mohamed und die Frauen Teil 8
Anders verhält es sich mit der Praxis, Kopf oder Gesicht einer Frau zu verschleiern. Wenn wir die historische Beurteilung außer Acht lassen und den Koran als Bericht von Mohammeds Verkündigungen ansehen (ein sehr lückenhafter Bericht), dann können wir keine Rechtfertigung für die Verschleierung der Frau finden.
Die einzigen Hinweise auf weibliche Keuschheit sind diejenigen, die den direkten Zugang in den Kreis von Mohammeds Frauen unterbinden sollen. Der „Hijab“ aber ist kein Schleier, sondern ein Paravent, der die Frauen des Anführers vom niederen Volk abschirmt. Diese Praxis war schon lange in königlichen und gehobenen Kreisen im Nahen Osten üblich und wurde vom Adel nach ihm fortgesetzt. In Rom und Byzanz wurde das „vellum“ verwendet, um Mitglieder der königlichen Familie abzusondern. Der andere Hinweis (al-darb ’ala al-juyub), der normalerweise als Rechtfertigung für verschleierte Frauen herhalten muss, erwähnt weibliche Keuschheit im Zusammenhang mit dem Bedecken des Dekolletees. Der Rest des Brauches beruht auf gesellschaftlichen Sitten, die meisten von ihnen postmohammedanisch, aber fälschlicherweise geheiligt durch Hinweise auf den Propheten. Mohammeds Biografie ist sehr individualistisch. Ihm positive oder negative Einflüsse auf das Verhalten der Moslems in sämtlichen Orten und zu allen Zeiten zuzuschreiben, ist anachronistisch. Mohammed hat uns nicht viel über den Moslem an sich zu erzählen, der wie jeder andere auch extrem komplexe Geschichten erlebt und schwindelerregend viele verschiedene Praktiken und Einstellungen gegenüber Frauen hat; noch können die Moslems ihrerseits dazu dienen, etwas Licht auf seine Figur zu werfen.
Dass es Frauen in Saudi-Arabien verboten ist, Auto zu fahren, beruht nicht auf Mohammeds Vorbild, sondern auf den Gebräuchen einer archaischen Gesellschaft, der die heutige Welt fremd ist und die sich aufgrund ihres anachronistischen Patriarchats nervös verhält. Wahhabismus, eine Sekte mit einem primitiven Credo minimalistischer Theologie, ist sowohl rückschrittlich als auch trutzig und schlicht in ihrer Unsicherheit in einer verwirrend unvertrauten Welt. Gleichzeitig herrscht eine Situation der Isolierung und Rückständigkeit, in der die saudische Königsfamilie ihre Regierung einer extrem unwichtigen und unterentwickelten Gesellschaft mithilfe der Religion rechtfertigt. Die Hilfe der USA zur Zeit des Kalten Krieges noch gut in Erinnerung, wurden diverse, teilweise viel restriktivere Versionen des Wahhabismus in weiten Teilen der Welt verbreitet. Dazu zählten Afghanistan, das halb vorindustrielle Pakistan und, aufgrund bemerkenswerter infrastruktureller Fähigkeiten, auch die ghettoisierten Beton-Dschungel einiger westeuropäischer Städte.
Dass etwa einige Moslems wahhabistischen Puritanismus saudi-arabischer Prägung gutheißen, hängt nicht mit der Lehre des Koran zusammen, sondern mit der Verpflichtung gegenüber gewissen religiösen und politischen Oberhäuptern (und ihren internationalen pädagogischen, informativen und finanziellen Infrastrukturen). Jene haben entschieden, dass es grundlegend islamisch ist, Frauen das Autofahren zu verbieten, geradeso wie bestimmte kirchliche und politische Behörden einst entschieden, dass brennende Leute auf einem Scheiterhaufen zur christlichen Welt gehören.
Die Antwort muss über das Grauen und die Klischees hinausgehen und die Fähigkeit zur Differenzierung einsetzen. Solche Differenzierung würde zeigen, dass die Behauptung, diese Religion sei – gerade in ihren perversesten Manifestationen und Auslegungen – eine Anleitung zu sozialem und politischem Handeln und nicht nur zu privater Empfindung und Hingabe, eine Mystifizierung ist. Und solche Mystifizierung entsteht weniger aus dem angeblichen Wesen einer Gesellschaft, seinem stereotypen Selbst- und Fremdbild, nein, sie ist definitiv ein gewollter Akt. Die kanonische Rechtfertigung gesellschaftlicher Regeln ist meist rückwirkend und in hohem Grade symbolisch. Anderes anzunehmen, heißt der Fähigkeit zur Differenzierung zu entsagen und den oberflächlichen Reizen des Anachronismus zu erliegen.
Aziz Al-Azmeh ist Professor für Islamwissenschaften an der Central European University in Budapest. Auf Deutsch zuletzt von ihm erschienen: „Die Islamisierung des Islam“, Campus
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