Das Kreuz mit der Türkei
Das Kreuz mit der Türkei
Mehr Rechte für die Christen?
Gottesdienst mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen in Istanbul. © NDR/Gülbeyaz
Istanbul, eine weltoffene, westliche Stadt. Alkohol wird in Bars und Cafés ausgeschenkt und auf den Straßen schäkern junge Türken mit Mädchen in engen Jeans und Tops. An den Schulen und Universitäten herrscht Kopftuchverbot. Staat und Religion sind streng von einander getrennt - das ist der Kern des Laizismus, der seit dem Staatsgrüner Kemal Atatürk Verfassungsgrundsatz ist. Doch in der Praxis ist die Religionsausübung für Nichtmuslime ein Problem. Sie werden zwar geduldet, das heißt, in ihren eigenen vier Wänden können Andersgläubige tun und lassen was sie wollen, doch wollen sie gemeinschaftlich ihre Religion ausüben, zeigt sich vor allem die ausführende Verwaltung sehr störrisch.
Der Grund für die fast feindliche Haltung der türkischen Behörden ist, dass der türkische Staat zwar vier anerkannte Minderheiten kennt: die Armenier, die Griechen, die Juden und die Bulgaren. Doch die Religionsgemeinschaften besitzen keinen eigenen Rechtsstatus. Das bedeutet sie können keine Gebäude anmieten oder besitzen, keine Angestellten beschäftigen und nicht vor Gericht gehen. So existiert der griechisch-orthodoxe Patriarch zwar als Person (Bartholomäus I. ) aber staatlicherseits ist er nur ein einfacher Bürger. Und noch ein weiteres gravierendes Problem haben die Christen: den kirchlichen Nachwuchs. Seit der Schließung einer theologischen Schule auf der Insel Heybeli Ada können keine türkischen Priester ausbildet werden. Die Wiedereröffnung der Schule ist eine EU-Forderung. Diese zu erfüllen, hatte Erdogan zu Beginn seiner Amtszeit 2003 so gut wie zugesagt, passiert ist es derweil noch nicht.
Die Türkei war im Altertum, nach den Missionsreisen des Paulus, ehemals christliches Kernland mit einer Vielzahl von Gläubigen. Heute gehören schätzungsweise nur noch 0,15 % der türkischen Bevölkerung zu den Christen. Verlässliche statistische Angaben über die Zahl der Christen in der Türkei gibt es nicht. Ihr "konfessionelles Spektrum" ist groß: Armenier, Griechisch-Orthodoxe, Assyrer, Chaldäer, Katholiken und Protestanten. Bis heute fühlen sich die Christen in der Türkei oft wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Die EU-Kandidatur hat die türkische Regierung unter Reformdruck gesetzt. So stellt sich die Gretchenfrage: Wie hält es die Türkei mit der Religionsfreiheit für nicht-muslimische Minderheiten? Welche Rechte werden ihnen künftig eingeräumt?
Die Fernsehjournalisten Margarethe Steinhausen und Halil Gülbeyaz machen die Probe aufs Exempel. Sie unternahmen Ende 2004 wochenlange Reisen in die Region zwischen Bosporus und dem Ararat, um zu erfahren, wie und ob sich die Situation in den Gemeinden verändert hat. In Istanbul, dem Sitz des griechischen Patriarchen, treffen sie u. a. die einstmals große Gruppe armenischer Christen. Im Zusammenhang der ethnischen Säuberungen 1915 – bis heute ein türkisches Tabuthema! - wurden die Armenier zu Abertausenden Opfer durch Vertreibung und Ermordung. Auch im Tur Abdin und Mardin (im Osten Anatoliens) werden die letzten dort lebenden armenischen und assyrischen Christen besucht. Von den einst 300 000 assyrischen Christen sind nur noch wenige Hundert dort zu Hause. Jetzt hofft man auf bessere Zeiten. Immerhin: in Mardin hat die UNESCO die unzähligen meist verlassenen und verfallenen Klöster und Kirchen zum Weltkulturerbe erklärt. Inzwischen ist Mardin eine echte touristische Attraktion: eine gute Gelegenheit für die Türkei, der Weltöffentlichkeit deutlich zu machen, wie tolerant man offensichtlich gegenüber den Christen ist. Und wie geht es den meist deutschen in der Türkei lebenden Katholiken und Protestanten? Auch hier scheint sich ein Tauwetter abzuzeichnen.
Quelle:
<a href="redirect.jsp?url=http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/ard/sendung/75991/index.html" target="_blank">http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/ard/sendung/75991/index.html</a>
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