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Alt 17.04.2007, 21:27
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Standard Der Präsident soll kein Imam sein

Hunderttausende Türken demonstrieren gegen Erdogan

VON GERD HÖHLER

(Frankfurter Rundschau)

Mit Atatürk gegen Erdogan


Sie kamen mit der Bahn vom Bosporus und mit Reisebussen aus Ostanatolien. Andere wanderten in stundenlangen Fußmärschen schon im Morgengrauen aus den Vororten Ankaras zum Tandogan-Platz. Sie schwenkten rote Landesflaggen mit Halbmond und Stern, viele trugen auch Porträts des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Seine Republik und seine Ideologie, den Kemalismus, wollen sie zu Hunderttausenden verteidigen - gegen Leute wie Regierungschef Tayyip Erdogan, den gewendeten islamischen Fundamentalisten, der nächsten Monat nach dem höchsten Staatsamt greifen will und sich vom Parlament zum neuen Staatspräsidenten wählen lassen könnte.

"Die Türkei ist weltlich und wird es bleiben", "Verteidigt die Republik, morgen könnte es zu spät sein" und "Erdogan, stelle unsere Geduld nicht auf die Probe" lauteten einige der Sprechchöre. Auch der Slogan "Wir wollen keinen Imam als Präsidenten" war immer wieder zu hören - eine Anspielung darauf, dass Erdogan eine islamische Priesterschule absolviert hatte, bevor er in der islamistischen Bewegung Karriere machte. Zwar gibt sich Erdogan gemäßigt, seit seine Gerechtigskeits- und Entwicklungspartei (AKP) 2002 an die Macht kam. Die Religion sei "Privatsache", sagt er nun. Aber seine Gegner nehmen ihm das nicht ab.

Die AKP ist daran nicht ganz schuldlos: die Partei machte in den vergangenen Jahren mehrere Anläufe, das Kopftuchverbot an den Universitäten abzuschaffen, die islamischen Religionsschulen aufzuwerten, strenggläubige Muslime in Schlüsselstellungen der staatlichen Verwaltung zu bringen und den Alkoholausschank einzuschränken. Bisher scheiterten die meisten dieser Vorstöße am Widerstand des kemalistischen Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer, der Militärs und der Gerichte. Als Präsident aber könnte Erdogan die Islamisierung des Erziehungswesens und der Justiz vorantreiben, fürchten seine Gegner. Für zusätzliche Befürchtungen sorgt, dass in der AKP seit einiger Zeit Pläne für eine Präsidialverfassung nach US-Vorbild diskutiert werden. Damit bekäme das Staatsoberhaupt noch mehr Macht.

Erst vergangenen Freitag hatte der scheidende Amtsinhaber Sezer gewarnt, der Bestand der Republik sei zurzeit stärker gefährdet als jemals seit ihrer Gründung. Viele Türken scheinen diese Sorge zu teilen, wie der Aufmarsch der Hunderttausenden zeigte, die "größte Demonstration in der Geschichte des Landes", so die Zeitung Hürriyet. "Unsere Stimme ist die Stimme der türkischen Nation", rief Professor Ali Ercan. Er ist Vize-Vorsitzender der "Vereinigung zur Pflege des kemalistischen Gedankenguts", die zum dem Protest aufgerufen hatte. Vom Tandogan-Platz zogen die Demonstranten am Nachmittag gemeinsam zum Mausoleum des Staatsgründers Atatürk. Dort breiteten sie eine zwei Kilometer lange türkische Flagge über ihren Köpfen aus und sangen gemeinsam die türkische Nationalhymne.

Wird der Massenprotest Wirkung zeigen? "Das ganze kommt zu spät", meint Semih Idiz, Kolumnist der bürgerlichen Zeitung Milliyet, "die Opposition hat versagt, die AKP kann jeden zum Präsidenten wählen, den sie will". Aber will Erdogan? Der Premier lässt die Nation weiter rätseln. Er habe sich noch nicht entschieden, sagte er jetzt dem Spiegel. Die Ungewissheit wird nicht mehr lange dauern: am Mittwoch, so Erdogan, werde der AKP-Parteivorstand eine Entscheidung treffen. Diese werde auch für ihn "bindend" sein. Damit scheint seine Kandidatur so gut wie sicher, denn einen anderen wird die AKP kaum benennen.

Quelle:

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