Avrupanin samar oglu Türkiye
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Druck</a> oder Hilfe?
Nach dem Fortschrittsbericht der EU über die Beitrittsverhandlungen verlangt die CDU mehr Druck auf die Türkei. Die SPD setzt eher auf Ermutigung. Von Katharina Schuler
Die EU-Kommission hat massive Kritik am Beitrittskandidaten Türkei geübt. In einem Fortschrittsbericht über die Beitrittsverhandlungen wird die Türkei aufgefordert, ihre Häfen auch für Schiffe aus Zypern zu öffnen. Dies sei "eine rechtliche Verpflichtung als solche, die nicht an die Lage der türkisch-zyprischen Bevölkerung geknüpft werden" dürfe, heißt es in dem am Mittwoch in Brüssel veröffentlichten Bericht. Die Kommission kritisierte auch mangelnde Unabhängigkeit der Rechtsprechung, Verstöße gegen die Menschenrechte und Folter.
Zwar enthält der Bericht selbst keine Empfehlung zu der Frage, ob die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wegen der genannten Missstände ausgesetzt oder abgebrochen werden sollten, Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso machte jedoch unmissverständlich deutlich, dass die EU-Kommission vom im Dezember tagenden EU-Gipfel Konsequenzen verlangen werde, wenn sich bis dahin nichts getan habe. So lange wolle man den diplomatischen Bemühungen aber noch eine Chance geben.
Dies entspricht ziemlich genau den Vorstellungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die schon in den vergangenen Tagen angekündigt hatte, die Türkei müsse "mit Konsequenzen" rechnen, wenn sie sich nicht bewege.
Auch in der Unionsfraktion war man am Mittwoch erfreut über die deutlichen Worte, die die EU-Kommission gefunden hat. "Die Türkei muss erheblich mehr Anstrengungen unternehmen", verlangte etwa der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Schockenhoff im Gespräch mit ZEIT online. Er ist überzeugt davon, dass die EU es diesmal nicht beim Drohen wird belassen können. Die türkische Regierung stehe in der Zypern-Frage unter starkem innenpolitischen Druck. Es sei deswegen kaum vorstellbar, dass sie vor den Wahlen im kommenden Jahr einlenken werde. Der EU-Gipfel Anfang Dezember sei damit in der Pflicht, den Worten Taten folgen zu lassen.
Schockenhoff schlägt vor, dass höchstens noch zwei der 35 Verhandlungskapitel pro Jahr eröffnet werden sollten, um den Druck auf die Türkei zu erhöhen. Würde man dagegen nur die Kapitel aussetzen, die sich direkt mit dem Binnenmarkt befassen, wäre dies kein ausreichend deutliches Signal, glaubt der CDU-Politiker, weil die Verhandlungen dann dennoch auf vielen Gebieten weitergehen könnten.
Der Bericht, so Schockenhoff, werde aber auch in der Türkei eine Debatte darüber auslösen, ob man überhaupt alle europäischen Standards durchsetzen und in welcher Form man sich in Europa verankern wolle.
TEIL 2
Im Gegensatz zur Schwesterpartei CSU vertritt die CDU damit jedoch immer noch eine gemäßigte Position. Während Merkel sich stets dazu bekennt, dass die Verhandlungen mit offenem Ende geführt werden müssten, bekräftigten der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und sein Generalsekretär Markus Söder in dieser Woche abermals, dass die Türkei nicht Teil Europas sein könne. Sie verlangen einen Abbruch der Verhandlungen.
Diese Konsequenz lehnen CDU-Vertreter wie Schockenhoff ab. Damit würde man nur die Kräfte in der Türkei stärken, die keine Modernisierung wollten, befürchtet er. Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), verlangt Fingerspitzengefühl im Umgang mit der Türkei. "Wir haben ein sehr großes Interesse daran, dass sich die Türkei als Teil des Westens versteht und sich weiter auf Europa hin orientiert", sagte Polenz der Neuen Presse. Es gebe zunehmend politische Kräfte in der Türkei, die über strategische Alternativen zur EU nachdenken würden. Das sei eine Gefahr, warnte Polenz.
In der SPD sieht man die Entwicklung mit mehr Gelassenheit. Im Auswärtigen Amt warnte man am Mittwoch vor "Überreaktionen und voreiligen Schlüssen". Eine Abbruch der Gespräche haben Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) und SPD-Chef Kurt Beck abgelehnt. Auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Gert Weisskirchen, hob gegenüber ZEIT online eher die positiven Aspekte hervor. "Der Fortschrittsbericht ist insgesamt ein Signal, dass die Türkei sich bewegt", sagte Weisskirchen. Es werde keineswegs eine eindeutig negative, sondern eine gemischte Bilanz der Entwicklung gezogen. Statt über Druckmittel nachzudenken, solle man die Türkei ermuntern, weitere Fortschritte zu machen.
Von der Kanzlerin verlangte Weisskirchen, Stoiber zur Räson zu bringen. Die Union müsse sich erst einmal intern über ihre Position einigen. Die SPD-Abgeordnete Lale Akgün äußerte Verständnis für die Probleme der Türkei, sich in der Zypern-Frage zu bewegen. Die türkische Regierung befinde sich in einer lose-lose-Position, sagte sie ZEIT online. Wenn sie die Häfen öffne, verliere sie Stimmen, wenn sie die Häfen nicht öffne, schade sie dem von ihr selbst seit vier Jahren massiv betriebenen EU-Projekt. Es wäre deshalb sinnvoll, wenn die EU der Türkei entgegenkomme, indem sie zum Beispiel die Isolation von Nord-Zypern teilweise aufhebe. Dies sieht auch der Kompromissvorschlag vor, den die finnische Ratspräsidentschaft erarbeitet hat. Akgün zeigte sich optimistisch, dass gerade der Streit um Zypern sich lösen lassen werde, da die finnische Ratspräsidentschaft sehr darum bemüht sei. Auch die Deutschen hätten das Problem natürlich gerne vom Tisch, bevor sie zu Beginn des nächsten Jahres die Präsidentschaft übernehmen.
Dass Angela Merkel als künftige Vorsitzende allzu radikale Positionen vertreten wird, ist kaum zu erwarten, kommt ihr dann doch eher eine moderierende Rolle zu. Allerdings ist die deutsche Kanzlerin mit ihrem Wunsch nach "Konsequenzen" nicht allein. Auch andere Länder wie zum Beispiel Frankreich sind für eine Aussetzung einzelner Verhandlungskapitel, wenn die Türkei ihre Defizite nicht abbaut. Da die Entscheidung über die Aufnahme eines Kapitels immer einstimmig fallen muss, ist es am wahrscheinlichsten, dass der Verhandlungsprozess weder ganz auf Eis gelegt noch einfach weitergeführt werden wird. Welche Konsequenzen Merkel aus dem Bericht ziehen will, wird man am Mittwochabend erfahren. Dann will die Kanzlerin ihre Europapolitik in einer Grundsatzrede erläutern.
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