islam wird frauenfreundlich
Islam wird frauenfreundlich
Türkische Experten prüfen Überlieferungen des Propheten Mohammed
von Boris Kalnoky
Istanbul - Über die muslimische Religion denkt der türkische Staat seit Atatürk etwa so, wie manche muslimische Männer über Frauen denken: Wie der Frau muß auch der Religion klargemacht werden, wo ihr Platz ist. Wie die Frau dem Mann, so hat die Religion dem Staate zu dienen, und wenn man der einen wie der anderen zuviel Freiheit läßt, wird das Leben bald kompliziert.
Bald jedoch soll nur noch die Religion kuschen. Die Frauen hingegen sollen in den Genuß eines neuen, reformierten Islam kommen, bereinigt von allen frauenfeindlichen Passagen. Dafür will jene Institution sorgen, die für religiöse Angelegenheiten die oberste Autorität beansprucht: das Religionsdirektorat in Ankara, abgekürzt "Diyanet", also der Staat. 35 Theologen sollen dort die sogenannten "Haditha", überlieferte Worte und Taten des Propheten, auf frauenfeindliches Material überprüfen, weil es "fabriziert und gefälscht sei".
Woran erkennt man, daß die betreffenden Passagen nicht authentisch sind? Mehmet Görmez, Vizechef des Diyanet, sagte, man wolle die Haditha von drei Kategorien frauenfeindlicher Aussagen säubern: Gewalt gegen Frauen, diskriminierende Passagen und jene Stellen, in denen es heißt, daß die Frau dem Manne untergeordnet sei. Daß diese Stellen gefälscht seien, ergibt sich laut Görmez schlicht daraus, daß der Botschafter Gottes so nicht gedacht haben kann.
Tatsächlich gibt es in den Haditha-Sammlungen die eigenartigsten Passagen. So heißt es in den Sammlungen von Buchari und Ahmed Ibn Hanbal: "Wenn ein Affe, ein schwarzer Hund oder eine Frau an einem Betenden vorbeigeht, ist dessen Gebet nichtig." Diese Stelle geht jedoch auf Abu Huraya zurück, der als der "unzuverlässigste" der Haditha-Sammler gilt.
Das Problem mit den Haditha ist, daß sie die muslimische Kultur entscheidend mitgeprägt haben, aber bei den allermeisten überhaupt nicht sicher ist, ob sie tatsächlich irgendetwas mit Mohammed zu tun haben. Die großen Haditha-Sammler wie Buchari prüften Hunderttausende angeblicher Prophetenworte und verwarfen 99 Prozent als frei erfunden.
Es gibt "verläßlichere" Haditha (die von mehreren Zeugen aus erster Hand überliefert sind) und zweifelhaftere (von nur einem Erzähler, der es vielleicht nicht selbst gehört hat). Bemerkenswert ist: Je zweifelhafter die Authentizität, desto virulenter die Frauenfeindlichkeit. Da ist etwa zu lesen, die beste Art Frau sei jene, "die dem Schaf gleicht", und es sei besser, Frauen ein wenig hungern zu lassen und ihnen nur das Nötigste an Kleidung zu geben, damit sie keine Lust bekommen, das Haus zu verlassen.
Es gibt aber auch ausgesprochen frauenfreundliche Haditha, in der Regel aus glaubhafterer Quelle. Die frauenfreundlichste Haditha-Sammlung kommt von Mohammeds eigener Frau, Aischa. Da erfahren wir zum Beispiel, daß der Prophet sich nicht an ihren Monatsblutungen störte und in solchen Zeiten sogar unbekümmert seinen Kopf in ihren Schoß legte.
In mancher Hinsicht ist der Koran - ohne die Haditha - sogar weniger frauenfeindlich als die Bibel. Der Frau haftet beispielsweise keine Erbsünde an, und die Frauen werden als "Zwillingsschwestern der Männer" bezeichnet.
Wenn nun die Türkei die Prophetenworte von diskriminierenden Passagen reinigen will, dann ist das ein Schritt in Richtung einer Reform des Islam, wie sie von vielen aufgeklärteren muslimischen Theologen gefordert wird. Es kann nur ein erster Schritt sein - auch der Koran sollte historisch relativiert, also in seinen historischen Kontext gestellt und entsprechend neu ausgelegt werden. Ein solches Unterfangen genießt in der muslimischen Welt jedoch nur geringe Akzeptanz, und ob der türkische Versuch auch außerhalb der Türkei Befürworter findet, bleibt abzuwarten. In der Türkei selbst könnte es durchaus zu einer gewissen Breitenwirkung kommen, da das Religionsdirektorat entscheidet, was in den Moscheen gepredigt werden darf. Aber auch ein Bumerangeffekt aus radikaleren muslimischen Kreisen ist denkbar.
Die Welt-Artikel erschienen am Sa, 24. Juni 2006
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