Da Vinci Code
Der Sankt Petersburger Kunstwissenschaftler Michail Anikin beabsichtigt einen Plagiatsprozess gegen Dan Brown.
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MOSKAU, 17. April (RIA Novosti). Dan Brown ist vom Vorwurf des Plagiats bei seinem Roman vom Gericht freigesprochen worden. Aber kaum hat sich ein Skandal um den bekannten Schriftsteller gelegt, als schon ein weiterer heranreift. Nun auch in Russland.
Die Zeitschrift "Wsemirnyj sledopyt" (Pfadfinder weltweit) hat ein Interview veröffentlicht, worin der Dozent Michail Anikin, verantwortlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ermitage in Sankt Petersburg, über ein von ihm vor sechs Jahren geschriebenes Buch und dessen Parallelen zu Dan Browns Kriminalroman berichtet.
Wie der Wissenschaftler erzählt, habe er während der Arbeit an seinem Buch, noch vor seiner Veröffentlichung im Jahre 2000, den "Da Vinci Code" in seinen Artikeln untersucht und Vorträge über dieses Thema gehalten. Übrigens sei, so Anikin, auch der Ausdruck "the Da Vinci Code" gerade im Zusammenhang mit den erwähnten Arbeiten entstanden, auf Russisch habe er allerdings vorgezogen, dieses Phänomen "da Vincis Rätsel" zu nennen. Den "Code" hätten seine Opponenten in Umlauf gebracht, die seine Tätigkeit für nicht wissenschaftlich hielten.
Auf der Ausstellung von René Magritte 1998 in Petersburg sprach Anikin über seine Ideen und Forschungen mit Vertretern des Museums von Houston, und sie baten ihn um die Erlaubnis, diese Informationen einem gewissen Schriftsteller zu vermitteln, den eine solche Fabel für einen Kriminalroman interessieren könne. "Ich antwortete, dass ich vor der Veröffentlichung den Text durchsehen muss, dann kann ich die Zustimmung geben. Außerdem stellte ich die Bedingung, dass sich der Autor schriftlich an mich wenden sollte. Und sie versprachen, er werde sich mit mir in Verbindung setzen", sagte der Wissenschaftler in seinem Interview weiter. Was Dan Browns "Agenten" betrifft, so nennt er William Stan, einen Maler und Fotografen, der die Ausstellung gestaltet hatte.
Inzwischen erschien 2000 das Buch "Leonardo da Vinci, oder Theologie in Farben" von Michail Anikin selbst. Die wichtigste, auch in "The Da Vinci Code" reproduzierte Idee des Buches ist das Rätsel um die geheimnisvolle Gioconda, das darin besteht, dass es sich nicht um ein Portrait handele, wie zahlreiche Forscher angenommen hätten, sondern um ein Allegoriebild. Nach Anikins Ansicht sei das Gemälde aus zwei unterschiedlichen Gestalten "zusammengestellt": Für sich genommen, erinnere die rechte Hälfte der Gestalt sehr an die kanonische Darstellung Christi, während die linke Hälfte eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Madonna, wie sie da Vinci auf anderen Gemälden dargestellt hatte, zeige. Im Ergebnis komme es zu einer Verschmelzung der beiden christlichen Hauptfiguren: der Mutter Gottes und des Heilands. Anikin nennt das ein allegorisches Portrait der christlichen Kirche.
"Als anständiger Mensch hätte er (Dan Brown - d. Red.) sich mit mir in Verbindung setzen müssen, da ich mit den Amerikanern jenes Gentleman"s Agreement geschlossen hatte. Ich hätte auch keine Einwände erhoben, selbst wenn er in seinem Buch nicht ,nach Ansicht einer Reihe von Wissenschaftlern", sondern ,nach Ansicht eines russischen Kunstwissenschaftlers" geschrieben hätte." Außerdem lehnt der russische Wissenschaftler die Art und Weise kategorisch ab, wie Dan Brown die Gestalt Leonardo da Vincis interpretiert. "Was er dann anbietet, ist vom Standpunkt sowohl der wissenschaftlichen als auch der christlichen Welt mittelalterliche Katharer-Häresie. Und das wirft einen Schatten nicht nur auf Leonardo und das Christentum, sondern auch auf mich. Ebendas nenne ich moralischen Schaden..."
Genauso sei, führt Anikin weiter aus, die Idee mit dem Anagramm von "Mona Lisa" entlehnt worden. Angeblich seien zu diesem Namen die Buchstaben der Namen der altägyptischen Götter Amon und Isis umgestellt worden - Isis wurde auch L"Isa genannt. Aber das sei lediglich eine Vermutung gewesen, und gerade sie habe Dan Brown benutzt, hierbei jedoch eine andere, nach Meinung des Petersburger Wissenschaftlers glaubwürdigere Variante außer Acht gelassen: Dieser Name könne eine Abkürzung von "Mona L"Eglise" sein (das französische Wort "église" bedeutet "Kirche") sein. Dann erhalte das Bild da Vincis aber eine völlig andere Dimension. Anikin sagt, es sei nicht ausgeschlossen, dass er Brown vor Gericht verklagen werde: "Ich habe die Absicht, mich mit der Gilde der unabhängigen Anwälte in Amerika in Verbindung zu setzen. Wenn sie Interesse für den Fall zeigen, werde ich mit ihrer Hilfe Brown wegen des für mich offensichtlichen Plagiats, des Ideenklaus, zur Verantwortung ziehen."
Dabei ist eben erst ein Prozess gegen Dan Brown zu Ende gekommen, in dem Michael Baigent und Richard Leigh den Schriftsteller bezichtigten, sich die Ideen ihres Forschungswerkes "Der Heilige Gral und seine Erben" (The Holy Blood and the Holy Gral") angeeignet und so ein Plagiat begangen zu haben. Bei der Verkündung des Gerichtsurteils waren die Kläger nicht im Saal anwesend. Das Gericht befand alle Klagen für unbegründet und verurteilte die Kläger dazu, dem Verlag Random House, der Browns Buch und - eine Ironie des Schicksals - ihr eigenes Buch edierte, 1,1 Million Pfund zu zahlen. Die erste Zahlung, 350 000 Pfund, ist spätestens am 5. Mai fällig. Das bedeutet, dass zumindest einer der Kläger sein Haus wird verkaufen müssen.
Die Kläger selbst geben sich nicht geschlagen. Einer von ihnen kommentierte die Gerichtsentscheidung wie folgt: "Ihrer Natur nach bedeutet diese Gerichtsverhandlung einen Konfikt zwischen dem Geist und dem Buchstaben des Gesetzes. Ich denke, nach dem Buchstaben des Gesetzes haben wir eine Niederlage erlitten. Aber nach seinem Geist haben wir gewonnen und finden in dieser Hinsicht, dass wir uns gerächt haben."
Im Unterschied zu "Da Vinci Code" gilt das Buch von Michael Baigent und Richard Leigh als populärwissenschaftliche Ausgabe. Darin werden Argumente zugunsten der Idee angeführt, dass Jesus Christus und Maria Magdalena miteinander verheiratet gewesen seien, ein Kind gehabt hätten und dass ihre Nachkommen bis heute auf unserem Planeten leben würden. Die Verfasser erklärten, Brown habe sich in "Da Vinci Code" das zentrale Thema ihres Buches angeeignet, Brown seinerseits behauptete, der Einfluss der Arbeit der Kläger auf den Prozess des Schaffens seines Bestsellers sei "unwesentlich" gewesen. Da das Londoner Gericht das Urteil zu Ungunsten der Kläger gefällt hat, steht jetzt dem für den Mai angesetzten Beginn des Vertriebs einer Hollywooder Filmversion von "The Da Vinci Code" nichts mehr im Wege.
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