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Alt 24.04.2005, 13:12
Benutzerbild von xxabuzerkadayifx
xxabuzerkadayifx xxabuzerkadayifx ist offline
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Standard Ich habe mir erlaubt,

in den letzten Wochen intensiv in der umfangreichen Literatur zu dem Völkermord an den Armeniern zu lesen: amerikanische, deutsche, armenische und ein wenig (ja, es gibt sie!) türkische Quellen, wobei sich Alle mehr oder weniger auf die umfangreichen Berichte der zahllosen Augenzeugen - von deutschen Generälen bis hin zu dänischen Krankenschwestern - beziehen. Da das deutsche Kaiserreich (und Österreich) Bundesgenossen der Türkei waren, dürften die zahllosen Akten des Auswärtigen Amtes zum Thema besonders wertvoll sein, zumal dann, wenn die Berichte von einem deutschen Konsul aus Trabzon geschrieben sind, der sich nach dem Krieg als einer der Ersten mit Hitler verbündete und beim auf die Feldherrnhalle in München 1923 neben Hitler erschossen wurde - also nicht verdächtig, irgendwelche weinerlichen Missionarsgreuelgeschichten zu erzählen. Ergebnis: Die Armenier wurden bereits 1894/95 unter Abdul Hamid planmäßig dezimiert (100 - 200.000 Tote), dann mit den Adana-Massakern 1909 erneut verfolgt und zu 10-Tausenden erschlagen und schließlich unter Enver Pascha und Talaat 1915/16 und schließlich noch mit Höhepunkten 1920 und 1922 nahezu völlig in der Türkei ausgelöscht, planmäßig und gewollt als "Vernichtung der Christen und der Armenier im Besonderen (Talaat). Die Massaker wurden von den Armeniern nicht provoziert, im Gegenteil gehörte es zur Taktik der aus freigelassenen Verbrechern bestehenden Sonderkommandos unter Befehl von Armeeoffizieren armenische Dörfer zu überfallen und zuerst die Männer wegzuführen um dann den Rest zu massakrieren. In Van 1915 hatte die türkische Armee bereits sämtliche Dörfer der Umgebung in Brand gesteckt und die Bewohner massakriert als die Armenier in Van sich aus erklärlichen Gründen weigerten, 4.000 Männer an die türkische Armee auszuliefern. Sie wehrten den Angriff starker Verbände der türkischen Armee erfolgreich ab. Schließlich zogen die Türken sich zurück - erst danach ein russisches Regiment nach Van ohne auf türkischen Widerstand zu stoßen und zog nach wenigen Wochen wieder ab - die meisten Armenier folgten ihnen nach Eriwan.
Die ganze Geschichte ist ein düsteres Beispiel dafür, wie ein psychotischer Abdul Hamid und danach faschistoide Jungtürken immer wieder die Armenier als Prügelopfer ihrer desolaten und menschenfeindlichen Politik mißbrauchten. Neben dem Nationalismus waren auch die Religiösen treibende Kraft hinter den Massakern. Enver Pascha und sein Schwager - Gouverneur und verantwortlich für die Van-Massaker - hatten noch den ganz privaten Grund, daß sie damit ihr persönliches Versagen als Kommandeure im Felde vernebeln wollten: Enver als Oberkommandierender des katastrophalen Feldzuges im Winter 14/15 gegen den Kaukasus, wobei er dank seiner Fehlleistungen 75.000 Mann seines 95.000-Mann starken 3. Armeekorps weniger unter Feindfeuer als mehr durch Kälte und Hunger verlor. Türkische Armenier waren an dieser Fehlleistung eines völlig überforderten Enver nicht beteiligt. Envers Schwager hatte den ebenso desaströsen Feldzug gegen persien zu verantworten.
Daß Armenier in größerer Zahl nach 1922 in die Türkei zurückgekehrt sind, halte ich angesichts der Greuel, die sie in drei großen Wellen bis zur völligen Vernichtung und Austreibung erlebt hatte für ein Märchen!
Solange die offizielle Türkei nicht begreift, daß die Ausinandersetzung mit der eigenen Geschichte wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung der Zukunft ist, bleiben "Reformen" in der Türkei die Schimäre einer kleinen Oberschicht