Thema: Kopftuch
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Alt 02.09.2004, 16:44
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xpancaro xpancaro ist offline
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Standard Ich bin so frei

Ich bin so frei? Die Schwierigkeit besteht schon darin, den Begriff der Freiheit zu definieren. Eine absolute Freiheit für den Einzelnen kann es in einer Gesellschaft nicht geben. Aber wer setzt und definiert die Grenzen? Und ist es nicht so, daß derjenige, der die Idee der Freiheit verinnerlicht hat, meint, frei von Verantwortung zu sein, keine Rechenschaft ablegen zu müssen und vor allem Grenzen, die andere gesetzt haben, nicht akzeptieren zu müssen?

Freiheit in den kapitalistischen westlichen Gesellschaften ist vor allem die Freiheit des Stärkeren, den - oder die - Schwächere zu unterdrücken und auszubeuten. Man will - ohne Rücksicht auf andere - "sein Leben genießen". Genuß wird dabei im Wesentlichen mit Konsum gleichgesetzt, der die Menschen in vielfältige Abhängigkeiten bringt, derer sie sich nicht einmal bewußt sind. Die Frau ist als gesellschaftlich schwächerer Part ein Opfer dieser Freiheit. "Ich bin so frei" heißt übersetzt in die Realität nichts anderes als "Ich bin so frei, mich ausbeuten zu lassen."


Ein Blick in die Medien genügt, um festzustellen, daß das Bild der Frau in einem bestimmten Ideal besteht. Eine Idealfrau hat jung, schlank und möglichst blond zu sein. Kaum eine Frau entspricht diesem Ideal, und doch haben die meisten es derart verinnerlicht, daß sie enorme Energien aufwenden, um sich ihm anzunähern. Keine Frauenzeitschrift kommt ohne Diäten aus - anscheinend eins der beliebtesten "Frauenthemen". Frau ist dabei, eine Diät zu machen, hat gerade eine hinter sich oder plant, sich einer zu unterziehen. Nicht ohne Folgen: Die Anzahl der Eßstörungen nimmt, besonders unter jungen Frauen, ständig zu. Offiziell leidet jede zehnte Frau unter einer Eßstörung wie Magersucht, Bulimie o.ä. - Wie hoch die tatsächliche Ziffer ist, kann man nur erahnen.

Die Produktion eines Idealbildes, dem die große Mehrheit der Frauen nachläuft, ohne es je zu erreichen, ist dabei nichts anderes als ein immenses Geschäft. Die Industrie des Schönheitswahns boomt: Schönheitsoperationen unterhalten ganze Kliniken, und die Jahresumsätze der Kosmetikindustrie sprechen für sich. Die Modewelt ist ein weiterer Industriezweig, der ein Interesse daran hat, das "Ideal" ohne Hinterfragung aufrechterhalten zu sehen. Man spricht nicht umsonst von einem Modediktat. Frauen sind in erster Linie Konsumentinnen, denen man vermittelt, das für einen Ausdruck ihrer Individualität zu halten, was in den Chefetagen der Industrie als Lifestyle, in oder out geplant und für Millionen von Menschen auf den Markt geworfen wurde. Ob man dies wohl als Freiheit bezeichnen kann?

Hat frau die allgegenwärtige Botschaft von Medien und Industrie aufgenommen, ist sie überzeugt: Glücklich und erfolgreich kann nur sein, wer diesem Ideal entspricht. Die Verzweiflung, die darüber eintritt, daß sie es nicht schafft, diesem Bild zu entsprechen, oder daß sich die gesamte Projektion als Trugschluß erwiesen hat und Glück und Erfolg sich auch dann nicht einstellen, wenn sie dieses Ideal erreicht hat, spiegelt sich nicht zuletzt in der Statistik des Alkohol-, Tabletten- und Drogenmißbrauchs wieder.

Eine Frau in der westlichen Gesellschaft hat, je nach dem, inwieweit sie dem jeweils herrschenden Ideal - das sich im Übrigen pro Generation mindestens einmal ändert - entspricht einen bestimmten Marktwert. Dabei ist die Frau in dieser Gesellschaft vor allem eins: ausbeutbar. Ein erneuter Blick in die Medien zeigt: Die Frau wird zu Profitzwecken ausgebeutet. Egal, welche Ware angepriesen wird: In der Werbung gehört eine ganz oder halbnackte Frau dazu. Auch, wenn es sich um einen Schokoriegel handeln sollte, der angepriesen wird. Darstellungen, die Frauen zum Objekt degradieren, begegnet man überall. Sie vermitteln die Botschaft: Die Frau ist ein Objekt, das man haben, besitzen, "sich nehmen" kann. Gibt es denn nicht einen Zusammenhang zwischen dieser ständigen Reizüberflutung und den Übergiffen gegen Frauen? Führt nicht gerade die allgegenwärtige Projektion des "Idealbildes" dazu, daß der selbst alternde Ehemann seiner alternden Ehefrau ihren verfallenden Marktwert vorhält und sich gegebenfalls "woanders umsieht"? Der Zusammenhang zwischen dieser Reizüberflutung und der Erniedrigung und Gewalt, die Frauen entgegengebracht wird, ist zu offensichtlich, um übersehen zu werden.