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Alt 18.03.2004, 15:34
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Lieber Don!

Die Kritik am Westen ist meines Erachtens absolut berechtigt. Es ist ja nicht nur so, dass diese Kritik nur aus dem Orient kommt. Nein, vielmehr ist sie im Westen selbst ebenfalls formuliert worden. Und sind wir mal historisch bewusst; wer hat denn den Orient so geformt, wie wir ihn jetzt sehen? Waren es nicht die Westmächte, die im ausgehenden Zeitalter des Kolonialismus bzw. des Imperislismus die Grenzen nach Belieben - also z.B. ohne Rücksicht auf Ethnien - gezogen haben, und somit Konflikte vorprogrammiert haben, die nach dem Kalten Krieg, der alles überdeckt hatte, erst aufgebrochen sind? Diese Fakten sollte man nicht übersehen! Dies hat nichts mit irgendwelchen Minderwertigkeitskomplexen des Orients zu tun, es sind schlicht Fakten, die man nicht wegdiskutieren kann.
Ferner sollte man die privilegierte Stellung Israels nicht vergessen. Es ist spätestens seit den Enthüllungen von Mordechai Vanunu bekannt, dass Israel Nuklearwaffen hat. Trotzdem halten die USA ihre Hand schützend über Israel und kehren diese Tatsache unter den Teppich. Wohingegen andere Staaten wegen angeblicher Massenvernichtungswaffen unter Druck gesetzt werden. Der Irak ist ein offensichtliches Beispiel, aber Syrien ist ebenfalls unter Druck gesetzt worden (kurz nach dem Irak-Feldzug), ebenso Lybien (wie sonst lässt sich erklären, dass Lybien auf einmal Kontrollen zulässt, seine ganzen Pläne aufdeckt?). Wenn ich das als Araber sehe, würde ich mir auch ziemlich übervorteilt vorkommen. Und auch dieses hat wenig mit Minderwertigkeitskomplexen oder mangelnder kritischer Betrachtung meiner selbst zu tun, sondern sind vielmehr Fakten.
Ein weiterer Punkt sind die historischen Erfahrungen der gesamten Arabischen Nation, die mittlerweile zu einem Teil des kollektiven Bewusstseins dieser Region geworden sind. Erinnern wir uns mal: Westliche Staatsentwürfe sind schon mehrmals in dieser Region versucht worden; Demokratien (was immer das auch sein mag), Monarchien, Kommunismus (siehe Ägypten und Syrien in den 60er/70ern). Keines dieser Staatsentwürfe hat aber in dieser Region verfangen. Ganz im Gegenteil, viele hatten sehr negative Folgen (Die arabische Koalition verlor den Krieg gegen Israel in den 70ern). In Anbetracht dieser Tatsachen ist es nachvollziehbar, dass westliche Staatsentwürfe als völlig unpassend für diese Region angesehen werden und eine Alternative im Islam gesehen wird (Der Islam ist die Lösung, Schlagwort der algerischen FIS). Anscheinend haben das die Amerikaner, die in Irak vor Ort sind, auch erfahren müssen. Der Islam ist in die Verfassung aufgenommen worden, was diesem Faktum Rechnung trägt. Fakt ist also, dass es sich dabei nicht um intellektuelle Schwäche handelt, sondern eher um Erfahrungen, die ins kollektive Bewusstsein einer ganzen Region reingebrannt sind.
Wenn der Westen, und hier vor allem die USA, ein bisschen mehr Sensibilität an den Tag legen würden, würden sie diese Punkte auch beachten. Dem wird leider nicht so getan, weswegen wir diese heftigen Reaktionen der Araber sehen. Und weswegen der Westen als der Teufel bezeichnet wird. Aber auch hier gilt es zu differenzieren. Der Große Teufel sind die USA, der Kleine Teufel ist Israel.

Fazit: Diese immer wiederkehrenden Vorwürfe sollten gerade weil sie immer wiederkehren einmal zum Denken anregen. Es kommt nicht von ungefähr, dass Begriffe wie Jhihad und Kreuzzug in den Schreiben von Al Quaida auftauchen. Der historische Bezug ist da offensichtlich. Leider wird dieser Bezug von den USA bzw. einfach ignoriert. Die Folgen bezahlen viele Unschuldige mit ihrem Leben.
Ich bin kein Peter Scholl-Latour-Fan, aber ich gebe ihm in einem Punkt absolut recht. Der Krieg im Irak hat parallelen mit Vietnam. Genau wie damals haben sich die USA in einen Krieg hineingeschmissen, dessen wahre Bedeutung sie nie verstanden haben. Die Amis haben nie verstanden, warum sich die Vietcong quasi abschlachten ließen und trotzdem den Krieg weiter führten. Die USA wollten einfach nicht verstehen, dass es in Vietnam garnicht um eine Blockkonfrontation ging, sondern es war der Kampf eines Volkes, das seine Freiheit - von West und Ost - wollte. Mit der selben Ignoranz sind die USA auch in den letzten Krieg gezogen. Die Araber dort wollen keine Demokratie westlicher Provenienz; die Araber wollen eigentlich nur ihre Freiheit. Da klingt es fast schon wie eine Drohung, wenn Paul Bremer nach den gestrigen Attentaten sagt: "Die Demokratisierung des Irak wird weitergehen".
Tja, Herr Bremer, dann wird das Bomben und Sterben auch weitergehen.

AbuAyyas

PS: Dieser Beitrag gehört zwar nicht hierher, aber vielleicht liest ihn ja doch irgendjemand.