http://www.zeit.de/politik/ausland/2...i-akp-istanbul
Was die AKP-Wähler über ihren Premier Erdoðan denken? Schwer zu sagen. Die Gezi-Proteste waren ihnen fern, aber Korruption in einer religiösen Partei, das regt auf. Ein Kommentar von Mely Kiyak
etzt ein seriöses Meinungsforschungsinstitut. Das wärs! Eines, das politisch unabhängig und unerschrocken das aktuelle Stimmungsbild innerhalb der türkischen AKP und seiner Wählerschaft mitteilt. In Zahlen. Am besten im Vergleich zu den vergangenen Monaten. Vor den Gezi-Protesten, während der Proteste und nun, nach dem zehntägigen Erdbeben, das aus Korruptionsvorwürfen, Behinderung der Justiz, Vorteilsnahme, Intrigen, Kabinettsumbildung und allerhand anderen unappetitlichen Vorkommnissen innerhalb der Regierungspartei besteht.
Wie geht es "dem" einfachen, rechtschaffenen, frommen AKP-Wähler? All den Müllmännern, Kellnern, Uniprofessoren oder Unternehmern, die Recep Tayyip Erdoðan die Treue hielten, weil sie die Idee von einer gottesfürchtigen Demokratie mit Börsenparkett teilten? Die Aktien anlegten und beteten und daran glaubten, dass ein islamisches Leben in der Moderne und islamischer Kapitalismus möglich ist?
usgerechnet aus der Partei, die ethisch wirtschaften wollte, gelangen täglich neue haarsträubende Details einer – so sieht es jedenfalls aus – gigantischen Korruptionsaffäre ans Tageslicht. Deren Ausmaß und inneren Zusammenhänge begreift man nur mühsam. Weil die Türkei noch nie ein Land war, in dem es möglich ist, Informationen nur ihrer Information willen zu veröffentlichen, misstraut man jenen, die ihre Informationen preisgeben. Zu oft steckt hinter der Informationspolitik ein Strippenzieher.
In einem Land, in dem Korruption seit Jahren nicht mehr öffentlich in diesem Ausmaß verhandelt wurde, müsste doch ein jeder AKP-Anhänger, der Erdoðan die Treue hielt, erschrecken oder wenigstens ein wenig ernüchtert sein. Spätestens jetzt müssten die AKP-Wähler begriffen haben, dass die paar Gesetzesänderungen zum Wohle der muslimischen Ordnung – wie die Aufhebung des Kopftuchverbots an Universitäten und Parlament oder das Alkoholverkaufsverbot nach 22 Uhr – lediglich suggerieren sollten, dass es jetzt gesitteter zugehen soll, derweil es im Hintergrund weniger rechtschaffen vor sich geht.