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Alt 24.02.2007, 22:26
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Standard HUKUKSAL KONUM!!!

STRAFRECHT

Die Bestrafung der Völkermordleugnung vor dem Gesetz

von Sarkis Bezelgues, LL.M.



Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könnte. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. „Es ist möglich“, sagt der Türhüter, „jetzt aber nicht.“

Das deutsche Strafrecht gegen die Leugnung von Völkermorden ist erstaunlicherweise begrenzt und ineffizient. § 130 Abs. 3 StGB wurde erst 1994 eingeführt und lässt viele Leugnungstaten unbestraft, da er unter anderem lediglich die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermorde betrifft. Die Demonstrationen von türkischen Völkermordleugnern in Berlin und Lyon im März 2006 haben aber deutlich gemacht, zu welchen gefährlichen Situationen diese derzeitige Rechtssituation führen kann. Es ist daher an der Zeit, einer umfangreichen Strafbarkeit der Völkermordleugnung den Eintritt in das Gesetz zu gewähren. Die Konkretisierung eines entsprechenden Straftatbestands stellt jedoch keine leichte Aufgabe dar. Ein europäischer Vergleich zeigt deutlich, dass die meisten Rechtsordnungen Europas die Völkermordleugnung nur teilweise erfassen (1) und sich darum besser auszurüsten versuchen: Reformprojekte sind in Belgien, Frankreich und den Niederlanden nachweisbar. Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich die nachfolgenden Überlegungen mit dem Wortlaut, den eine zukünftige deutsche Strafvorschrift gegen die Völkermordleugnung haben könnte. Es stellen sich hauptsächlich drei Fragen: welche Völkermorde vor einer Leugnung geschützt werden sollen, welche Straftatbestände gelten sollen und wie die Gesetzesänderung zu konkretisieren wäre.

1. Die betroffenen Völkermorde

Die Strafbarkeit der Völkermordleugnung betrifft in fast allen Ländern nur die durch das nationalsozialistische Regime verübten Genozide, also den Genozid an den Juden und an den Roma/Sinti. Diese Völkermorde sind aber bei weitem nicht die einzigen Fälle. Im 20. Jahrhundert fanden leider besonders viele Völkermorde und Massaker statt. Allgemein „anerkannt“, also in ihrer Faktizität als unbestritten gelten in der Genozidforschung auch die Völkermorde an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches, in Kambodscha sowie in Ruanda. Problematisch bei bestimmten Fällen ist des Weiteren, dass sie entweder trotz bewiesener historischer Faktizität bisher wenig erforscht wurden (wie z.B. der Völkermord an den Herero) oder dass die Situation bis heute noch nicht eindeutig geklärt ist (wie in Ex-Jugoslawien und in Osttimor).

Die erste Etappe der Entwicklung einer Rechtsnorm gegen die Völkermordleugnung besteht somit darin, die Völkermorde festzustellen, deren Leugnung bestraft werden soll. Jede Gesetzgebung steht diesbezüglich einer Alternative gegenüber. Möglich ist zunächst, die strafrelevanten Völkermorde aufzulisten, indem diese ausdrücklich erwähnt werden oder aus bestimmten Kriterien geschlossen werden können. Vorstellbar ist ebenfalls, dass alle Völkermorde betroffen sind, wobei der Definition dieses Begriffs das UN-Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords von 1948 zugrunde gelegt wird. Allerdings birgt diese Vorgehensweise die Gefahr, dass historisch vor der Verabschiedung der UN-Konvention gelegene Genozide ausgeklammert bleiben.

Die erste Möglichkeit wird mehrheitlich angewandt: sie ist beispielsweise in Frankreich, Deutschland, Belgien und Österreich zu finden. Sie hat zwar den Vorteil, eine klare Rechtslage zu schaffen, da die relevanten Völkermorde eindeutig im Gesetz festgestellt sind, geht aber mit gravierenden Nachteilen einher. Sie verursacht zuerst eine Diskriminierung zwischen den Völkermordopfern, die vor der Leugnung geschützt werden, und denjenigen, die vom Schutz ausgeschlossen bleiben. Diese unterschiedliche Behandlung ist absolut nicht gerechtfertigt, und verstoßt eindeutig gegen das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Eine unterschiedliche Situation, die eine unterschiedliche Behandlung erklären könnte, liegt auch nicht vor; es ist kein Grund ersichtlich, warum die Herero weniger geschützt vor Völkermordleugnung als die Juden werden sollen, obwohl beide Gruppen Opfer eines durch Deutschland verübten Völkermords sind. Eine gesetzliche Liste der betroffenen Genozide ist des Weiteren nicht anpassungsfähig bzw. erweiterbar, weil sie ein für allemal erstellt wird. Jede Erweiterung des Straftatbestands setzt eine mühsame und jedenfalls schwer zu erreichende Gesetzesänderung voraus. Die Erfahrung der letzen Jahrzehnte zeigt aber, dass leider fortgesetzt Völkermorde begangen und später geleugnet werden.

Die grundsätzliche Strafbarkeit der Leugnung sämtlicher Völkermorde besteht unter anderem in der Schweiz und in Spanien. Dadurch lässt sich jegliche Diskriminierung von Opfergruppen vermeiden, denn die Strafvorschrift kann für jede Leugnung in Anspruch genommen werden. Anpassungsprobleme scheiden ebenfalls aus. Problematisch bei dieser Lösung ist jedoch, dass den Gerichten bei der Auslegung des Begriffs des Völkermords ein breiter Auslegungsspielraum zugestanden wird. Je nach dem zuständigen Gericht kann mithin ein Völkermord als solcher qualifiziert werden oder nicht, was erneut die Gefahr einer ungerechten Behandlung der Leugnungsopfer in sich birgt. Es ist zudem fragwürdig, dass Gerichte die relevanten Völkermorde alleine feststellen können. Die notwendigen Debatten über die Qualifikation als Völkermord können des Weiteren dazu führen, dass Völkermordleugner Gerichte als Schaubühne missbrauchen, um ihre Propaganda öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Um einen Freispruch zu erlangen, sind sie geradezu gehalten, die Existenz eines Völkermords zu widerlegen. Die Öffentlichkeitsresonanz solcher Prozesse wäre enorm. Diese Lösung könnte schließlich einigen Stimmen in der Fachliteratur zufolge erhebliche Justizverwaltungskosten und Verzögerungen verursachen, weil deutsche Gerichte theoretisch für jeden Fall von Völkermordleugnung in Anspruch genommen werden könnten (2). Es ist aber in der Praxis kaum zu erwarten, dass Indianer oder Azteken wegen Leugnung ihres Völkermords vor ein deutsches Gericht treten. Die Völkermordleugnung konzentriert sich vielmehr auf relativ rezente Fälle und betrifft insbesondere die Völkermorde an den Juden und Roma/Sinti, an den Armeniern bzw. christlichen Ethnien im Osmanischen Reich (3), an den Herero, in Kambodscha und in Ruanda. Eine Überbelastung deutscher Gerichte sowie eine horrende Steigerung der Justizkosten erscheinen deshalb sehr unwahrscheinlich.

Um die Nachteile der beiden besprochenen Lösungen zu vermeiden, ist daher eine mittlere Lösung zu bevorzugen. Damit die Strafvorschrift offen und anpassungsfähig genug bleibt, soll zuerst ausdrücklich im Gesetz stehen, dass die Leugnung aller Völkermorde im Sinne der UN-Konvention strafbar ist. Die Gesetzgebung soll aber zusätzlich diejenige Fälle von Völkermorden feststellen, deren historische Faktizität nicht in Frage gestellt werden darf und die zu keiner Debatte anlässlich von Gerichtsverhandlungen führen dürfen. Es handelt sich mit anderen Worten um eine offene Liste der relevanten Völkermorde, die den Auslegungsspielraum der Gerichte nur teilweise einschränkt. Eine effiziente Pönalisierung der Völkermordleugnung setzt somit gesetzliche „Anerkennungen“ von Einzelfällen des Genozids voraus, die nicht (nur) in getrennten Gesetzen, sondern (auch) in der Strafvorschrift selber enthalten sind. Für die Anerkennung kommen alle Völkermordfälle in Frage, die in der Genozidforschung mehrheitlich als solche betrachtet werden. Dies betrifft also die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermorde (an den Juden und Roma/Sinti), die unter der Herrschaft der Jung-Türken begangenen Völkermorde (an Armeniern, Aramäern/Assyrern und Griechen osmanischer Staatszugehörigkeit), den Völkermord in Kambodscha und den Völkermord in Ruanda.

2: Der Straftatbestand

Die zweite zentrale Frage betrifft den Straftatbestand einer Strafvorschrift gegen die Völkermordleugnung. Die Völkermordleugnung stellt kein unimodales Delikt dar. Sie kann vielmehr unter extrem verschiedenen Formen erscheinen, die sich zwischen der einfachen Leugnung bis hin zu subtilen Sophistereien (wie z.B. der Ultra-Beweis) erstrecken. Eine Strafvorschrift gegen die Völkermordleugnung muss daher dieser Vielfalt von Erscheinungsformen gewachsen sein, was mit einer einfachen Bestrafung der „Leugnung“ nicht der Fall wäre. Erforderlich ist daher eine umfassende Strafbarkeit jeder Form von Völkermordleugnung.

Eine solche Strafbarkeit könnte sich jedoch problematisch erwiesen. Sie würde nämlich in einem Spannungsverhältnis mit den Grundrechten stehen, da sie zweifelsohne eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 GG darstellt. Eine allzu umfangreiche Bestrafung der Völkermordleugnung könnte dieses Grundrecht unverhältnismäßig beeinträchtigen. Aus diesen verfassungsrechtlichen Gründen soll mithin die Strafbarkeit der Völkermordleugnung innerhalb von klaren Grenzen stattfinden. Die Analyse der Argumentation von Völkermordleugnern verdeutlicht, dass drei Hauptmodalitäten angewandt werden: Abstreitung, Verharmlosung und Rechtfertigung. (4) Die Strafvorschrift soll sich deshalb auf diese drei Aspekte konzentrieren. § 130 Abs. 3 StGB bestraft die Billigung eines Völkermords, nicht aber seine Rechtfertigung. Dies ist insofern problematisch, als die Rechtfertigung zu den beliebtesten Methoden von Völkermordleugnern gehört, beispielsweise mit folgenden Behauptungen:

- Die Opfergruppe bedrohte die innere Sicherheit, weil sie Verräter waren.
- Es bestand keine Absicht, bestimmte Gruppen zu vernichten, sondern lediglich umzusiedeln.
- Die Opfergruppe hat angefangen, die Tätergruppe zu massakrieren. Diese wurde somit zur Selbstverteidigung gezwungen.


Dabei unterscheidet sich die Rechtfertigung von der Billigung. Während die Rechtfertigung darauf abzielt, Begründungen für den Völkermord zu liefern, begrüßt die Billigung die Verübung des Völkermords, ohne seine historische Realität in Frage zu stellen. Streng genommen stellt daher die Billigung keine Leugnung dar. Sie muss jedoch in derselben Strafvorschrift bestraft werden, da sie die Würde der Opfer und deren Nachkommen genauso wie die Leugnung verhöhnt und verletzt.

Um verfassungsmäßig zu bleiben muss des Weiteren die Strafvorschrift einzig eine öffentliche Leugnung bestrafen, da nur diese Form gefährlich ist. Dabei ist das Adjektiv „öffentlich“ weit zu verstehen und auszulegen. Ausschlaggebend ist die Verbreitung von leugnerischen Behauptungen in die Öffentlichkeit, sei es während Versammlungen, durch Medien (Bücher, Flugschriften, Rundfunk, Fernsehen, Internet usw.) oder auf irgendeine andere Weise.

Nicht notwendig ist es hingegen, die Bestrafung der Völkermordleugnung von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen. Die Gefährdung des öffentlichen Friedens, die im deutschen Strafrecht erforderlich ist, sollte beispielsweise ausscheiden. Denn der Straftatbestand der Völkermordleugnung setzt voraus, dass die Leugnung öffentlich erfolgt; der öffentliche Frieden ist also zwangsläufig bereits gestört, weil die Leugnung die Würde der Opfer und ihrer Nachkommen angreift. Die Erforderlichkeit einer konkreten Gefährdung würde den Anwendungsbereich der Vorschrift allzu sehr einschränken. Eine rassistische Motivation der Leugnungstat, wie sie das schweizerische Recht als Kriterium für Strafrelevanz voraussetzt, muss ebenfalls entfallen. Denn jede Leugnung drückt per se eine rassistische Einstellung gegenüber den Genozidopfern aus. Mit der Voraussetzung einer rassistischen Motivation könnten des Weiteren Völkermordleugner jeder Strafe entgehen, indem sie behaupten, nicht etwa aus Rassismus geleugnet zu haben, sondern vielmehr aus Nationalismus.

Die Frage nach einer angemessenen Strafe für die Begehung einer Völkermordleugnung ist schließlich relativ einfach zu beantworten, da § 130 Abs. StGB für die Leugnung der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermorde eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vorsieht. Es empfiehlt sich für eine allgemeine Vorschrift gegen die Völkermordleugnung dieses Strafmaß zu übernehmen.

3: Form der Gesetzesänderung

Eine Erweiterung der Strafbarkeit der Völkermordleugnung könnte unter verschiedenen Formen realisiert werden, die allerdings nicht immer den im 1. und 2. Abschnitt herausgearbeiteten Anforderungen gewachsen sind.

Am einfachsten wäre zunächst eine Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 130 Abs. 3 StGB. Die jetzige Fassung lautet: Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Problematisch bei dieser Vorschrift ist ihre eindeutige Begrenzung auf die nationalsozialistischen Völkermorde, die sich nur durch eine umfangreiche Umformulierung korrigieren lassen würde. Ebenso wenig erscheint es gerechtfertigt, dass die Leugnung mit einer Friedensstörung verknüpft wird. Hierdurch könnten bestimmte Fälle von Völkermordleugnung ihrer Bestrafung entgehen.

Es erscheint also angebrachter, eine neue Vorschrift einzuführen, die den Straftatbestand des heutigen § 130 Abs. 3 StGB übernimmt und verallgemeinert. Als Verfassungshilfe für diesen neuen Paragraph bieten sich sowohl das schweizerische als auch das spanische Recht an, weil sie beide alle Völkermorde betreffen. Der Art. 261 bis Abs. 4 des schweizerischen Gesetzbuchs setzt jedoch voraus, dass die Leugnung rassistisch motiviert ist, was den Anwendungsbereich dieser Vorschrift erheblich verringert. Problematisch beim spanischen Recht ist wiederum, dass nur die Leugnung oder die Rechtfertigung von Völkermorden bestraft wird, nicht aber die in praxi hochrelevante Verharmlosung von Völkermord.

Unabhängig vom existierenden Recht sollte die zukünftige Strafvorschrift in einem ersten Absatz den Straftatbestand sowie das Strafmaß enthalten, und in einem zweiten Absatz die infrage kommenden Völkermorde präzisieren. Systematisch betrachtet gehört eine Strafvorschrift gegen die Völkermordleugnung zwar nicht direkt zur Volkverhetzung (§ 130 StGB), wohl aber zum siebenten Abschnitt des Strafgesetzbuchs, der sich mit Straftaten gegen die öffentliche Ordnung beschäftigt. Es wäre daher angebracht, diese hier vorgeschlagene Gesetzesänderung durch die Einführung eines § 130b vorzunehmen; auf diese Weise wäre eine gewisse Kontinuität mit der jetzigen Rechtlage gesichert.

4: Vorschlag für die Gesetzesänderung

Aus den obigen Überlegungen ergibt sich folgender Vorschlag für die Gesetzesänderung. Der darin enthaltene Verweis auf § 6 des Völkerstrafgesetzbuchs sollte nicht irreführen: Es handelt nur um die Umsetzung der Definition des Völkermords nach der UN-Konvention aus dem Jahre 1948 in deutsches Recht.

§ 130b Völkermordleugnung. (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich einen Völkermord leugnet, verharmlost, billigt oder rechtfertigt. (2) Im Sinne des Abs. 1 ist ein Völkermord nach der Definition des § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuchs zu verstehen. Als Völkermord gelten insbesondere die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus und unter der Herrschaft der Jungtürken begangenen Völkermorde, sowie die Völkermorde in Kambodscha und Ruanda.

Die Strafbarkeit der Genozidleugnung im europäischen Vergleich

Nicht in allen europäischen Staaten wird die Leugnung von Völkermord strafrechtlich verfolgt. Diejenigen Staaten, die Genozidleugnung strafrechtlich verfolgen, tun dies in unterschiedlicher Weise und Intensität. In Deutschland und Belgien wird nur die Leugnung der Schoah als eigenes Strafdelikt behandelt; gegen die Leugnung anderer Völkermorde kann in Deutschland nur unter Zuhilfenahme anderer Strafrechtstatbestände vorgegangen werden.

Die Schweiz verfolgt Genozidleugnung nur im Zusammenhang ihrer Antirassismusbekämpfung. Am weitestreichenden ist bisher das Strafrecht Spaniens formuliert.

Die folgende Synopse wurde von Sarkis Bezelgues zusammengestellt und enthält die jeweiligen rechtlichen Originaltexte nebst ihren Übersetzungen ins Deutsche und Französische:



Gesetzgebung einiger europäischen Staaten zur Bestrafung der Völkermordleugnung
Législation de quelques Etats européens relative à la répression du négationnisme


1. Deutschland / Allemagne

§ 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB)
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

§ 130 al. 3 Code pénal – traduction:
Quiconque approuvera, niera ou minimisera, en public ou dans un rassemblement, d’une manière pouvant porter atteinte à la paix publique, un crime prévu au § 6 al. 1 du Code pénal international [allemand] commis sous le régime national-socialiste, sera puni d’une peine d’emprisonnement de cinq ans au maximum ou d’une amende.

§ 185 StGB, Beleidigung
Die Beleidigung wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 185 Code pénal, insulte – traduction:
L’insulte sera punie d’une peine d’emprisonnement d’un an au maximum ou d’une amende, et, lorsque l’insulte est commise au moyen d’une voie de fait, d’une peine d’emprisonnement de deux ans au maximum ou d’une amende.

§ 189 StGB, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 189 Code pénal, insulte à la mémoire de personnes décédées – traduction:
Quiconque insultera la mémoire d’une personne décédée sera puni d’une peine d’emprisonnement de deux ans au maximum ou d’une amende.


2. Frankreich / France

§ 1382 Zivilgesetzbuch – Übersetzung:
Es ist jeder Schaden zu ersetzen, den man pflichtwidrig einem anderen zufügt.

§ 1382 Code civil
Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer.

§ 24 bis, Gesetz vom 29.7.1881 über die Pressefreiheit, modifiziert durch Art. 9 des Gesetzes gegen Rassismus vom 13.07.1990 (so genanntes Gayssot-Gesetz) – Übersetzung:
Mit den im 6. Abs. des Art. 24 vorgesehenen Strafen wird bestraft, wer durch die im Art. 23 definierten Mittel die Existenz eines oder mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestreitet, wie in Art. 6 des dem Abkommen von London beigefügten Statuts des internationalen Kriegstribunal definiert, die durch die Mitglieder einer im Art. 9 dieses Abkommens als kriminell bezeichneten Organisation oder von einer von französischen oder internationalen Gerichten für schuldig erklärten Person begangen wurden.

§ 24 bis de la loi du 29 juillet 1881 – Loi sur la liberté de la presse, modifié par l’art. 9 de la loi du 13.7.1990 contre le racisme, dite loi Gayssot
Seront punis des peines prévues par le sixième alinéa de l’article 24 ceux qui auront contesté, par un des moyens énoncés à l’article 23, l’existence d’un ou plusieurs crimes contre l’humanité tels qu’ils sont définis par l’article 6 du statut du tribunal militaire international annexé à l’accord de Londres du 8 août 1945 et qui ont été commis soit par les membres d’une organisation déclarée criminelle en application de l’article 9 dudit statut, soit par une personne reconnue coupable de tels crimes par une juridiction française ou internationale. […]


3. Die Schweiz / La Suisse

§ 261 bis Abs. 4 Strafgesetzbuch
[W]er öffentlich in Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,[…] wird mit Gefängnis oder Busse bestraft.

§ 261bis alinéa 4 Code pénal (traduction officielle)
[C]elui qui aura publiquement, par la parole, l’écriture, l’image, le geste, par des voies de fait ou toute autre manière, abaissé ou discriminé d’une façon qui porte atteinte à la dignité humaine une personne ou un groupe de personnes en raison de leur race, de leur appartenance ethnique ou de leur religion ou qui, pour la même raison, niera minimisera grossièrement ou cherchera à justifier un génocide ou d’autres crimes contre l’humanité;[…] sera puni de l’emprisonnement ou de l’amende


4. Spanien / Espagne

§ 607 Abs. 2 Strafgesetzbuch – Übersetzung:
Die Verbreitung durch jedwede Mittel von Ideen oder Doktrinen, die die im vorherigen Absatz aufgeführten Delikte [Völkermord] leugnen oder rechtfertigen, oder die die Rehabilitation von Regimen oder Institutionen fordern, welche Handlungen schützen, die solche Delikte herbeiführen, wird durch eine Freiheitsstrafe von ein oder zwei Jahren bestraft.

§ 607 apartado 2 Código penal
La difusión por cualquier medio de ideas o doctrinas que nieguen o justifiquen los delitos tipificados en el apartado anterior de este artículo, o pretendan la rehabilitación de regímenes o instituciones que amparen prácticas generadoras de los mismos, se castigará con la pena de prisión de uno o dos años.

§ 607 al. 2 Code pénal – traduction:
La diffusion par quelque moyen que ce soit d’idées ou de doctrines qui nient ou justifient les crimes mentionnés au précédent alinéa de cet article [génocide], ou exigent la réhabilitation de régimes ou institutions favorisant des pratiques génératrices de tels crimes, sera punie d’une peine de prison de un à deux ans.


5. Belgien / Belgique

§ 1 des Gesetzes vom 23.3.1995 – Übersetzung:
Wer unter einem der in Art. 444 Strafgesetzbuch aufgeführten Umstände den vom deutschen national-sozialistischen Regime im Zweiten Weltkrieg verübten Völkermord leugnet, gröblich verharmlost, zu rechtfertigen sucht oder billigt, wird mit einer Freiheitsstrafe von acht Tagen bis zu einem Jahr und einer Geldstrafe von 26 bis zu 5000 Franken bestraft.

Für die Anwendung des vorherigen Absatzes ist das Wort Genozid im Sinne des Art. 2 des internationalen Übereinkommens vom 9. Dezember 1948 über die Bestrafung und Verhütung von Völkermord zu verstehen.

§ 1 de la loi du 23 mars 1995
Est puni d"un emprisonnement de huit jours à un an et d"une amende de vingt-six à cinq mille francs quiconque, dans l"une des circonstances indiquées à l"article 444 du Code pénal, nie, minimise grossièrement, cherche à justifier ou approuve le génocide commis par le régime national-socialiste allemand pendant la seconde guerre mondiale

Pour l"application de l"alinéa précédent, le terme génocide s"entend au sens de l"article 2 de la Convention internationale du 9 décembre 1948 pour la prévention et la répression du crime de génocide.





Die Strafbarkeit der Völkermordleugnung in Europa (©)

von Sarkis Bezelgues, LL.M.

„Die Ungeheuerlichkeit der begangenen Untaten schafft automatisch eine Garantie dafür, dass den Mördern, die mit Lügen ihre Unschuld beteuern, eher Glauben geschenkt wird als den Opfern, deren Wahrheit den gesunden Menschenverstand beleidigt.“

Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1955, S. 646

Einführung

Mehr als fünfzig Jahre nach dem UN-Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords (1948) haben zahlreiche Staaten auf nationaler Ebene Strafvorschriften eingeführt, um dem Völkermord zu begegnen. Am spektakulärsten sind dabei das belgische Recht (1), das den nationalen Gerichten eine universelle Zuständigkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuschreibt, sowie das spanische Recht . Zudem wurden ad hoc Gerichte für Ex-Jugoslawien und Ruanda eingesetzt, um eine Bestrafung der dort verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermorde zu sichern.

Während die Staaten sich gegen den Völkermord mehr und mehr ausrüsteten, blieb allerdings ein damit verbundenes Phänomen weitgehend ignoriert: die Völkermordleugnung. Darunter wird das Bestreiten, im weiteren Sinne auch das Verharmlosen und Herunterspielen der Realität eines Völkermords verstanden. Angesichts der Zunahme leugnerischer Veröffentlichungen und Reden sahen sich jedoch die meisten Länder Europas in den 1980er Jahren veranlasst, nun auch die Völkermordleugnung strafrechtlich zu verfolgen. Infolgedessen liegt heute in nahezu allen EU-Mitgliedstaaten eine entsprechende Gesetzgebung vor (2).

Ziel dieses Beitrags ist es, die Gesetzgebung gegen die Völkermordleugnung ausgewählter europäischer Staaten darzustellen und zu analysieren. Dadurch soll eine Rechtsvergleichung ermöglicht werden, die zur Verbesserung der aktuellen Rechtslage beiträgt. Als repräsentative Länder wurden Deutschland, Frankreich, die Schweiz, Spanien und Belgien gewählt.

Zuerst ist allerdings erforderlich, sich mit der grundlegenden Problematik der Notwendigkeit einer Strafbarkeit von leugnerischen Handlungen auseinanderzusetzen. Die daraus gewonnenen Ergebnisse sollen anschließend für die juristische Darstellung der einzelnen Länder eingesetzt werden.

1. Notwendigkeit der Strafbarkeit der Völkermordleugnung

Nicht alle Staaten der Welt weisen eine Gesetzgebung gegen die Völkermordleugnung auf; insbesondere Staaten der Common Law-Rechtsfamilie wie Großbritannien und die USA lassen überhaupt keine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit zu. Die folgenden Abschnitte belegen insofern die Notwendigkeit einer repressiven Gesetzgebung gegen die Völkermordleugnung.

1.1 Begriff und Formen der Völkermordleugnung

Ebenso wie der Genozid bildet seine Leugnung kein modernes Phänomen. Ihre Vorbereitung erfolgt bereits während des Verbrechens (3). Der Völkermordtäter versucht stets, wie jeder Verbrecher, Beweise seines Verbrechens zu vernichten und zu verbergen. Die Völkermordleugnung im Sinne der Spurenverwischung greift also bis zur Tatzeit zurück. Anderer Natur ist jedoch, was hier unter Völkermordleugnung verstehen wird. Es handelt sich darum, wie Pierre Vidal-Naquet schreibt, nachträglich „die unerträgliche Wahrheit durch eine beruhigende Lüge zu ersetzen“ (4). Völkermordleugner stellten sich zunächst nicht als solche vor, sondern als „Revisionisten“, was impliziert, dass sie die akzeptierte Version der Geschichte „korrigieren“ und angebliche „Manipulationen“ beseitigen wollen. Die eigentliche Absicht dieser Pseudo-Historiker wurde dennoch schnell entlarvt, und man sprach nun im englischen Sprachraum von denial. Diesem Begriff entsprach ab 1987 das französische Wort négationnisme. In Deutschland war hingegen der Ausdruck „Auschwitz-Lüge“ längst eingebürgert. Wegen seiner negativen Konnotationen, seiner Ungenauigkeit und seiner Beschränkung auf den Holocaust ist aber der umfassendere und exaktere Begriff Völkermordleugnung angebrachter.

Die Völkermordleugnung ist das Leugnen der historischen Faktizität eines Völkermords. Die deutsche Fachliteratur unterscheidet im Hinblick auf die „Auschwitz-Lüge“ typischerweise zwischen der einfachen und der qualifizierten Völkermordleugnung. Die einfache Leugnung ist das bloße In-Abrede-Stellen der Existenz eines Völkermords: es wird beispielsweise behauptet, dass es gar keinen Völkermord gab, oder dass die Opferzahl erheblich geringer war. Die qualifizierte Leugnung beinhaltet zugleich eine Identifizierung mit einer Rassenideologie, oder stellt den Völkermord als Lügengeschichte dar, die zu eigennützigen Zweck entwickelt wurde (5).

Diese rechtsdogmatische Unterscheidung ist jedoch nicht befriedigend, vor allem in einer rechtsvergleichenden Perspektive; sie wurde übrigens in Deutschland nur deshalb durchgeführt, um die Äußerungen, die einen Angriff auf die Menschenwürde beinhalten, von anderen zu unterscheiden, und damit ihre Strafbarkeit nach § 130 Deutsches Strafgesetzbuch (D-StGB) vor der Reform aus dem Jahr 1994 zu ermöglichen (6). Stattdessen bietet Wandres eine dreifache Bezeichnung: die bloße radikale Geschichtsrevision, die radikale Geschichtsrevision als Instrument persönlichkeitsbezogener Angriffe, und die radikale Geschichtsrevision als Instrument schwerer Rechtsgutgefährdung (7). Diese Kategorisierung lässt sich jedoch nur schwer handhaben und leidet an demselben Problem wie die klassische Unterscheidung. Denn wenn die einfache Leugnung unzweifelhaft eine Leugnung darstellt (ein Völkermord wird geleugnet), wird diese Leugnung im Fall der „qualifizierten“ Leugnung von einem weiteren Delikt begleitet, das je nach der Rechtsordnung als Aufstachelung bzw. Aufruf zum Rassenhass, als Verbreitung einer rassistischen Propaganda, als Beleidigung, oder als Aufreizung zum Rassenhass (provocation à la haine raciale) verstanden werden kann. Des Weiteren weist das Adjektiv „qualifiziert“ normalerweise darauf hin, dass das betroffene Verbrechen in einem verschärften Maße begangen wurde. Ein Diebstahl (§ 242 D-StGB) kann beispielsweise in einem besonderen Fall, etwa bei einem Wohnungseinbruch, begangen werden (§ 243 D-StGB). Es bleibt aber ein und dasselbe Verbrechen. Die angebliche „qualifizierte“ Leugnung besteht hingegen eigentlich aus zwei verschiedenen Verbrechen in Tateinheit: der Leugnung und einem weiteren Delikt. Deshalb soll sich der Begriff „Leugnung“ auf den besonderen Fall des bloßen Bestreitens der Realität eines Völkermords beschränken. Ob diese Handlung von einem weiteren Delikt begleitet wird, ist unerheblich. Die Differenzierung zwischen „einfacher“ und „qualifizierter“ Leugnung sollte daher grundsätzlich verworfen werden. In diesem Beitrag wird sie jedoch der Einfachheit halber beibehalten.

Dies bedeutet aber keineswegs, dass die Völkermordleugnung uniform auftritt, wie auch die Analyse der Methoden der Völkermordleugner bestätigt.

1.2 Methoden der Völkermordleugner

Unabhängig vom Einzelfall ähneln die Methoden der Völkermordleugner einander in verblüffender Weise. Die Argumente der Leugner haben sich über Jahrzehnte entwickelt und verfeinert, und haben nunmehr einen erstaunlichen Zustand erreicht, mit bibliographischer Hinweise und Referenzen sowie Nachschlagwerken. Sowohl für die Schoah als auch für den Völkermord an den Armeniern werden von Leugnern fast dieselben Argumente benutzt, die schematisch in drei Modalitäten zusammengefasst werden können (8): Abstreitung, Verharmlosung und Rechtfertigung.

Abstreitung:
Die Geschichte des Völkermords beruhe angeblich auf lauter Kriegspropaganda.
Der Völkermordmythos wurde im Fall des Völkermordes an den Armeniern und den europäischen Juden angeblich aus wirtschaftlichen und politischen Gründen geschaffen.
Diejenigen, die an diesen Mythos (d.h. den Holocaust) glauben, haben bewusst oder unbewusst die kommunistische Expansion sowie die Schwächung der NATO befordert.
Verharmlosung:
Die Todesfälle haben dieselben Ursachen wie bei der türkischen und deutschen Mehrheitsbevölkerung (Epidemien bzw. Bombardierung), die sogar in noch größerem Umfang ums Leben kam.
Die Zahl der Verstorbenen sei viel geringer als behauptet, und manche angebliche Opfer leben angeblich in anderen Ländern.
Rechtfertigung:
Armenier und Juden bildeten angeblich eine Bedrohung für die innere Sicherheit des Verfolgerstaates.
Es gab keine Absicht und keinen Vorsatz, bestimmte Gruppen zu vernichten. Es musste lediglich kriegs- und sicherheitsbedingt umgesiedelt werden.
Argumentativ wenden die Völkermordleugner hauptsächlich zwei Methoden an: der Angriff auf Details und der Ultra-Beweis.

1.2.1 Angriffe auf Details

Die Völkermordleugner versuchen in einer ersten Stufe die Schwachstellen der mehrheitlich akzeptierten Geschichtsfassung zu finden und anzugreifen. Ziel dieses Manövers ist es, eine Kontroverse entstehen zu lassen, obwohl die historische Forschung bereits unwiderlegbare Beweise erbracht hat. Durch diese Kontrovers wird eine „wissenschaftliche“ Debatte konstruiert bzw. gerechtfertigt, die darauf abzielt, sämtliche Dokumente nochmals zu überprüfen, und gegebenenfalls als unauthentisch abzulehnen.

Am signifikantesten für die industriemäßige Vernichtung der europäischen Juden waren die Gaskammern. Die Völkermordleugner haben deshalb von Anfang an versucht, ihre Realität zu bestreiten („Entlausungskammer“ usw.). Rein juristisch betrachtet spielt es allerdings keine Rolle, ob Juden durch Gaskammern oder auf andere Weise vernichtet wurden, da dies für die Qualifizierung als Völkermord belanglos ist. Die Völkermordleugner wollen lediglich einen Zweifel säen, um dann den anschließenden Gedankengang zu rechtfertigen: Wenn keine Gaskammer benutzt wurde, dann wurde auch kein Völkermord begangen. Denn wenn ein Element zweifelhaft erscheint, kann die gesamte Anklage in Frage gestellt werden. Auf den Fall des Genozids an den Armeniern wurden längst dieselben Methoden übertragen, und zwar in Bezug auf die Zahl ihrer Opfer. Während die Armenier mindestens 1, 5 Millionen Völkermordopfer beklagen, versuchen türkische Leugner und ihre nicht-türkischen Unterstützer, diese Zahl anhand von dubiösen demographischen Rechnungen zu relativieren, und sprechen von maximal 500.000 Opfern. Für die Qualifizierung als Völkermord ist dieses Manöver allerdings belanglos.

1.2.2 Der Ultra-Beweis

Eine weitaus perversere Methode kann sich nach Entstehung dieser Pseudo-„Debatte“ entwickeln. Überzeugte oder anders motivierte Wissenschaftler verlangen nunmehr, unter dem Vorwand der akademischen Strenge, ausführliche Beweise, ehe sie der Beschuldigung Glauben schenken. Diese Völkermordleugner werfen also früheren Historikern vor, nicht objektiv und neutral recherchiert zu haben, und sie geben vor, nunmehr die Geschehnisse nach „wahren“ geschichtswissenschaftlichen Methoden zu untersuchen. Diese Methode wird Ultra-Beweis genannt (9), da nach dem vorgeblich „letzten“ Beweis gesucht wird, als ob ein solcher in der Geschichtswissenschaft überhaupt existieren würde.

Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern illustriert am besten diese Methode. Da für die Qualifizierung als Völkermord nach der UN-Konvention der Nachweis einer Vernichtungsabsicht erforderlich ist, wird das Vorhandensein dieser Absicht bestritten. Völkermordleugner verlangen, angeblich im Namen der Wissenschaft, ausdrückliche Beweise der Vernichtungsabsicht. Dieser Beweis erweist sich jedoch zumeist als schwierig und sogar unmöglich, weil die Täter im Eigeninteresse keine genozidären Absichtserklärungen oder Schuldbekenntnisse hinterlassen. Die Forderung nach einem derartigen Beweis bildet daher die probatio diabolica des Völkermordtatbestands. Die Völkermordleugner nehmen zwar an, dass es Opfer gab, bestreiten aber die Existenz eines Vernichtungsplans. Durch diese angebliche Kompromissbereitschaft bzw. „Unparteilichkeit“ wirken sie umso überzeugender gegenüber Profanen.

Auch hinsichtlich der Schoah liegen keine Dokumente vor, die die Vernichtungsabsicht ausdrücklich belegen. Daraus zu schließen, dass kein Völkermord stattgefunden hat, wäre jedoch absurd.

1.3 Struktur der Völkermordleugnung

Genozidleugnung ist eine weit verbreitete Folge des Völkermords, die sich keineswegs nur auf die Vernichtung von Armeniern und Juden beschränkt; auch jüngere Beispiele wie der totalitäre Genozid in Kambodscha (10), dem unter anderem Buddhisten, die muslimischen Cham, Vietnamesen sowie echte und vermutete „Intellektuelle“ zum Opfer fielen, Srebrenica (Bosnien) (11) und Ruanda (12) sind in ihrer Faktizität geleugnet oder in ihrer Dimension heruntergespielt worden. Während allerdings die Genozide nach dem Zweiten Weltkrieg in der einen oder anderen Weise juristisch aufgearbeitet werden konnten, zuletzt durch provisorische oder ständige internationale Gerichtshöfe, leiden die Nachfahren der Opfer der Völkermorde aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (13) nicht nur an fehlender oder unbefriedigender juristischer Bewältigung, sondern sind am längsten und intensivsten der Leugnung (14) oder Herabspielung der Fakten ausgesetzt.

Die meisten nachfolgenden Länderberichte konzentrieren sich auf die Leugnung der Völkermorde an den Armeniern und den europäischen Juden. Diese beiden Leugnungen weisen aber bei allen Ähnlichkeiten der benutzten Methoden auch zahlreiche Unterschiede auf: bei der Schoah handelt es sich um eine diffuse Leugnung durch Privatpersonen unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten in zahlreichen Staaten. Die bekanntesten Leugner sind zwar in Deutschland, aber auch in Frankreich, Großbritannien, in der Schweiz, in den USA usw. tätig. Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern hingegen ist das Ergebnis einer bewussten und konzentrierten Politik der türkischen Republik als Rechtsnachfolgerin des Täterstaates; es handelt sich also um eine staatliche Völkermordleugnung . Natürlich sind auch nicht-türkische Leugner außerhalb der Türkei vorhanden (15) und werden gern von der staatlich-türkischen bzw. offiziösen türkischen Leugnungsmaschinerie zitiert; sie pflegen aber meist dubiöse Beziehungen zu den türkischen Behörden.

Die Strukturunterschiede zwischen den beiden Leugnungsfällen wirken sich erstens auf die Form und zweitens auf die Intensität der Leugnung aus. Der Völkermord an den Armeniern wird umso mehr geleugnet, als ein ganzer Staat mit allen möglichen Mitteln diese Leugnung unterstützt. Die höchste Stufe der Völkermordleugnung ist dann erreicht, wenn, durch eine perverse Umkehrung, die Täter als Opfer dargestellt werden, und vice versa. Eine vollständige Umkehrung des Sachverhalts ist nur im Fall des Völkermords an den Armeniern vorhanden: Den türkischen Völkermordleugnern zufolge sind es nämlich die Armenier, die einen Völkermord an den Türken begangen haben. Es gibt zum Beispiel in der Türkei offizielle Gedenkstätten für die „Opfer“ der Armenier, deren angebliche Verbrechen auch in landeskundlichen Museen (Van, Erzurum) angeprangert werden. Talat und Enver Pascha, die als Innen- und Kriegsminister politisch hauptverantwortlich für den Völkermord an den Armeniern waren und von Armeniern erschossen wurden, wurden in der Republik Türkei rehabilitiert (16) und werden als patriotische Martyrer geehrt. Eine solche offizielle Umkehrung durch den bundesdeutschen Nachfolgestaat des nationalsozialistischen Täterstaates ist beim Völkermord an den Juden nicht vorhanden. Von den privaten Leugnern der Schoah wird ebenfalls nicht behauptet, dass die Juden Deutschen vernichtet haben, sondern dass die systematische Bombardierung durch die Alliierten einen Völkermord an den Deutschen dargestellt habe. Weit verbreitet in der neonazistischen Szene ist auch die Behauptung, die photographierten Leichen von Opfern seien nicht etwa ermordete Juden, sondern die während der Bombardierungen verstorbenen Deutschen. Dieser Unterschied zwischen den Armeniern und den Juden ist die direkte Konsequenz der oben genannten Strukturunterschiede.

Auch die Wahrnehmung von Völkermordleugnern unterscheidet sich beträchtlich. Während Leugner der Schoah als Scharlatane von sämtlichen wissenschaftlichen Einrichtungen ausgeschlossen bleiben, wirkt sich die Leugnung des Völkermords an den Armeniern keineswegs als Karrierehemmnis aus, wie das Beispiel von Gilles Veinstein am Collège de France belegt, der als Lehrstuhlinhaber für osmanische Geschichte berufen wurde.

1.4 Die Motive der Völkermordleugner

Der Genozidforscher Israel Charny unterscheidet sechs Arten von Motiven (17):
Boshafte Bigotterie.
Opportunismus.
Unschuldige Leugnung.
Definitionalismus.
Nationalismus oder Beteiligung.
Menschliche Oberflächlichkeit.
Diese Kategorisierung beruht jedoch auf Prämissen, die strafrechtlich irrelevant sind. Keine Rolle sollte insbesondere die Frage spielen, ob der Leugner von seinen leugnerischen Thesen innerlich überzeugt ist, sonst würde jede strafrechtliche Verfolgung daran scheitern. Die Völkermordleugnung ist des Weiteren keine neutrale Handlung. Durchschnittliche Menschen empfinden nicht das Bedürfnis, Völkermorde in Frage zu stellen oder gar zu leugnen. Die Leugnung ergibt sich vielmehr fast immer aus der inneren Überzeugung, dass die „Wahrheit“ durchgesetzt werden muss, was jedoch eine Strafverfolgung nicht hindern darf. Denn, per Analogie, eine zum Spaß ausgesprochene Beleidigung bleibt strafrechtlich weiterhin eine Beleidigung.

Jede Völkermordleugnung sollte deshalb strafbar sein. Denn wer behauptet, dass ein Völkermord nicht stattgefunden hat, impliziert erstens, dass die Opfer nicht unter den behaupteten Umständen eines Genozids ums Leben gekommen sind, was einen Teil ihrer postmortalen Persönlichkeit abspricht, und stellt zweitens die Überlebenden und die Nachkommen als Lügner hin. Nach Yves Ternon besteht die Völkermordleugnung nicht nur darin, eine Tatsache von der Realität auszuschließen, weil sie traumatisierend ist. Wer den Völkermord an den Juden leugnet, ist außerdem in zweierlei Hinsichten kriminell: Er stört zuerst das Andenken an die Opfer und bereitet auch eine Wiederholung dieses kollektiven Verbrechens vor (18). Wer sich weigert, einen Völkermord beim Namen zu nennen, verfolgt nach Ternon ein politisches Projekt (19), das zwangsläufig auf rassistischen Gedanken basiert.

Folgendes Zitat betont die gewalttätige Dimension der Völkermordleugnung:

„When a genocide is denied, I don’t feel the act is an innocent one“. [..] “They’re celebrating the destruction of the victims. They are reveling in the information that they’re denying […]” “An Analysis of the meta-messages of denials of known events of genocide shows us that why they are getting to us so deeply is that they are also engaging in celebrations of, and calls to renewed violence.” (20)

1.5 Gefährdetes Rechtsgut

Die Bestrafung von Völkermordleugnung zielt darauf ab, das Andenken der Opfer und Überlebenden und deren Nachkommen zu schützen. Die moderne Genozidforschung betrachtet die Leugnung als Bestandteil des Völkermords. Die Nachbereitung des Verbrechens wäre als letzte Stufe der Relativierung und Negation und ebenso als Teil des Verbrechens anzusehen (21).

“Indeed, denial may be thought as the last stage of genocide, one that continues into the present. A kind of double killing takes place: first the physical deed, followed by the destruction of remembrance of the deed.” (22)

Die Leugner eines Völkermords machen sie sich zu Komplizen dieser Verbrechen, und tragen zur Akzeptanz und Wiederholung von Völkermorden bei, da die Leugnung das Risiko zukünftiger Völkermorde erhöht (23). In einer demokratischen Gesellschaft, die die Menschenrechte schützen will, ist daher die Strafbarkeit der Völkermordleugnung unentbehrlich: sie gehört zur Vorbeugungspolitik gegen zukünftige Völkermorde. Um ihre positive Rolle völlig spielen zu können, muss jedoch diese Strafbarkeit allgemein gelten, und nicht auf bestimmte Völkermordsfälle beschränkt bleiben. Es würde sonst gegen das Prinzip der Nicht-Diskriminierung verstoßen, wenn die Opfer bestimmter Völkermorde nicht vor der Leugnung geschützt wären.

1.6 Völkermordleugnung und Meinungsäußerungsfreiheit

Dass die Strafbarkeit der Völkermordleugnung gegen die Meinungsäußerungsfreiheit verstoßen könnte, stellt eine absurde Umkehrung der Situation dar: die Völkermordleugner, die das Andenken der Verstorbenen und die Würde ihrer Nachkommen angreifen, wollen nunmehr als Opfer einer repressiven Politik gelten. Genauso wie die Meinungsäußerungsfreiheit weder Beleidigung noch Verleumdung zulässt, rechtfertigt sie jedoch keinesfalls die Leugnung eines Völkermords. Es geht nicht um die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung, sondern um die rassistisch motivierte Verspottung und Beleidigung der Opfer des größten Verbrechens. Dass die Meinungsäußerungsfreiheit Völkermordleugner schützen sollte, stellt eine Perversion dieses Menschenrechts dar. Der Fall des Völkermordleugners Faurisson, der bis an den UN-Ausschuss für Menschenrechte appellierte, weil er strafrechtlich verfolgt wurde, belegt auf groteske Weise, dass Meinungsäußerungsfreiheit und Völkermordleugnung nichts miteinander zu tun haben.

Nach diesen allgemeinen Erläuterungen zur Völkermordleugnung soll jetzt die Rechtslage der Völkermordleugnung in mehreren europäischen Staaten dargestellt werden.

2. Länderberichte

2.1 Deutschland

Von Deutschland, das die direkte Verantwortung für die Schoah trägt, hätte man eine umfassende Strafbarkeit der Völkermordleugnung erwartet. Im Gegenteil hierzu waren die Regelungen des deutschen Strafgesetzbuchs (D-StGB) bis 1994 sehr lückenhaft, und sind bis dato unbefriedigend geblieben. Vor 1994, in Ermangelung spezieller Straftatbestände, erfasste der Bundesgerichtshof (BGH) die einfache Völkermordleugnung durch die Beleidigungsdelikte, §§ 185 ff. D-StGB, und die „qualifizierte“ Leugnung durch § 130 D-StGB (Volksverhetzung). Im Jahre 1994 wurde mit dem § 130 Abs. 3 D-StGB erstmals eine spezielle Vorschrift gegen die Völkermordleugnung eingeführt. Anlass zu dieser Reform waren einerseits die Zunahme von antisemitischen Handlungen und Äußerungen in Deutschland, und andererseits die Schwächen des bisherigen Rechts, die nach dem Deckert-Fall und seinem peinlichen Ergebnis (24) ins Zentrum der Öffentlichkeit geraten waren.

2.1.1 Die nationalsozialistischen Völkermorde

Die Leugnung des Völkermords an den Juden und an den Sinti/Roma ist seit 1994 relativ umfassend strafbar.

Nach § 130 Abs. 3 D-StGB macht sich strafbar, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Abs. 4 erweitert die Tathandlung auf Schriften. Betroffen sind mithin nur die an den Juden und an den Sinti / Roma begangenen Völkermorde.

§ 130 Abs. 3 D-StGB enthält drei Tatbestandshandlungen: Billigung, Leugnung oder Verharmlosung. Billigen bedeutet das ausdrückliche oder konkludente Gutheißen der fraglichen Handlung (25), freilich mit der Einschränkung, „dass die zustimmende Kundgebung aus sich heraus verständlich sein muss, als solche unmittelbar, ohne Deuteln, erkannt wird.“ (26) Durch die Billigung drückt der Täter seine Zustimmung zum Völkermord aus und stellt sich auf die Seite der Mörder (27). Leugnen ist das Bestreiten, In-Abrede-Stellen oder Verneinen der historischen Faktizität einer der unter der NS-Herrschaft begangene Tat i.S.d. § 220a StGB (28). Das Verharmlosen ist das Herunterspielen des Völkermords in tatsächlicher Hinsicht sowie das Bagatellisieren oder Relativieren in seinem Unwertgehalt. (29) Lenckner weist zu Recht darauf hin, dass die erste Variante als teilweises Leugnen verstanden werden kann, und dass die andere Variante auf derselben Ebene wie das Billigen liegt (30). Es ist daher in Einzelfällen meistens schwierig, eine klare Grenze zwischen den Tatbestandalternativen zu ziehen. Nichtsdestotrotz erlauben diese drei Tatbestandshandlungen einen breiten Anwendungsbereich, so dass jede Leugnung erfasst sein sollte; dies war wohl der Grund für die unpräzise Verfassung.

Des Weiteren muss die fragliche Handlung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören, und öffentlich oder in einer Versammlung erfolgen.

2.1.2 Andere Völkermorde

Andere Völkermorde werden nicht ausdrücklich vor einer Leugnung geschützt. Die Einführung des § 130 Abs. 3 D-StGB hat daran nichts geändert, da er ausdrücklich auf die während der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen Bezug nimmt.

Für die Leugnung anderer Völkermorde, insbesondere des Völkermords an den Armeniern, bleibt daher nur die alte Rechtsprechung offen, die auf §§ 185 ff. D-StGB beruht, mit all ihren Schwierigkeiten, vor allem die Beleidigungsfähigkeit.

2.1.2.1 Beleidigungsfähigkeit

Die Strafbarkeit der Völkermordleugnung durch die Beleidigungsdelikte wirft zuerst für Straftatbestände die Frage der Beleidigungsfähigkeit auf. Problematisch ist die Beleidigungsfähigkeit einer Personengruppe im Fall einer Kollektivbeleidigung. Nach herrschender Meinung ist eine besondere Personengruppe nur dann beleidigungsfähig, wenn die Zahl der Betroffenen klar umgrenzt ist, und wenn der Personenkreis zahlenmäßig überschaubar ist (31). Der BGH hat jedoch die Beleidigungsfähigkeit der in Deutschland lebenden Juden bejaht, da sie wegen des in der Geschichte einmaligen „ihnen vom Nationalsozialismus auferlegten Schicksals in der Allgemeinheit als eine eng umgrenzte Gruppe erscheinen.“ (32) Diese Konzeption sei jedoch nach herrschender Meinung wegen der Einmaligkeit des historischen Hintergrunds nicht verallgemeinerungsfähig. Demzufolge seien insbesondere die in Deutschland lebenden Armenier nicht beleidigungsfähig.

Das Argument der historischen Einmaligkeit ist insoweit verkehrt, als jeder Völkermord, trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten, einmalig ist. Der Völkermord an den Armeniern ist genauso einmalig wie der an den Juden oder an den Tutsis. Die Einmaligkeit kann daher nicht als Abgrenzungskriterium fungieren. Betrachtet man die Entscheidung des BGH näher, versteht man aber, dass das entscheidende Motiv das Schuldgefühl ist. Weil Deutschland die Verantwortung für den Völkermord an den Juden trägt und sich dessen bewusst ist, muss die Leugnung dieses Völkermords strafbar sein. Damals, in Ermangelung einer speziellen Vorschrift, war diese Strafbarkeit nur durch die §§ 185 ff. D-StGB realisierbar. Deshalb hatte der BGH die Beleidigungsfähigkeit der Juden als conditio sine qua non der Strafbarkeit der so genannten Auschwitzlüge bejaht. Dies war freilich nur eine Verlegenheitslösung in einem Bereich, in dem die Grenze zwischen der Rechtsdogmatik und der Politik schwer zu ziehen ist. Bezüglich des Völkermords an den Armeniern stehen wir heute vor derselben Situation. In seinem grundlegenden Beschluss vom 16. Juni 2005 (33) hat der deutsche Bundestag die historische Faktizität des Völkermords an den Armeniern durch die Türken implizit und die Mitverantwortung Deutschlands explizit anerkannt. Die bewusste Mitverantwortung Deutschlands rechtfertigt per Analogie die Annahme der Beleidigungsfähigkeit der in Deutschland Armenier.

Ein weiteres Argument zugunsten der Beleidigungsfähigkeit der Armenier wird durch die ratio legis der §§ 185 ff. D-StGB geliefert. Das 21. Strafänderungsgesetz, die die Antragserfordernisse der Beleidigungsdelikte (§ 194 ff. D-StGB) erleichterte, wollte eine Regelung schaffen, „die es erlaubt, dem Leugnen des unter Herrschaft des Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft begangenen Unrechts strafrechtlich zu begegnen.“ (34) Es war also das erklärte Ziel dieser Reform, nicht nur die Leugnung der Schoah unter Strafe zu stellen, sondern auch die Leugnung anderer Völkermorde. Dies geht zwingend mit der Beleidigungsfähigkeit der Opfer einher.

2.1.2.2 Beleidigung

Geht man also von der Beleidigungsfähigkeit der Armenier aus, so kommt zunächst die Beleidigung nach § 185 D-StGB in Betracht. Eine Beleidigung ist eine Äußerung von Missachtung oder Nichtachtung in dem spezifischen Sinn, dass dem Betroffenen der sittliche, personale oder soziale Geltungswert durch das Zuschreiben negativer Qualitäten ganz oder teilweise abgesprochen wird (35).

In einem Urteil vom 15. März 1994 sah der BGH die Beleidigung darin, dass das Verfolgungsschicksal der betroffenen Juden, welches Teil ihrer Persönlichkeit ist, verächtlich gemacht wurde (durch folgende Ausdrücke: „Gaskammermythos“, „astronomische Zahlen“; die Behauptung, die Opfer-Zahlen seien „lächerlich“) (36). Der BGH verlangt daher mehr als eine bloße Leugnung („es gab keinen Völkermord“): Erforderlich ist eine Leugnung des Völkermords, die gleichzeitig die Opfer verächtlich macht, mit anderen Worten eine qualifizierte Leugnung. Diese Voraussetzung ist beispielsweise durchaus erfüllt, wenn es behauptet wird, dass es keine „Massaker“ an den Armeniern gab und dass vielmehr die Armenier Millionen von Türken ermordet hätten, oder dass die Geschichte des Völkermords nur eine Dichtung ist, von Armeniern erfunden, um Geld zu verdienen oder der sonst von Assimilation bedrohten Diaspora eine Identität zu stiften, dass die Armenier aus den genannten unlauteren Motiven eine regelrechte „Genozidindustrie“ betreiben, dass die historischen revolutionären Parteien Daschnakzutjun und Hntschak an der Wende zum 20. Jahrhundert skrupellos Massaker provoziert hätten, um Europa zu Interventionen im Osmanischen Reich zu treiben, dass die armenische Bevölkerung des Osmanischen Reiches illoyal war und Landesverrat beging und ähnliches mehr. Wer die historische Faktizität eines wissenschaftlich fortgesetzt bewiesenen Völkermords leugnet, der zudem von derzeit neunzehn Staaten ausdrücklich und vom Bundestag implizit als solcher anerkannt wurde, und wer die Völkermordopfer als Lügner darstellt, der macht sie dabei verächtlich (37). Die „qualifizierte“ Leugnung bildet daher zweifellos eine Beleidigung, die einfache Leugnung des Völkermords an den Armeniern oder an den Juden jedoch nicht (38).

Problematisch bei der Beleidigung ist allerdings die Frage, ob Nachgeborene Beleidigungsopfer sein können. Dies wurde vom BGH für die jüdischen Nachgeborenen bejaht: Der BGH betrachtet das Leugnen der NS-Judenmorde als eine Beleidigung der Menschen jüdischer Abstammung, die „im Dritten Reich“ verfolgt wurden oder verfolgt worden wären, wenn sie damals schon gelebt hätten (39). Diese Rechtsprechung wurde aber von der Literatur stark kritisiert (40), und vom BGH, in Ermangelung von relevanten Fällen, nie wiederholt. Ob die armenischen Nachkommen der Völkermordopfer Beleidigungsopfer einer Leugnung sein können, ist somit eher unwahrscheinlich, aber im Grundsatz doch möglich.

2.1.2.3 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

Die Völkermordleugnung könnte des Weiteren unter der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nach § 189 D-StGB subsumiert werden. § 189 D-StGB schützt ausschließlich die Verstorbenen durch ein gegenüber der Ehre eingeschränktes und entsprechend verändertes Persönlichkeitsrecht eigener Art, das in der postmortalen Respektierung eines Kernbereichs dessen besteht, was den Verstorbenen in seinem Leben ausmachte und prägte (41). Im Unterschied zum § 185 D-StGB beschränkt sich demzufolge § 189 D-StGB auf die Opfer des jeweiligen Völkermords (42), und nicht auf deren Nachkommen.

Das Verunglimpfen kann durch Beleidigung (§185 D-StGB), üble Nachrede (§186 D-StGB) oder Verleumdung (§ 187 D-StGB) begangen werden, setzt aber eine besonders schwere Kränkung voraus (43). Nach überwiegender Ansicht in der Literatur erfasst § 189 D-StGB ebenso wenig wie § 185 D-StGB das bloße In-Abrede-Stellen eines besonders schweren Schicksals (44). In seinem Urteil vom 15. März 1994 betrachtete trotzdem der BGH die Leugnung der Schoah als eine Verletzung des Schutzbereichs des § 189 StGB. Der BGH vertritt die Meinung, dass die besonderen Umstände des Todes eines Menschen Bestandteil seiner Würde sein können. Die Ermordung der Juden in den Gaskammern der Konzentrationslager, ohne persönliche Schuld, allein aufgrund ihrer Abstammung, durch staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen auf grausame Weise hat ihre Würde und damit zugleich und unmittelbar auch ihr Andenken unter den Lebenden geprägt. Der Anspruch auf Achtung jenes Schicksals wird verletzt, wenn der NS-Massenmord an den Juden als „Gaskammerlüge“, „Gaskammermythos“, „Auschwitzlüge“ oder mit ähnlichen Begriffen als bloße Erfindung abgetan und diese mit herabsetzenden Begriffen („Lüge“) negativ betont wird (45). Nach der Ansicht des BGH stellt also eine Leugnung, die die Opfer verächtlich macht, eine Verunglimpfung ihres Andenkens dar.

Vor dem Hintergrund türkischer Demonstrationen in Berlin, die auf die Leugnung des Völkermords an den Armeniern abzielten, fasste am 17. März 2006 das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg einen Beschluss (46), der einen erheblichen Fortschritt in der Bestrafung der Völkermordleugnung darstellt. Die betroffenen Demonstrationen wurden zwar erlaubt, aber unter der einschränkenden Auflage, dass in dem Aufzug weder auf Transparenten noch in Reden oder anderen Wort- oder Schriftbeiträgen ein Genozid an den Armeniern als Lüge bezeichnet werden durfte. Das OVG begründet die Auflage dadurch, dass die Behauptung, ein Genozid an der armenischen Bevölkerung im Jahre 1915 sei eine „Lüge“, strafbar ist, weil damit der objektive Tatbestand des § 189 D-StGB erfüllt ist. Zum ersten Mal wurde mithin in diesem Beschluss ein Beleidigungsdelikt bezüglich eines anderen Völkermords als der Holocaust für anwendbar erklärt.

Der Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg stellt freilich die Fortsetzung und die Erweiterung der damaligen Rechtsprechung des BGH dar. Dies ist insoweit logisch, als nach dem Wortlaut des Bundestags-Beschlusses vom 16.6.2005 die Armenier ebenfalls allein aufgrund ihrer Abstammung durch staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen ermordet wurden, sodass ihre Würde und ihr Andenken davon geprägt wurden. Das OVG ist der Meinung, dass die Bezeichnung des Völkermords an den Armeniern als Lüge, das heißt als eine wider besseres Wissen getroffene Falschbewertung historischer Vorgänge, den Anspruch der damaligen Opfer auf Achtung ihres Schicksals in besonderem Maße diskreditiert. Die Leugnung des Völkermords, die die Armenier als Lügner bzw. als Täter, und ihre Behauptung als Erfindung darstellen, verletzt demnach den Anspruch auf die Achtung dieses Schicksals und den Schutzbereich des § 189 D-StGB.

Dieser Beschluss markiert lediglich den Anfang einer Pönalisierung der Leugnung des Völkermords an den Armeniern, da er aus einer Verwaltungsgerichtsbarkeit stammt. Ob ein Strafgericht die Völkermordleugnung ebenfalls unter § 189 D-StGB subsumieren wird, steht noch dahin. Die Beschlüsse des Bundestages und des OVG Berlin-Brandenburg bilden nichtsdestotrotz die Lineamente einer Tendenz zugunsten der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern und der Bestrafung seiner Leugnung.

Zusammenfassend ist nach deutschem Recht nur die Leugnung des Völkermords an den Juden ausdrücklich strafbar. Die „qualifizierte“ Leugnung anderer Völkermorde könnte zwar durch die Anwendung der Beleidigungsdelikte strafrechtlich verfolgt werden, vor allem mit der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, dies wirft allerdings zahlreiche Fragen auf, die in Ermangelung jeder Rechtsprechung nicht mit Sicherheit beantwortet werden können. Fest steht lediglich, dass Deutschland über die Mittel zur Bestrafung der Völkermordleugnung verfügt. Ob diese angewandt werden, ist einzig eine Frage der Strafpolitik.

2.2 Frankreich

2.2.1 Der Völkermord an den Juden

Seit dem am 1.7.1972 verabschiedeten Loi Pleven sind der Aufruf zum rassistischen Hass oder zur rassistischen Diskriminierung sowie die rassistische Verleumdung und Beleidigung strafbar. Dieses Gesetz wurde am 13.7.1990 durch ein Gesetz zur Bestrafung jeder rassistischen, antisemitischen oder ausländerfeindlichen Handlung (so genanntes Loi Gayssot) verstärkt (47). Dieses Gayssot-Gesetz fügt dem Gesetz vom 29.7.1881 über die Pressefreiheit ein Art. 24bis hinzu, der besagt: Mit den im 6. Abs. des Art. 24 vorgesehenen Strafen wird bestraft, wer durch die im Art. 23 definierten Mittel die Existenz eines oder mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestreitet, wie in Art. 6 des dem Abkommen von London beigefügten Statuts des internationalen Kriegstribunal definiert, die durch die Mitglieder einer im Art. 9 dieses Abkommens als kriminell bezeichneten Organisation oder von einer von französischen oder internationalen Gerichten für schuldig erklärten Person begangen wurden.

Dieser Tatbestand blieb bisher in der Rechtsprechung auf den Völkermord an den Juden beschränkt. Wohl ist aber anzunehmen, dass er ebenfalls für die Leugnung vom ruandischen Völkermord sowie von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ex-Jugoslawien anwendbar ist, da doch einige Täter durch die ad hoc Gerichte verurteilt wurden. Eine Bestrafung der Leugnung des Völkermords an den Armeniern scheidet jedoch aus, da die Täter weder von französischen noch von internationalen Gerichten schuldig erklärt wurden.

2.2.2 Andere Völkermorde

Bei anderen Völkermorden existieren zurzeit keine strafrechtlichen Vorschriften. Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern ist demnach nicht ausdrücklich strafbar. Wer die Realität dieses Völkermords leugnet, kann jedoch zivilrechtlich haften, denn die Völkermordleugnung wird als unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 1382 Code civil qualifiziert, die einen moralischen Schaden verursacht.

In einem Interview für die Zeitung Le Monde sprach 1993 der Historiker Bernard Lewis bezüglich des Völkermords an den Armeniern von der „armenischen Version dieser Geschichte“, und bezweifelte eine absichtliche Vernichtungspolitik der osmanischen Regierung gegenüber den Armeniern. Armenische Vereine leiteten sowohl straf- als auch zivilrechtliche Verfahren gegen Lewis ein. Zivilrechtlich beruht der Anspruch auf Schadensersatz auf Art. 1382 Code civil, der eine allgemeine Haftung wegen unerlaubter Handlung vorsieht. Diese Anspruchsgrundlage wurde vor der Verabschiedungs des Gayssot-Gesetzes (1990) gegen Leugner der Schoah angewandt (48). Strafrechtlich wurde logischerweise die Klage abgewiesen, da das Gayssot-Gesetz für den Völkermord an den Armeniern nicht anwendbar ist. Zivilrechtlich wurde jedoch Bernard Lewis am 21.6.1995 vom Tribunal de Grande Instance de Paris zur Schadensersatzzahlung verurteilt. Begründet war das Urteil dadurch, dass der Historiker seine berufliche Pflicht verletzt, wenn er offensichtlich falsche Meinungen als wahrhaftig darstellt, oder wenn er die Meinungen von qualifizierten Personen nicht erwähnt; wenn der Historiker Elemente verschweigt, die seiner These widersprechen, verletzt er seine Vorsichts- und Objektivitätspflicht. Am 6. Juli 2005 wurden ebenso die Société des Encyclopédies Quid sowie die Editions Robert Laffont vom Tribunal de Grande Instance de Paris dazu verurteilt, Schadensersatz in Höhe von 1 Euro an diverse Vereine zu zahlen, da die in der Enzyklopädie Quid enthaltene Darstellung des Völkermords an den Armeniern den Grund eines moralischenSchadens für die Nachkommen der Opfer bildete.

Diese zivilrechtliche Lösung ist eher unbefriedigend, weil der Völkermordleugner damit nur zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt werden kann, ohne Strafen im richtigen Sinne, und weil nur besondere Kategorien von Völkermordleugnern, wie Historiker und Verlage, erfasst werden können. Es ist daher notwendig, den Tatbestand des Gayssot-Gesetzes zu erweitern. Nach zahlreichen gescheiterten Versuchen in dieser Richtung hat die sozialistische Gruppe (PS) an der Assemblée Nationale (Unterhaus des französischen Parlaments) für den 18. Mai 2006 eine Verhandlung über ein Gesetzprojekt angekündigt, wonach zukünftig die Leugnung des Völkermords an den Armeniern ebenfalls strafbar werden soll. Neue Entwicklungen des französischen Rechts bleiben also abzuwarten.

2.3 Die Schweiz

Anlässlich der Ratifikation des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und im Zusammenhang mit der Zunahme gewalttätiger Akte gegen Ausländer in der Schweiz (49) wurde am 18.6.1993 der Art. 261bis in das schweizerische Strafgesetzbuch (S-StGB) eingeführt. Er trat am 1.1.1995 in Kraft. Dieser Artikel zielt in erster Linie darauf ab, jedwede Rassendiskriminierung unter Strafe zu stellen. Aus diesem Grund wurde der Artikel sehr umfassend konzipiert, und zwar in fünf Absätzen. Strafbar sind unter anderen: der Aufruf zu Hass oder Diskriminierung, die Verbreitung von rassistischen Ideologien, die Diskriminierung, das Verweigern einer Leistung. Relevant für unsere Problematik ist der Abs. 4, wonach sich derjenige strafbar macht, der öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen versucht.

Dieser Straftatbestand zeichnet sich dadurch aus, dass er ganz allgemein, nicht nur für den Fall des Völkermords an den Juden, die Völkermordleugnung unter Strafe stellt, was sonst in Europa nur in Spanien der Fall ist

Rechtsgut. Die Frage nach dem Rechtsgut des Art. 261bis Abs. 4 S-StGB hat im schweizerischen Recht eine grundlegende Bedeutung. Denn der Inhalt dieses Rechtsguts bestimmt, welche Parteien legitimiert sind, eine darauf gestützte Klage zu erheben. Nach herrschender Meinung in der Literatur sowie in der Rechtsprechung ist primär die Menschenwürde geschützt, und nur sekundär der öffentliche Frieden (50). In diesem Fall wäre jede Person legitimiert, deren Würde verletzt würde, eine Klage zu erheben. Wenn umgekehrt der öffentliche Frieden als primäres bzw. einzelnes Rechtsgut angesehen wird, kann nur die Staatsanwaltschaft Klage erheben. In einer grundlegenden Entscheidung hatte sich das Bundesgericht (Oberstes Gericht in der Schweiz) für die Menschenwürde ausgesprochen. In einem Fall der Leugnung des Völkermords an den Armeniern sah jedoch das Obergericht des Kantons Bern den öffentlichen Frieden als einziges Rechtsgut an, und spricht dementsprechend die Legitimation der Privatkläger ab (51). Diese Entscheidung wurde sogar vom Bundesgericht bestätigt, das sich auf diese Weise selbst widersprach. Marcel Alexander Niggli (52) plädiert andererseits sehr überzeugend für die Menschenwürde als Rechtsgut des Art. 261bis Abs. 4 S-StGB.

Opferkreis. Gemeinsam für alle Tatbestandsformen ist die Definition des Opferkreises. Es handelt sich um eine einzelne Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion. Die Gruppen sind innerlich und äußerlich zu definieren: Sie selbst verstehen sich als anders als die anderen, und werden zudem von den übrigen Gruppen als anders empfunden (53). Rassische Gruppen, obzwar der Begriff der Rasse biologisch nicht definierbar ist, unterscheiden sich nur durch „physische“ oder „biologische“ Kriterien vom übrigen Teil der Bevölkerung, insbesondere durch die Hautfarbe oder die Abstammung (54). Der Begriff der Rasse wird typischerweise von außen zugeschrieben (55) und ist nach heutigem Verständnis herabsetzend. Eine ethnische Gruppe grenzt sich hingegen aufgrund gemeinsamer Geschichte, Sprache und Verhaltensnormen ab, wie zum Beispiel die Norddeutschen, oder die Appenzeller (56). Die Ethnie ist eher kultureller Natur und wird in der Regel von ihren Angehörigen selbst definiert. Die Mitglieder einer religiösen Gruppe weisen eine gemeinsame Glaubensrichtung auf (57). Diese Liste ist abschließend, so dass politische, geographische und nationale Gruppen nicht geschützt sind (58). Die Definition des Opferkreises bereitet bei einer Völkermordleugnung keine prinzipiellen Schwierigkeiten. Zum Beispiel die Juden, die Armenier, die Tutsis, die Roma und Sinti usf. gehören zweifellos zum Opferkreis.

Objektiver Tatbestand. Art 261bis Abs. 4 S-StGB unterscheidet nicht zwischen einfacher oder qualifizierter Leugnung. Er spricht nur von Leugnung, gröblicher Verharmlosung oder Rechtfertigung. Aufgrund der Gesetzessystematik kann allerdings nur das bloße Leugnen darunter fallen. Wenn die Äußerung zugleich eine Identifizierung mit einer rassistischen Ideologie beinhaltet oder als Propaganda eingesetzt wird, ist sie bereits nach Art 261bis Abs. 1 und 2 S-StGB strafbar. Der Begriff des Völkermords wird im Art. 264 S-StGB definiert, nach dem Muster der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung von Völkermord von 1948. Erforderlich ist, dass keine Zweifel an der historischen Faktizität des Völkermords bestehen, denn der Völkermord wird durch seine Notorietät oder Allgemeinkundigkeit bewiesen (59). Es werden jedenfalls keine Beweise während des Strafverfahrens geführt, um zu vermeiden, dass die Leugner das Gericht als öffentliche Plattform für ihre Propaganda missbrauchen. Es soll keine „Debatte“, mit allen schädlichen Konsequenzen, stattfinden (60). Welche Völkermorde „leugnungsfähig“, d.h. vor Leugnung ungeschützt sind, ist somit unklar. Der Völkermord an den Juden bedarf aufgrund der historischen Forschung zweifellos keiner Beweise. Bei anderen Völkermorden sollte man zuerst auf die in der Schweiz offiziell durchgeführten Anerkennungen zurückgreifen. Der Völkermord an den Armeniern wurde vom Nationalrat am 16.12.2003 anerkannt. Einige Städte oder Kantone wie zum Beispiel Genf haben ebenfalls auf ihrer Ebene diesen Völkermord anerkannt. In einer zweiten Etappe sollten alle Völkermorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die durch die historische Forschung mehrfach zu belegen sind, einbezogen werden. Die Literatur erwähnt neben den nationalsozialistischen Völkermorden den Völkermord an den Armeniern und die „ethnische Säuberung“ im ehemaligen Jugoslawien (61). Der Völkermord an den Tutsis sowie oppositionellen Hutu und der Genozid in Kambodscha (an ethno-religiösen Minderheiten ebenso wie an definierten sozialen Schichten der Mehrheitsbevölkerung der Khmer) können vorbehaltlos hinzugefügt werden.

Subjektiver Tatbestand. Die Handlung muss vorsätzlich begangen worden sein. Dieser Vorsatz wird mit der Formulierung „aus einem dieser Gründe“ präzisiert. Damit ist nach herrschender Meinung gemeint, dass die Leugnung wegen der Rasse, Ethnie oder Religion begangen wurde (62). Erforderlich ist mit anderen Worten ein diskriminierender Beweggrund. Dieser subjektive Tatbestand stellt den Schwachpunkt der schweizerischen Regelung dar. Denn eine Leugnung, die aus anderen Motiven erfolgen würde, etwa aus „borniertem Nationalismus“ (63), wäre nicht erfasst. Dies gilt für jeden Völkermord. Rehberg hingegen ist der Auffassung, dass mit der Formulierung „aus einem dieser Gründe“ lediglich die Leugnung rassistisch oder religiös motivierter Verbrechen gemeint sei (64). Ein Völkermord ist jedoch eo ipso rassistisch motiviert, was weitere Motive nicht ausschließt. Es wird darauf hingewiesen, dass die Leugnung eines notorischen Völkermords einerseits die Opfer und deren Nachkommen als Lügner darstellt, und andererseits als bewusster und systematischer Angriff auf die Gruppenidentität zu qualifizieren ist, wenn der Völkermord für die Identität der Gruppe wesentlich prägend war (65). Wie bereits erklärt, ist die Völkermordleugnung keine neutrale Handlung. Sie bringt stets eine gewisse Aggressivität gegenüber den Opfern zum Ausdruck. Insoweit ist die Leugnung per se rassendiskriminierend. Das Urteil des Kreisgerichtes Bern-Laupen aus dem Jahr 2001, das türkische Leugner des Völkermords an den Armeniern mangels diskriminierender Motive freigesprochen hat (66), ist deshalb ziemlich überraschend und sogar absurd: Nach seiner Logik würde es nämlich ausreichen zu sagen: „ich liebe die Juden und beachte ihre Kultur; es gab aber keinen Völkermord an ihnen“, um der Bestrafung zu entgehen. Es stellt sich daher die Frage, welche Form der Leugnung vorliegen muss, um strafrelevant zu sein. Sollte es etwa heißen „ich hasse die Juden; es gab keinen Völkermord“ oder „Juden sind ein Parasitenvolk und es gab keinen Völkermord“ (67), um strafrechtlich verfolgt zu werden? In dieser Konstellation würde jedoch eine „qualifizierte“ Leugnung vorliegen, die bereits nach Art. 261bis Abs. 1 oder 2 oder 4 1. Halbs. S-StGB strafbar ist. Nach der Gesetzesssystematik wäre dann 261bis Abs. 4 2. Halbs S-StGB überflüssig. In Umkehrschluss sollte daher ein bloßes Abstreiten der Realität eines Völkermords den Tatbestand erfüllen, sodass die angebliche Erforderlichkeit eines diskriminierenden Beweggrunds einer übereiligen Verfassung des Art. 261bis S-StGB zuzuschreiben ist.

Die schweizerische Gesetzgebung zur Völkermordleugnung ist zusammenfassend prima facie sehr progressiv. Ihre Konkretisierung bleibt jedoch, wegen des subjektiven Vorsatzes weitgehend begrenzt. Sogar hinsichtlich des Völkermords an den Juden fällt das schweizerische Recht hinter der Rechtslage anderer Rechtsordnungen (Frankreich, Deutschland, Belgien und Spanien) zurück.

2.4 Spanien

Spanien ist neben der Schweiz das Land, dessen Recht der Völkermordleugnung zumindest theoretisch am wirksamsten begegnet. Nach Art. 607 Abs. 2 Spanisches Strafgesetzbuch wird die Verbreitung durch irgendwelche Mittel von Meinungen und Doktrinen, die Völkermorde leugnen oder rechtfertigen, oder die Regime oder Institutionen zu rehabilitieren versuchen, welche Handlungen schützen, die Völkermorde herbeiführen können, durch eine Freiheitsstrafe von ein bis zwei Jahre bestraft.

Wegen ihrer offenen Formulierung ist diese Vorschrift auf jeden Fall von Völkermordleugnung anwendbar und beschränkt sich somit nicht auf die Verleugnung der Schoah. Ob diese Vorschrift in der Praxis effizient ist, kann in Ermangelung jedweder Rechtsprechungshinweise nicht an dieser Stelle besprochen werden.

2.5 Belgien

Nach dem Art. 1 des Gesetzes vom 23.3.1995 macht sich strafbar, wer unter einem der in Art. 444 Strafgesetzbuch aufgeführten Umstände den vom deutschen nationalsozialistischen Regime im zweiten Weltkrieg verübten Völkermord leugnet, gröblich verharmlost, zu rechtfertigen versucht oder billigt. Diese Vorschrift betrifft offensichtlich nur den Völkermord an den Juden. Das belgische Recht kennt zurzeit keine besonderen Vorschriften bezüglich der Leugnung anderer Völkermorde.

Am 21.4.2005 hat die Chambre des représentants (Unterhaus des belgischen Parlaments) ein Gesetzprojekt angenommen, wonach Art. 1 des Gesetzes von 1995 ersetzt werden sollte. Die neue Vorschrift hatte zum Ziel, jede Leugnung, gröbliche Verharmlosung oder Billigung eines Völkermords oder eines Verbrechens gegen die Menschheit nach der Definition des Völkerrechts zu bestrafen. Es war dennoch erforderlich, dass der Völkermord als solcher anerkannt wurde, und zwar von einem belgischen Gericht oder von einem Gericht eines anderen EU-Mitgliedstaates oder von einem internationalen Gericht, dessen Zuständigkeit von Belgien, vom Sicherheitsrat oder Generalversammlung der UNO anerkannt wurde.

Diese Voraussetzungen lagen allerdings nur beim Völkermord an den Juden vor, der bereits durch die Fassung von 1995 geschützt war, und beim Völkermord an den ruandischen Tutsis. Der Völkermord an den Armeniern, der bisher nur von der osmanisch-türkischen nationalen Gerichtsbarkeit als „Verbrechen gegen die Menschheit“ sowie nationalen Parlamenten oder internationalen Organisationen anerkannt worden war, blieb somit abermals ausgeklammert.

Diese Beschränkung des zukünftigen Straftatbestands löste heftige Debatten innerhalb des belgischen Parlaments und der Öffentlichkeit aus, und führte deshalb am 7.6.2005 zur Rücknahme des Projekts durch die belgische Justizministerin. Der Art.1 des Gesetzes von 1995 bleibt daher in seiner bisherigen Fassung bestehen; ob eine Reform dieser Vorschrift zukünftig überhaupt stattfindet wird, steht noch dahin.

3. Fazit

Diese Untersuchung der Strafbarkeit der Völkermordleugnung in Europa hat zweierlei erwiesen: Erstens wurde durch die Analyse der Methoden und Motivationen der Völkermordleugner die Notwendigkeit einer effizienten und umfassenden Bestrafung der Völkermordleugnung demonstriert. Aus der Darstellung der Rechtslage mehrerer europäischen Staaten ergab sich jedoch zweitens, dass die Völkermordleugnung nur sehr lückenhaft von Strafvorschriften erfasst wird. In Deutschland, Frankreich und Belgien wird nur die Leugnung des Völkermords an den Juden ausdrücklich unter Strafe gestellt. Die schweizerische Gesetzgebung, obwohl scheinbar sehr umfangreich, erweist sich wegen des subjektiven Straftatbestands in der Realität als mangelhaft und uneffizient. Lediglich das spanische Recht weist eine für jeden Völkermord geltende, unbeschränkte Bestrafung der Völkermordleugnung auf. Wie diese Gesetzgebung in der gerichtlichen Praxis angewandt wird, bleibt allerdings offen. Insgesamt ist eine Verbesserung der Rechtslage in fast allen Ländern zu empfehlen, anhand einer Erweiterung der bestehenden Strafvorschriften, etwa nach dem spanischen Modell.


Literatur: Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt am Main 1958; Beisel, Daniel: Die Strafbarkeit der Auschwitzlüge – Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des neuen § 130 StGB, NJW 1995, 997-1001; Bogdanor, Paul: Chomsky’s Genocide Denial, <a href="redirect.jsp?url=http://www.paulbogdanor.com/review-atc.html;" target="_blank">http://www.paulbogdanor.com/review-atc.html;</a> Charny, Israel: L’intolérable perversion des universitaires négateurs du génocide arménien ou de l’holocauste, Revue du monde arménien moderne et contemporain 3 (1997), 123-141; Charny, Israel: Preserving a Genuine Sense of Tragedy and Moral Outrage About All Genocides, Columbia University; Charny, Israel (Hrsg.), Encyclopedia of Genocide, Santa Barbara/Denver/Oxford 1999; Chomsky, Noam / Herman, Edward: After the Cataclysm: The Political Economy of Human Rights, Volume II, South End Press, 1979; Fresco, Nadine, Les redresseurs de morts, Les Temps Modernes, 1980; Hovannisian, Richard G. (Hrsg.), Remembrance and Denial: the Case of the Armenian Genocide, Detroit 1999; Niggli, Marcel Alexander: Rassendiskriminierung, Ein Kommentar zu Art. 261bis StGB und Art. 171c MStG, mit Rücksicht auf das „Übereinkommen vom 21. Dezember 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ und die entsprechenden Regelungen anderer Unterzeichnerstaaten, Zürich 1996; Ergänzungsband zu diesem Kommentar: Rassendiskriminierung, Gerichtspraxis zu Art. 261bis StGB – Analyse, Gutachten und Dokumentation der Gerichtspraxis 1995-1998, Zürich 1999; Schönke/Schröder: Strafgesetzbuch, Kommentar, 26 Aufl., München; Stratenwerth: Schweizerisches Strafrecht BT II, 5. Aufl., Bern 2001; Ternon, Yves: Enquête sur la négation d’un génocide, Marseille 1989; Ternon, Yves: L’Etat criminel. Les génocides au XXe siècle, Paris 1995; Ternon, Yves: Historique du négationnisme, Revue du monde arménien moderne et contemporain 3 (1997), 85-97; Ternon, Yves: Du négationnisme, Mémoire et tabou, Paris 1999; Ternon, Yves: Négationnisme, règles générales et cas particuliers, in: Boustany/Dormoy (Hrsg.): Génocide(s), Bruxelles 1999; Vidal-Naquet, Pierre: Un Eichmann de papier, Esprit, 1980; Vidal-Naquet, Pierre: Les Assassins de la mémoire, Paris, 1987; Wandres, Thomas: Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, Berlin 2000.




Das Polizeiverbot türkischer Nationalistenaufzüge und seine Auswirkungen auf die Strafbarkeit der Genozidleugnung

Beschluss OVG Berlin-Brandenburg (88 kb )
Beschluss Verwaltungsgericht Berlin (99 kb )
Zur Strafbarkeit der Völkermordleugnung (120 kb )