Dir Dummheit des Nationalismus
Die Dummheit des Nationalismus
Mit ihrer feindlichen Haltung zu den Kurden schadet die Türkei ihren Interessen in der Region - Debatte
von Zafer Senocak
Die Wahlen im Irak haben die Kurden als zweitstärkste politische Kraft des Landes bestätigt. Eine formale Unabhängigkeit der Kurden im Nordirak scheint möglich. Die meisten Kurden würden einen eigenen Staat begrüßen, statt sich mit den zerstrittenen Sunniten und Schiiten des Irak um die Macht in Bagdad zu streiten. Immerhin auch haben sich relativ stabile Verhältnisse im Autonomiegebiet herausgebildet. Es gibt sogar einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung. Doch den Kurden wird das Selbstbestimmungsrecht von den Nachbarstaaten, vor allem von der Türkei, verweigert.
Die Geschichte der türkischen Republik, in der 15 bis 20 Millionen Kurden leben, ist aus deren Sicht eine der blutigen Unterdrückung. Schon zur Zeit des Staatsgründers Mustafa Kemal wurden mit dem Vorwand, Aufstände niederschlagen zu müssen, Tausende von Kurden massakriert, Hunderttausende in den Westen des Landes deportiert. Nach dem Militärputsch 1980 wurde sogar der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprachen untersagt. Der Guerillakrieg der PKK hätte ohne die Repressalien gegenüber der Bevölkerung kaum einen Nährboden gefunden, und die Türkei wurde wegen ihrer starrsinnigen und menschenfeindlichen Kurdenpolitik auch wirtschaftlich weit zurückgeworfen.
Es ist bemerkenswert: Die Türkei agiert seit geraumer Zeit als Schutzmacht der Turkmenen im Irak, steht aber den Kurden und deren Interessen distanziert bis feindlich gegenüber - die Turkmenen sind ethnisch gesehen Türken, die Kurden nicht. Dies sagt viel aus über das Selbstverständnis des türkischen Staates.
Die Regierung und die türkische Öffentlichkeit ignorieren nach wie vor, daß mindestens ein Fünftel der Bevölkerung ihres Landes Kurden sind. Mit dieser fatalen Haltung, die für die Zukunft der türkischen Republik nichts Gutes verheißt, schadet Ankara vor allem seinen eigenen Interessen. Denn wenn die Türkei ein entspanntes Verhältnis zu den Kurden im Inneren hätte, so könnte sie von einer kurdischen Unabhängigkeit im Nordirak sogar stark profitieren. Ein säkulares und demokratisches Gemeinwesen der Kurden könnte zusammen mit der Türkei eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der ganzen Region spielen, in der die Türkei bislang von undemokratisch und autoritär regierten Staaten umgeben ist. Kurdistan könnte auch ein wichtiger Handelspartner und wegen der reichen Ölvorkommen ein zuverlässiger Energielieferant für die Türkei sein, bliebe aber zugleich wegen seiner geographischen Lage auf die türkischen Häfen am Mittelmeer angewiesen. Welche irrationalen Sichtweisen verhindern eigentlich, daß zwei Völker, Türken und Kurden, die sich so nahe und ähnlich sind und jahrhundertelang friedlich zusammengelebt und enge verwandtschaftliche Beziehungen aufgebaut haben, heute ihre gemeinsamen Interessen wahrnehmen können?
Im Zuge der Annäherung an Europa hat sich die Türkei zu einigen Reformen bewegen lassen, die bislang entweder nur auf dem Papier stehen oder aber kosmetisch anmuten wie etwa die halbe Kurdisch im Fernsehen. Als kurz vor der Brüsseler Entscheidung über EU-Beitrittsverhandlungen einige kurdische Politiker und Intellektuelle Anzeigen in europäischen Zeitungen schalteten und forderten, den Kurden in der Türkei sollten die gleichen Rechte eingeräumt werden wie den Türken auf Zypern, da gab es einen Aufschrei in der Türkei. Damit seien die Kurden zu weit gegangen, hieß es fast einstimmig in der türkischen Presse, und der Innenminister erklärte, der Fall würde untersucht. Es scheint in der Türkei eben immer noch ein Fall für kriminalistische Untersuchungen zu sein, wenn Kurden ihre Meinung äußern
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