Renaissance des Geistes
Auch in der islamischen Geschichte gibt es Vorbilder für einen neuen, emanzipatorischen Ansatz. So liegt beispielsweise die gesamte mystische Interpretation des Islam brach, wie ihn der einflußreiche Denker Mawlana Dschalaleddin Rumi im 13. Jahrhundert ausgearbeitet hat. Die deutsche Orientalistin Annemarie Schimmel hat diesem außergewöhnlichen Denker auch in deutscher Sprache ein Denkmal gesetzt. Übrigens hat diese mystische Tradition auch Musik und Poesie von eindringlicher Schönheit hervorgebracht. Auch die rationalistischen und metaphysischen Denkschulen Andalusiens, die von Denkern wie Ibn Rushd oder Ibn Arabi vertreten wurden, sind heute in Vergessenheit geraten. Dabei waren diese Denker auch bedeutende Inspirationsquellen für die europäische Renaissance. Im toleranten, geistig anregenden Klima des muslimisch beherrschten Spanien konnte sich auch das jüdische Denken relativ frei entfalten und Dichter wie Ibn Gabirol, Jehuda Halevi, dessen Werk von Franz Rosenzweig kongenial ins Deutsche übersetzt worden ist, oder den großen Philosophen Maimonides hervorbringen.
Heute wird der Schlüssel für eine islamische Renaissance gesucht. Das muß keinesfalls eine vergebliche Suche sein, wenn man bereit ist, die gesamte muslimische Geistesgeschichte, die verschiedenen Kulturen, die sie beeinflußt haben, darunter die griechische Antike, die Kulturen Persiens und Indiens und nicht nur Fragmente daraus aktiv zu nutzen. Eine kritische, wissenschaftlich fundierte Betrachtung der Geistesgeschichte ist Ausgangspunkt jeder kreativen Erneuerung.
Der Islam braucht geistige Leitfiguren, die auch etwas anderes schaffen als die Regeln der Scharia nachzubeten. Er braucht musische, den Künsten und der Philosophie zugeneigte Interpreten. Vielleicht braucht er ein geistiges Oberhaupt, das Aktbilder malen kann. So wie es ihn ja schon einmal gegeben hat, vor achtzig Jahren.
Von Zafer Senocak
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