Einzelnen Beitrag anzeigen
  #5288  
Alt 05.04.2005, 11:26
Benutzerbild von xxabuzerkadayifx
xxabuzerkadayifx xxabuzerkadayifx ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 06.05.2008
Beiträge: 0
Standard o.T.

Völkermordleugnung als Demokratisierungshindernis in der Türkei

oder

Gerechtigkeit bringt Demokratie!

Ich bin eine Journalistin aus der Türkei; mit TIS Herkunft, von der Tätergesellschaft, soweit ich es herausfinden konnte. Aber im „Türkish Forum“ im Web beschrieb man mich als „Armenier-Bewundererin Yelda“. Den Kurdischen Leader Öcalan nannte man in der Türkei „Armenischer Apo“. Jetzt ist die Türkei sehr unzufrieden mit der Befreiung der Kurden in Südkurdistan und sagt man Barzani sei ein „Jude“. Orhan Pamuk, der türkischer Autor, sei ein Jude, weil er sagte, wir hätten 30 tausend Kurden und 1 Millionen Armenier getötet. Und in einer Webgruppe, in der auch ich für den Dialog und die Solidarität mit den Überlebenden des Genozides teilnahm, wurde ich als Jüdin beschuldigt. Dort versuchen die türkischen Mitglieder zusammen mit einem Armenier und einem Assyrer jetzt die Juden als Mittäter, sogar als Haupttäter darzustellen. Weil ich diese antisemitischen Behauptungen abgelehnt habe, wurde ich eine Jüdin genannt. Na gut, gerne.

Als ich in der Türkei war und schrieb, war mein Ziel, meine Landsleute überzeugen, dass es uns Demokratie bringt, wenn wir unsere historische Verantwortung (von unserer Seite begangene Völkermord an den Armeniern) anerkennen, sich entschuldigen. Aber nun beschäftigt mich mehr diese Frage: Wenn die Täternachfolge mit dem Schuld ganz gut umgeht, und kein Problem mit der Undemokratie. Was dann?

Erst möchte ich einen Überblick von gestern bis heute geben:

Diejenigen, die sich wegen 1915 nicht verantworten mussten, mussten sich auch in folgenden Jahren nicht verantworten. Was hat das Siegersein der Täter gebracht: Alle 20 Jahre Pogrome, Staatliche Enteignung der Häuser und Geschäfte, Besteuerung nach Rassen, Zwangsarbeit in Lagern, Sondermilitärdienst, inzwischen mehrere Militär Putsch, Hinrichtungen, systematische Folter, Zypern-Besatzung…

Und was man verliert, das bleibt verloren, es gibt keinerlei Entschädigung.

Der Lausanner Vertrag Paragraph 37. bis 44. regelt die Rechte der Minderheiten. Juden, Armeniern und Griechen gelten als Minderheiten, aber gleichzeitig halten sie als Austauschmaterial in der Außenpolitik her, beispielsweise als Geiseln: Türkische Botschaft: "Die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland basieren auf dem Lausanne-Vertrag aus dem Jahr 1923, der eine Balance von Rechten und Pflichten beider Partner schuf. Die Probleme entstehen im Wesentlichen aus den Versuchen Griechenlands, diese empfindliche Balance zu unterminieren." (Zeitschrift „Gegenstandpunkt“)

Die Außenbeziehung der Türkei mit Griechenland, Armenien und Israel spielt eine wichtige Rolle. Sogar auch ohne Konsequenz: Wenn in Griechenland die Muslime keine Moschee am See bauen durften, durften die Juden in der Türkei keine Synagoge bauen...

Es gab und gibt noch andere religiöse und/oder ethnische Gruppen, die ein solches vertraglich zugesichertes Recht nicht besitzen. Aramäer/Assyrer, Chaldäer, Yeziden u.a.

Wie ist die aktuelle Lage, die Situation der Nichtmuslimen: Seit dem Völkermord wurde keine einzige Kirche gebaut, vorhandene dürfen nicht repariert werden, sie wurden geplündert oder zur Moschee umgewandelt. Um in der Türkei in Frieden leben zu können, versuchen Nichtmuslime Moscheenbauen zu finanzieren, die als „freiwillige Spenden“ gelten.

Als die Griechen letzte Weihnacht nach ihrer Tradition versuchten, ein Holzkreuz aus dem Meer zuholen, wurden sie von einer Gruppe gestört: „Hier ist die Türkei“ schrieen Protestierende. (7. Januar 2005)

Diese Bedrohung existiert immer noch und sehr stark.

Nachdem eine Nachricht in der armenischen Zeitung Agos über die Armenische Herkunft von Atatürks Adoptivtochter veröffentlicht wurde, bedrohte man den Herausgeber Hrant Dink: „Entweder musst Du die Türken lieben oder weg von hier!“ – Immer noch üblich: Vertreibung aus der eigenen Heimat. (2004) Trotzdem, oder gerade deswegen ist er Befürworter des EU-Beitritts der Türkei. Immerhin sind die Minderheiten in der Türkei immer noch besonders schutzbedürftig.
In Harput gab es Hochschulen, in Van Operaufführungen; heute könnten wir uns das gar nicht vorstellen. Wenn die Armenier in diesem Land leben könnten, würde die EU um die Mitgliedschaft unseres Landes bitten, sagt Dink. Genozis heißt nicht nur Vernichtung der Menschen, sondern z.B. auch die Zerstörung des Kulturerbes.

In diesem Gebiet dürfen auch heute noch Kurden nicht friedlich leben. 3 tausend kurdische Dörfer wurden von der türkischen Armee niedergebrannt, über 3 Millionen Kurden wurden vertrieben.

Nachdem der Vorstandsvorsitzender der Gedikpasa Armenisch-Protestantischen Kirche Kirkor Agabaloglu in einer Radiosendung (Umut- 24. Dezember 1997) erklärte wie das Eigentum seines Vereins seitens der Generalleitung der Vereine beschlagnahmt wurde, wurde mit dem Vorwurf des „das Türkisch sein und die Republik über medialen Weg beleidigen und verhöhn zu wollen“ Anklage erhoben und eine Gefängnisstrafe von 1 bis 6 Jahren gefordert. Dies zeigt wie –in geschichtlicher Kontinuität – mit Minderheiten umgegangen wird, die versuchen ihre erlebten Probleme in die Öffentlichkeit zu tragen.

Dem Journalisten und Verleger Ragip Zarakolu wurde aufgrund des im September veröffentlichen Buches vom englischen Schriftsteller armenischer Abstammung George Jerjian "Die Wahrheit wird uns frei sprechen/Der Frieden der Armenier und Türken“ eine Verfahren angehängt. Die erste Sitzung findet am 16. März statt und die Anklage lautet: "Das Land beleidigen und verhöhnen, sowie die Beleidigung des Erbes von Atatürk“