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Alt 05.04.2005, 00:25
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Standard Der leidende Papst imponiert?

Der leidende Papst imponiert?

? aber darf das Leiden selbst zum Maß aller Dinge werden. Das wäre eine merkwürdige Theologie


Es müsste schon ein kalter Stockfisch sein, der vom Leiden des hinfälligen Papstes Johannes Paul II. nicht angerührt wird. Wahrscheinlich werden auch viele Nicht-Gläubige, sogar richtige Atheisten von dieser durchaus moralischen Gestalt beeindruckt. Man muss im Übrigen kein Atheist sein, um bestimmte Auffassungen dieses Papstes und seiner Kurie abzulehnen, obwohl es dann mit billiger Abwehr allein nicht getan sein kann. Wie auch immer: Dass hier jemand seinen Dienst bis zuletzt tun will, hat einen hohen symbolischen Wert in einer Zeit, die von beidem gekennzeichnet ist ? von dem Wunsch vieler Menschen, möglichst bald in den Vorruhestand zu gehen, und von der Tatsache, dass viele Menschen gar nicht so lange arbeiten dürfen, wie sie wollen; wenn sie denn überhaupt eine Arbeit oder ein Amt finden.

Dies alles vorausgeschickt, finde ich in der ?Dienstauffassung? aber auch einige beklemmende, ja theologisch sogar richtiggehend bedenkliche Elemente. Aus manchen Äußerungen des Papstes höre ich heraus, dass die christliche Existenz überhaupt erst im Leiden zu ihrem Wesenskern komme. Dafür kann ich in meinem Neuen Testament keinen Anhaltspunkt finden. Dort finde ich zwar zwei wichtige Hinweise. Der erste Hinweis lautet: Ein Christ muss um der Wahrheit willen, aus der er lebt, unter Umständen Leid und Verfolgung in Kauf nehmen. Erst recht aber hat er ? gegebenenfalls! ? eher darunter zu leiden, dass andere seine Wahrheit nicht hören wollen. Keinesfalls hat er das Recht, anderen um seiner eigenen Wahrheit willen Leid zuzufügen, etwa als Selbstmordattentäter; oder wie in der christlichen Kirchengeschichte als Zwangsmissionar mit Feuer und Schwert. Der zweite Hinweis ist dieser: Sollte der Christ, als welchen Gründen auch immer, in Leid und Schmerz fallen, soll dies für ihn kein Grund sein, deshalb seinem Glauben untreu zu werden.

Beide Hinweise aber sind keinesfalls so zu lesen, als habe der Christ, gewissermaßen um jeden Preis und freudig, das Leiden regelrecht aufzusuchen. Das steht in meiner Bibel nicht.

Nun sagt man dem Papste nach, er trage seine physischen Leiden dergestalt in der Nachfolge Christi, dass er ? angesprochen auf die Möglichkeit eines Amtsverzichtes ? geantwortet habe, auch Jesus sei ja nicht vom Kreuz gestiegen.

Bei allem tiefen Respekt vor der Person des Papstes und seinem mir als Protestanten fremden Amtes: Hier scheint sich diese Leidens-Theologie einer nahezu häretischen Verwechslung zu nähern, und zwar doppelt. Die eine Verwechslung: Man darf doch wohl kaum die Situation, in der jemand lieber leiden soll, als seinen Glauben gegenüber Widersachern (Nazi-Schergen, kommunistischen Diktatoren?) zu verleugnen, verwechseln mit der Frage, wie lange man ein Amt unter physischen Leiden tragen soll, also unter Leiden, welche die Frage nach der Glaubenstreue nicht entfernt berühren. Ein Papst, der dem Schwund seiner körperlichen Kräfte resignierend nachgibt, wird doch weder seinem Glauben noch seinem Amte untreu. Im Gegenteil, es könnte sogar die Treue gegenüber einem Amt gebieten, dass es alsbald von jemandem wahrgenommen wird, der die Kraft dazu hat.

Die andere Verwechslung: Die Nachfolge Christi in seinem Geiste darf doch wohl auch von seinem ?Stellvertreter auf Erden? ? so das römisch-katholische Verständnis des Petrusamtes ? nicht so verstanden werden, dass damit der Stellvertreter mit dem in Eins gesetzt wird, den er vertreten soll. Da bleibt doch eine unüberbrückbare Differenz. Zumal das Leiden Christi, das Menschenopfer, ja den Zwang zum religiösen Menschenopfer ein für allemal ultimativ überwinden sollte.

Es bleibt auf dieser Welt genug Leiden ? hinzunehmen und zu überwinden. Muss man es, das ist die bohrende Frage angesichts des leidenden Papstes, herausfordern und theologisch geradezu zum Selbstzweck stilisieren?


Quelle: zeit.de / Von Robert Leicht