Komm, komm wieder, komm

Komm, komm wieder, komm

Der Ruf Komm, komm wieder, komm von Mevlana Cellaleddin Rumi hat die Offenheit und die Versöhnungsbereitschaft der islamischen Gesellschaft zu Zeiten des Osmanischen Reiches geprägt.

Leider scheint es in der gegenwärtigen Türkei in Vergessenheit zu geraten. “ Komm, komm wieder, komm …… seiest Du auch ein Ungläubiger, oder Götzenverehrer ein Feueranbeter, oder Christ. Hinter unserer Pforte wohnt nicht die Hoffnungslosigkeit; und hast Du hundert Mal geschworen und Deine Eide gebrochen, komm, komm wieder, komm……….“ Diese Worte stehen seit nunmehr über 700 Jahren als Fries an der Wandoberkante der Mevalan-Moschee in Konya. Diese Worte sagen viel über das Wesen des Mevlevi-Weges aus. Sie weisen unter anderem auf die große Toleranz und das noch größere Gottvertrauen dieses Weges hin.

Der Weg der Mevlevi ist ein sehr langsamer. Es werden niemandem Erleuchtung oder besondere übernatürliche Wunder versprochen. Es ist ein sehr einfacher Weg, der von jedem Menschen gegangen werden kann, denn er setzt genau dort an, wo der Mensch sich gerade befindet.

Spiritueller Ruf: Komm, komm wieder, komm

Das oberste Ziel ist es, leer zu werden von allem, was nicht Gott entspricht. Leer zu werden wie die Ney, die Rohrflöte. Die Ney ist das Symbol des Derwisch. Sie besteht aus einem Bambusrohr, das mit einem glühenden Eisen durchbohrt wird. Sie ist völlig hohl und leer. Die Schwingung erzeugt ausschließlich der Atem des Musikers. Sie hat einen sehr sehnsüchtigen, klagenden Klang, der den Menschen an seine Urheimat im Schoße Gottes erinnert. Hz.Mevlana hat ihr die ersten Zeilen seines berühmten Mesnevi gewidmet. Die ersten 18 Doppelverse werden daher das Rohrflötenlied genannt. Sie stehen wegen ihres geheimnisvollen Ursprungs in besonderem Ansehen. Erst wenn der Mensch leer wird, wie das Rohr der Flöte, kann der Atem Gottes durch ihn hindurch strömen und seine Seele zum Schwingen bringen. Jedes Glied, jede Pore des Menschen ruft dann HU. (Gott, wörtl. Er). Erst wenn der Mensch leer von allem ist, was nicht seinem Sein entspricht, wird seine Seele zu singen beginnen und in den Lobpreis Gottes einstimmen. Aber dieser Lobpreis ist dann kein bloßes Lippenbekenntnis mehr, sondern ein Lobpreis des ganzen Wesens eines Menschen, dessen Handlungen zum Lobpreis werden, dessen Liebesfeuer ihn so brennend und so trunken macht, dass er ganz und gar zum Zeugnis Gottes wird. Der Atem Gottes bläst durch ihn wie der Atem des Musikers durch die Ney. Damit dies aber kein angelesenes Wissen bleibt, ist es nötig den Weg selbst zu gehen um das Ziel des Brennens in der Liebe auch zu erreichen.

Liebe ist – auf einen Nenner gebracht – nichts anderes als der Drang nach Einheit. Liebe ist eine Kraft, die aus unserer inhärenten Sehnsucht nach der ursprünglichen Einheit allen Lebens entsteht. Und Islam will nichts anderes, als diese ursprüngliche Einheit anstreben, um den Zweck der Schöpfung zu erfüllen, so wie er treffend formuliert wird im Ausspruch (Hadîth qudsî): Ich war ein verborgener Schatz und sehnte Mich danach, erkannt zu werden; also erschuf Ich die Welt, auf dass Ich erkannt würde.

Gott erschuf diese Welt für den Menschen, und es ist nur durch das Menschsein, dass die Schöpfung Erlösung findet und die paradiesische Einheit wieder zustande kommt. Das Wachsen des menschlichen Bewusstseins, das Gehen auf dem „Rechten Weg“, ist der Erlösungsprozess.

Als Adam noch als „Vollkommener Mensch“ (Insan Kamil) im einheitlichen Paradies war, strahlte – so wird es im Islam überliefert – das „Licht Mohammeds“ (Nur Mohammad) aus seiner Stirn. Dieses Licht ist Ausdruck der Schönheit und Qualitäten der Wirkkräfte Gottes in dieser Welt (wilayat). Es war von Anbeginn der Zeit da und barg Inhalte des „himmlischen Korans“ (litterarisch heisst Koran „die Schrift, die Rezitation“). Der Engel Gabriel empfing dieses Licht, und durch ihn floss es weiter in Form von Eingebung – oder besser: Einverleibung – in den physischen Hz. Mohammed, der es als Botschaft in die Welt setzte und in Worte formulierte, die wiederum im offenbarten Koran zusammengefasst wurden.

Wer sensibel genug ist, wird Gottes Zeichen sehen und erkennen. Unsere psychische Verfassung, die Stimme unseres Gewissens und unser gesundheitlicher Zustand können als Zeichen erkannt werden, genau so wie unerwartete Geschehnisse oder berührende Worte eines Meisters oder Freundes. Der Mensch ist ein komplexes Wesen und in Berührung mit und Teil aller Ebenen dieser Schöpfung. Er ist Teil der sichtbaren und der unsichtbaren Welten und ist das Medium, welches alle Ebenen der Schöpfung miteinander verbindet. Das Äussere oder Innere ausklammern zu wollen, würde eine Spaltung des Menschen als Ganzes bewirken. Wer meint, er könne innerlich geistige Arbeit machen und äusserlich die Dinge beim alten lassen, bringt sich in ebenso grosse Schwierigkeiten wie Geistliche, die nach rituellen Formen verlangen, welche sie innerlich nicht nachvollziehen können. Wörtlich heisst Islam Hingabe an Gott. Das Wort hat die gleiche Wurzel wie Salam, was Friede bedeutet – Hingabe an Unseren Herrn, an die Alles-Einende-Kraft, an Allah, um Frieden zu finden. Islam heisst, in Einheit und damit im Frieden sein mit unseren Wurzeln und unserem Ursprung, mit dieser Welt und mit dem Jenseits. Islam ist keine neue Religion. Islam gibt es seit Adam. Islam ist Mitgefühl, Toleranz, Geduld, Nachsicht und die gütigen Qualitäten Allahs. Islam kennt keinen Zwang. Islam ist Beispiel und Vorbild.

Mevlana & Dergahs & Derwische Mevlana Dschelaleddin Muhammed wurde am 30. September 1207 in der Stadt Balch geboren. Die Stadt Balch befindet sich heute am nördlichen Rande Afghanistans. Sie war damals (noch vor der Eroberung durch die Mongolen) ein Zentrum für Gelehrte. Die Stadt war durch ihre Moscheen, islamische Hochschulen und Paläste berühmt. Dank der Kaufleute, die sich an diesem Knotenpunkt der Seidenstrasse trafen, war die Hauptstadt damals auch wirtschaftlich entwickelt.

Im Frühling 1229, liess Mevlana – Sultanü’l-ulema mit seiner Karawane die Bewohner Karamans in Tränen zurück, um sich nach Konya zu begeben. Er hatte die Einladung des Seldschuken-Herrschers Alaeddin Keykubad angenommen, weil er glaubte, in einer Stadt wie Konya – der Hauptstadt der Seldschuken-Reiches, wo sich alle Gelehrten zu versammeln pflegten – nützlicher zu sein als in irgend einer anderen Stadt. Die kleine Karawane, die vor vielen Jahren aus der Stadt Balch ausgewandert- und von einer Stadt in die andere weiter gewandert war, sich jedoch nirgendwo niederlassen konnte, wollte nun in Konya sesshaft werden, um dort Theologie zu lehren. Trotz seiner Gelehrsamkeit war Mevlana sehr demütig und einfach. Er benahm sich sehr bescheiden gegenüber allen Menschen, unabhängig ihres Ranges und ihrer Position. Er ordnete die Menschen nicht nach jung oder alt, gläubig oder ungläubig. In Mevlanas Verhalten sah man nie Hochmut, Stolz oder Selbstgefälligkeit.

In den folgenden Jahren wurde das Mesnevi fertig geschrieben und Mevlana war müde. Seine Kindheit mit seinem Vater Sultanü’l-ulema (Sultan der Gelehrten), die Jahre der Wanderschaft in materieller und seelischer Not, dann die Ausbildungsjahre in Sam und Haleb, getrennt von seiner Familie, dann der Verlust seiner Mutter, seines Vaters und seines sehr geliebten Scheichs Seyyid Burhaneddin hatten ihn erschöpft. Zu all dem verlor er seine Herzensfreunde Schems und Selahaddin. Dazu kam die Respektlosigkeit seines eigenen Sohnes Alaeddin Celebi, die Vorwürfe gewisser Leute, die Gerüchte und zu all dem die viel Ausdauer verlangenden Beschäftigungen: das alles hatte Mevlana ermüdet. Er verbrachte seine letzten Tage sehr nachdenklich. Dieser grosse Pir zog sich in sich zurück; er fand die unendliche innere Ruhe, die er sich ersehnte, in seinem eigenen Herzen. Am Sonntag, 17. Dezember 1273 als die Sonne unterging, ging auch Mevlana, die Seelensonne, in die heilige Welt über. So schloss Mevlana in Konya, wo er während vierundvierzig Jahren gewirkt hatte, seine Augen für die vergängliche Welt.

Bis zum Jahre 1925 gab es in der Türkei die sogenannten Dergâhs wo die Aspiranten zu Derwischen ausgebildet wurden. Kemal Atatürk hat diese verboten und die Ausbildungen und Treffen finden seitdem im privaten Kreis statt. In anderen Ländern des Orients gab es diese Derghâs etwas länger, wurden aber meist auch dort verboten oder sie lösten sich auf, weil der Kontakt zum Zentrum in der Türkei zu lange Zeit unterbrochen war.

Die Ausbildung zum Mevlevi-Derwisch nennt man Cille (Tschille). Um in die Cille aufgenommen zu werden, bedurfte es, solange die Dergâhs noch funktionierten, verschiedener Vorbereitungen. Man musste sich beim zuständigen Kloster einfinden und beim Scheich die Aufnahme beantragen, der sich mit dem Aspiranten unterhielt und seine Eignung einer Vorprüfung unterzog. Von Seiten der Dergâh wurden dann Erkundigungen über diese Person eingeholt.

Waren diese dann positiv ausgefallen, wurde der Aspirant gebeten sich in der Dergâh einzufinden, wo er dann in einem besonderen Ritual die Derwischmütze aufgesetzt bekam. Dieses Ritual, das auch heute noch so praktiziert wird, nennt man: „Sikke tekbiri“, das Gebet für die Derwischmütze. Es ist die erste Initiation auf dem Wege. Durch sie wurde der Aspirant zum Mevlevi- Freund befördert. Der Freund erhielt mit dieser Initiation auch verschiedene Übungen, Gebete und Pflichten, die ihm der Scheich in das Ohr flüsterte. Er verließ dann die Dergâh aber wieder, um sich seinen Aufgaben im Leben zu widmen. Er lebte in der äußeren Welt, wie jeder andere Mensch auch. Er konnte heiraten, einen Beruf ergreifen usw. Zu bestimmten Zeiten, meist jeden Donnerstagabend, fand er sich in der Dergâh ein, um im Kreise von Derwischen und anderen Freunden Mevlanas den Abend bei Sohbet (Lehrgespräch), Salat (Gebet), Dhikr(Gottesgedenken), Sema(Derwischtanz) und Musik zu verbringen.

Sollte sich der Mevlevifreund nach einiger Zeit der Praxis entschlossen haben, ein richtiger Mevlevi-Dede werden zu wollen, teilte er dies dem Scheich mit. Der Begriff „Dede“ heißt übersetzt „Großväterchen“. Der Scheich nahm diesen Entschluss nicht sofort begeistert auf, sondern er verlangte meist dann von ihm, sich die Sache nochmals gründlich zu überlegen. Dies sollte in einer Zeit der Askese und des Fastens in völliger Zurückgezogenheit von der Welt geschehen. Auch benötigte er die Erlaubnis seiner Erziehungsberechtigten oder seiner Familienangehörigen. Es folgte dann eine Probezeit zur 1001-tägigen Dienstzeit in der Cille, deren letzten 18 Tage eine Askese in der Zelle waren. War diese nun auch erfolgreich bestanden, bekam der Derwisch, durch den Scheich, bei einem neuerlichen Gebetsritual die „Sikke“ (Mütze) aufgesetzt. Dies war die eigentliche und letzte Initiation. Der Derwisch durfte sich nun „Mevlevi-Dede“ nennen. Von nun an stand es ihm frei in der Dergâh zu bleiben, wo er dann seine Ausbildung als Musiker, Tänzer etc. weiter vertiefte, wie auch seine Kenntnisse in persischer und arabischer Literatur. Kurzum er erweiterte seine Bildung bis zur Meisterreife und Lehrbefähigung.

Ging er aber nach seinen 1001 Tagen in der Cille zurück in die Welt, konnte er einen Beruf ergreifen, heiraten und eine Familie gründen. Der letzte Tag in der Cille, der 1001. Tag war zugleich der 1.Tag der neuen Cille, der eigentlichen Cille, die das Leben ist.

Man sollte seinen Nächsten als Spiegelbild Gottes erkennen und sich ihm gegenüber auch so verhalten. Man soll sich der ganzen Schöpfung gegenüber so verhalten, denn die Schöpfung ist aus Gott hervorgegangen. Liebe und Mitgefühl mit jeder Kreatur vom Stein über die Pflanze bis zum Menschen gehören zu den Attributen des Derwischseins. Es wird das Sema und Dhikr geübt, teils zusammen in der Gemeinschaft, teils wird es täglich zu Hause praktiziert.