EU ohne Türkei nur Mittelmaß

Diese Schlussfolgerung vertritt Exkanzler Gerhard Schröder und befürwortet die schnelle Aufnahme der Türkei in die EU. Geschehe das nicht, würde sich die EU langfristig in eine fatale Abhängigkeit begeben. Gerhard Schröder merkt weiterhin in "Die Welt" an:

Die EU-Mitgliedschaft der Türkei ist für beide Seiten ein Gewinn; wirtschaftlich, politisch und kulturell. Heute gehört die Türkei schon zu den 20 größten Volkswirtschaften der Welt, und das wirtschaftliche Tempo ist rasant. Bereits in 20 bis 25 Jahren wird das Land die viert- oder fünftgrößte Wirtschaft in Europa sein und auf gleichem Niveau mit Italien oder Frankreich stehen.

Die Chance, eine solche aufstrebende Volkswirtschaft vollintegriert in der EU zu haben, müssen wir ergreifen. Auch politisch ist die Türkei sehr wichtig. Das Land liegt an der Schnittstelle zwischen Europa und dem Nahen und Mittleren Osten, es strahlt in die gesamte Region aus. Die von der EU festgelegten Beitrittskriterien zu erfüllen, heißt, unsere Wertvorstellungen und Rechtsvorschriften zu übernehmen. Hat die Türkei das einmal umgesetzt, dann wird es ein durch und durch modernes, demokratisches und rechtsstaatliches Land.

Die Türkei ist jetzt schon mit ihrer Weltoffenheit ein Vorbild für andere islamische Staaten. Ein EU-Mitgliedsstaat Türkei wird zeigen, dass es eben keinen Widerspruch zwischen Demokratie und islamisch geprägter Gesellschaft gibt.

Der Beitrittsprozess wird noch Jahre dauern, und klar ist, dass die Türkei erst beitreten wird, wenn sie alle Beitrittskriterien erfüllt. Das Beitrittsverfahren zeigt jetzt schon seine Wirkung. Die Türkei hat sich unter der Führung von Ministerpräsident Erdogan in einem Maße verändert und modernisiert, wie es sich vor zehn Jahren noch niemand in seinen kühnsten Träumen hat vorstellen können.

Die EU sowie die internationale Staatengemeinschaft sind gut beraten, diese beiden politischen Entwicklungen, aber vor allem die EU-Beitrittsverhandlungen, zu unterstützen. Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen wäre unverantwortlich; er würde innenpolitisch das Land radikalisieren und die Türkei von Europa entfremden.