Anatolen zurück in die Dörfer

Adriana Lima

Die Waschmaschine steht abholbereit im Flur. Nur noch eine Unterschrift, dann ist die Vereinbarung mit den ungeduldig wartenden Männern vom Istanbuler Ordnungsamt perfekt. Der 35-jährige Süleyman Bolat, seine Frau Ruhiye und seine drei Kinder verlassen Istanbul. Den Umzug und die Busfahrkarten zurück in die anatolische Provinz zahlt die Stadt.

Vor zwölf Jahren war Süleyman von dort aufgebrochen, um Arbeit zu suchen. Nun ist auch die Lage in Istanbul nicht besser: Seit drei Monaten ist er erneut arbeitslos. In Istanbul sehe er keine Zukunft mehr. "Ich hoffe, dass ich in meiner Heimat neu anfangen kann. Das ist ja ein kleiner Ort, wo ich viele kenne, da müsste es leichter für uns sein."

Die Flucht aus der Metropole in die Dörfer Vor dem heruntergekommenen Wohnblock im Vorort Kücükcekmece ist ein offener Lastwagen vorgefahren. Stumm trägt der 13-jährige Süheyl die Einzelteile seines Computertisches zum Wagen. Er möchte einmal Programmierer werden. Spätestens dann wird er wohl nach Istanbul zurückkehren. Das Dorf seiner Eltern am Schwarzen Meer kennt er nur aus den Ferien.

Die Stadt bezahlt nicht nur den Umzug, sondern auch drei Monatsmieten der neuen Wohnung in der Provinz. In Zeiten der Wirtschaftskrise stiegen die Umzugsanträge, sagt Kubilay Ispirden vom Istanbuler Ordnungsamt. "Vergangenes Jahr haben wir im Januar 300 Menschen die Rückkehr bezahlt. In diesem Januar haben 560 Menschen die Unterstützung beantragt."

Ein neuer Anfang in alter Umgebung Am Busbahnbahnhof von Istanbul warten die Bolats auf den Bus, der sie in ihren Heimatort Vezirköprü bringen soll – zehn Stunden Fahrt von hier. Zum Abschied sind auch die Männer vom Ordnungsamt erschienen. "Güle, Güle", sagen sie erleichtert, "Auf Wiedersehen". Die 13-Millionen-Stadt Istanbul hat fünf Einwohner weniger.

Am nächsten Morgen kommen die Bolats in Vezirköprü am Schwarzen Meer an. Die Stadt hat immerhin 20.000 Einwohner, aber Fabriken, in denen Arbeiter wie Süleyman Bolat Arbeit finden könnten, gibt es hier auch nicht. Die Bolats laufen zum Haus der Schwiegereltern. Im Erdgeschoss ist in aller Eile für die Rückkehrer Platz geschaffen worden. Auf dem Brachland vor dem Haus will Süleyman Gemüse ziehen. Das wird helfen, über die Runden zu kommen.

Istanbul lockt nicht mehr Der 13-jährige Süheyl trägt auf der Straße mit Nachbarkindern das erste Fußballspiel aus. Es sieht gut aus für die Bolats. "Morgen früh räumen wir erst einmal die Wohnung ein, der Handwerker hat ja auch ein paar Dinge zu erledigen. Na, und dann geht’s an die Arbeitssuche. Eins nach dem anderen", sagt Süleyman. Unter dem Pflaster von Istanbul liegt Gold, hieß es einmal in der Türkei. Doch das, sagen die Bolats, sei lange her.

Quelle: Deutsche Welle

Verwandte Themen