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Alt 22.12.2014, 14:58
huhusanane
 
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Standard Angst vor Vereinnahmung

Angst vor Vereinnahmung


Die Lehrer haben manchmal Angst, vereinnahmt zu werden oder in den Ruf zu geraten, zu viel Nähe zu den Schülern gleicher Herkunft zu entwickeln. Vor allem im Kontakt mit Eltern leisten Migranten-Lehrer oft unverzichtbare Dienste für die Schule. Doch kann es dabei auch zu heiklen Situationen kommen, beispielsweise wenn eine fromme muslimische Familie Vorbehalte gegen eine säkulare Lehrerin hat. Auch in deutschen Familien stoßen die Pädagogen manchmal auf Vorurteile - ein Türke oder Libanese am Pult, das ist für viele ungewohnt.

Wie die Studie zeigt, legen die Lehrer Wert darauf, dass im Unterricht Deutsch gesprochen wird. Außerhalb des Unterrichts sind sie aber bereit, in die Herkunftssprache zu wechseln, nicht zuletzt mit Eltern, die noch zu wenig Deutsch verstehen. Migranten können außerdem versuchen, das Deutsch ihrer Schüler gezielt zu verbessern; womöglich können sie sich besser einfühlen in die Hürden, an denen die Kinder beim Erlernen der deutschen Sprache hängenbleiben.

"Sprachförderung muss ein Bestandteil aller Fächer sein, nicht nur des Deutschunterrichts", sagt Maryam Anwary. Sie ist Referendarin an einem Hamburger Gymnasium und unterrichtet Englisch und Gesellschaftskunde. Sie wolle sehr gerne ein Vorbild sein, sagt sie, auch für die deutschen Schüler: "Ich brenne bei dem Thema." Anwary ist als 13-Jährige aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, sie weiß genau, wie es sich anfühlt, sich die deutsche Sprache Schritt für Schritt zu erschließen. Und immer wieder stellt sie fest, dass viele Kinder sich zwar im Alltag gut auf Deutsch unterhalten können, ihnen aber das Vokabular fehlt, mit dem sie im Unterricht vorankommen. Dabei geht es nicht nur um komplizierte Fachausdrücke und um einen anspruchsvollen Satzbau. Auch Begriffe wie "erläutern", "erklären" oder "bewerten" sind in ihrer genauen Bedeutung vielen nicht klar - mit schlimmen Folgen auch in Fächern wie Mathematik, Geschichte oder den Naturwissenschaften.

Welche Wirkung Migranten, die als Lehrer arbeiten, auf die Schüler haben, und wie erfolgreich sie Migrantenkinder fördern, darüber gibt es allerdings noch keine systematischen Daten. Die Studie der FU Berlin beschränkt sich ja zunächst auf berichtete Erfahrungen und Einstellungen der Pädagogen. Professorin Georgi ist zwar davon überzeugt, dass mehr Migranten in den Lehrerzimmern notwendig und hilfreich sind. Sie sagt aber auch, sie sehe darin "kein Allheilmittel". Ohne eine gute Aus- und Weiterbildung werden Migranten am Pult nicht viel ausrichten.

Lehrer als Brückenbauer

Deshalb sind Netzwerke wie in Berlin so wichtig - und Frauen wie Nurgül Altuntas. Die 35-Jährige hat mehrere Jahre in Wiesbaden an einer Gesamtschule Französisch und Geschichte unterrichtet. Mittlerweile bildet sie Referendare im Studienseminar aus. Altuntas sieht in den Lehrern "Brückenbauer", die jungen Pädagogen schult sie im "interkulturellen Lernen". Wie Georgi betont auch Nurgül Altuntas, dass die Kinder nicht als Anschauungsobjekte für das Thema Migration in eine bestimmte Ecke gedrängt werden dürften - zum Beispiel durch aufdringliche Fragen zum Kopftuch. Es gehe immer auch um das Hinterfragen von Vorurteilen und Klischees.

Nurgül Altuntas kam als Vierjährige nach Deutschland, ihr Vater war ein "Gastarbeiter" aus der Türkei. Manchmal wird sie als Lehrerin in ein Gespräch über ihr Privatleben verwickelt. Sie hat einen deutschen Mann geheiratet, und türkische Kinder (mitunter auch deutsche) fragen sie dann, wie ihre Eltern das denn finden. Ob sie das erlaubt haben.
Bekenntnis zum deutschen Ehemann

Man muss schon aufpassen, wie viel man von sich selbst preisgebe, sagt Nurgül Altuntas. Was ihren deutschen Mann angeht, hat sie sich bewusst dafür entschieden, davon zu erzählen. Warum sollte sie keinen Deutschen heiraten, warum sollte sie ihn verheimlichen?

Nurgül Altuntas lebt in Deutschland, sie ist die Lehrerin, und die Schüler und Referendare haben allen Grund, in ihr ein Vorbild zu sehen.


September 2010