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Alt 22.12.2014, 14:55
huhusanane
 
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Standard Lehrer mit Migrationshintergrund Mehr als nur "Türkei-Experte"

Lehrer mit Migrationshintergrund Mehr als nur "Türkei-Experte"

Es gibt zu wenige Lehrer, die eigene Erfahrungen mit Einwanderung und Integration haben - für die Schüler könnten sie ein Vorbild sein. Doch viele stoßen schnell an ihre Grenzen.

Es kann nerven, wenn man ständig in die Rolle der "Migrantin" gedrängt wird. Mengü Özhan ist ja so vieles: eine Berlinerin zum Beispiel, eine erfahrene Lehrerin und eine von den Naturwissenschaften begeisterte Frau. Die 42-Jährige möchte als fachlich versierte Pädagogin wahrgenommen werden. Doch in ihrem neuen Job ist es fast unvermeidlich, dass die Chemie- und Ethiklehrerin erst einmal wirkt wie die "Ausländerin vom Dienst".

Mengü Özhan leitet das gerade gegründete "Berliner Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund". Es soll helfen, mehr Migranten für den Lehrerberuf zu gewinnen. Die Berliner Universitäten und der Senat fördern das Projekt, Hilfe kommt auch von Stiftungen und der EU. Politiker hoffen, dass Lehrer, die das Thema Einwanderung und Integration aus der eigenen Biographie kennen, ein gutes Vorbild für die Schüler abgeben. Bundesweit sind derzeit nur ein bis zwei Prozent aller Lehrer Einwanderer oder Kinder von Einwanderern. Diese Kollegen hätten einen "Erfahrungsschatz", der in der pädagogischen Arbeit sehr wertvoll sei, sagt Mengü Özhan. Das Netzwerk will gezielt Schüler in der Oberstufe ansprechen, sie ermuntern, Lehrer zu werden, und sie dann im Studium begleiten.

In Hamburg ist ebenfalls so ein Netzwerk gegründet worden. In Nordrhein-Westfalen existiert es schon seit drei Jahren, 400 Lehrer machen dort mittlerweile mit. Seit vergangener Woche liegt nun auch eine Studie vor, die erstmals die Erfahrungen von Lehrern mit Migrationsgeschichte untersucht hat. Viola Georgi, Professorin an der Freien Universität (FU) Berlin, befragte bundesweit 200 Pädagogen, zusätzlich führte sie 60 ausführliche Interviews; die Hertie- und die Zeit-Stiftung haben die Arbeit finanziert. Wie zu erwarten, sind Lehrer, die selbst eine Migrationsgeschichte haben, sensibilisiert für sprachliche und kulturelle Unterschiede. "Sie haben einen bewussten Umgang damit - aber nicht notwendigerweise einen reflektierten", sagt Viola Georgi.

Die Wissenschaftlerin warnt davor, darauf zu vertrauen, dass Lehrer allein mit ihrer Intuition und ihren persönlichen Erfahrungen zu einer besseren Integration beitragen. Nötig seien Fortbildungen, eine "methodisch-didaktische Reflexion" und das Einbinden der Arbeit in das Curriculum. Interkulturelle Pädagogik und die Herausforderung, Konflikte zu bewältigen und Toleranz zu üben, sollen nicht nur an den Migranten in den Lehrerzimmern hängenbleiben. Es ist eine Aufgabe für das gesamte Kollegium und für alle Schüler.

Georgi hält auch wenig davon, einzelne Schüler, nur weil deren Eltern beispielsweise aus der Türkei kommen, im Unterricht in die Rolle des "Türkei-Experten" zu drängen nach dem Motto: "Mehmet, erzähl du uns mal, wie man das in der Türkei macht!" Kinder und Jugendliche sollen nicht durch Zuschreibungen überwältigt werden, es muss Raum bleiben für Differenzierungen und individuelle Identitäten.

Georgis Befragung zeigt, dass sich zwar viele Migranten, die Lehrer geworden sind, gerne als Vorbild betrachten für ihre Schüler. Sie stoßen dabei aber mitunter auch an Grenzen, wenn sie ständig in die Rolle eines Sozialarbeiters rutschen und die Kollegen sie regelmäßig um die Vermittlung bei Problemen mit Schülern bitten.