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Alt 07.07.2013, 10:31
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Standard Tayyip-Demokratie mit Fleischmesser und Stöckern

"Und über das Internet verbreitet sich ein Video im Internet – da sind vier Zivilisten zu sehen, einer mit einem Stock, ein anderer mit einem riesigen Fleischmesser. Sie kommen mit Polizisten, bedrohen und treten Passanten und Demonstranten. Ein Polizist drängt sie ab, nimmt aber das Fleischmesser nicht weg."


http://www.welt.de/politik/ausland/a...engas-ein.html

Ganzer Artikel:

06.07.13
Türkei
Polizei setzt erneut Wasserwerfer und Tränengas ein

Die Türkei kommt nicht zur Ruhe. Erneut ruft die Protestbewegung zu Demonstrationen im Istanbuler Gezi-Park auf. Und die Polizei reagiert wie gewohnt: Mit dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas. Von Boris Kálnoky
Die Polizei ging bei den Gezi-Protesten so hart vor, wie schon lange nicht mehr
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Themen

Polizei

Die Saga der türkischen Protestbewegung rund um den Istanbuler Gezipark ist um eine tragikomische Episode reicher. Nachdem ein Gericht geurteilt hatte, dass die Polizei nicht das Recht hat, den seit dem 16. Juni gewaltsam geräumten Park geschlossen zu halten, wollten Demonstranten heute den Park betreten. Sie hielten Kopien des Gerichtsbeschlusses in die Luft und forderten die Polizei auf, die "illegale" Besetzung des Parkes durch die Staatsmacht zu beenden. Denn das Urteil besagte: Ab sofort ist der Park frei zu betreten.

Gouverneur Avni Mutlu hatte ein oder zwei Tage zuvor erklärt, der Park werde geöffnet, "wenn die Proteste aufhören". Nun aber ließ er kurz vor der Demonstration wissen, er werde den Park am folgenden Tag, Sonntag öffnen. Doch um zu zeigen, wer Herr im Hause ist, verbot er die Demonstration.

Die Polizei ging mit großer Gewalt vor, Wasserwerfer und Tränengas wurden eingesetzt, noch Stunden später dauerten die Auseinandersetzungen in den Seitenstraßen des Taksim-Platzes und der großen Einkaufsmeile Istiklal an.
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Istanbul
Polizei attackiert Demonstranten mit Pfefferspray

Mehr als zehn Menschen erblindeten

In diesen engen Gassen kann es rasch noch enger werden, wenn man ins Gefechtsgetümmel gerät. Gaskanister fliegen, die Menge flieht in Panik, hinein in Hauseingänge und Treppenhäuser – denn man weiß ja, wenn die Polizisten jetzt attackieren, riskiert man auch Gummigeschosse und Festnahme.

In ein solches Haus einer Seitenstraße retten sich einige Dutzend junge Aktivisten in die Räume einer Vereinigung für Frauenrechte – welche, sei hier verschwiegen. Gas hängt in der Luft, aber hier ist es ertragbar. Ein junger Mann zieht sein T-Shirt aus und zeigt seine Wunde am Rücken – er wurde von dem getroffen, was man hier "Gummikugel" nennt. In Wahrheit sind es mit Pressluft geschossene Farbkugeln. Aber heftig genug, um einen großen, runden Blutabdruck zu hinterlassen. Wenn es ins ungeschützte Auge trifft, kann man das Auge verlieren – mehr als zehn Menschen erblindeten bei den Protesten seit Ende Mai.

Es sind Menschen wie diese Jugendlichen, Angehörige linker Aktivistengruppen, die oft in der ersten Front der Proteste stehen, manche professionell ausgerüstet mit teuren Gasmasken und Bauarbeiter-Helmen. Sie sind zugleich der Vorwand der Regierung, die Demonstranten "marginal" und "extremistisch" zu nennen.

Dichte Tränengasschwaden über Istanbul

Aber die der zumeist jungen Menschen in den Straßen sind einfach da, um ihren Unmut zu bekunden, überwiegend Jugendliche. Schwer zu sagen, wie viele es heute sind – Tausende im ganzen Viertel, vielleicht zehntausend insgesamt.

An diesem Abend geht die Polizei so hart vor wie schon lange nicht mehr. Krankenhäuser berichten von gebrochenen Nasen und Beinen; in den Seitenstraßen kommt es wieder zu zahlreichen Festnahmen. Dichte Tränengasschwaden liegen über weiten Teilen des Stadtteils Beyoglu.

Und über das Internet verbreitet sich ein Video im Internet – da sind vier Zivilisten zu sehen, einer mit einem Stock, ein anderer mit einem riesigen Fleischmesser. Sie kommen mit Polizisten, bedrohen und treten Passanten und Demonstranten. Ein Polizist drängt sie ab, nimmt aber das Fleischmesser nicht weg. Möglicherweise sind die Zivilisten örtliche Ladeninhaber, die seit Wochen über ausbleibende Einnahmen wegen der Proteste klagen.

Am Sonntag soll der Park geöffnet werden

Der absurdeste Teil der ganzen Geschichte ist jedoch, dass die gesamten Bauarbeiten am Taksim-Platz – nicht nur am umstrittenen Gezi-Park – offenbar schon am 6. Juni per Gerichtsurteil gestoppt wurden. Am 16. Juni ließ die Regierung den Park gewaltsam räumen, danach wurde frenetisch weitergebaut. Der Gerichtsbeschluss wurde erst vor einigen Tagen publik, lange nachdem er ergangen war. Die Stadtverwaltung sagte, sie habe noch keine Kopie erhalten.

Nun darf man gespannt sein, wie die Öffnung des Parks am Sonntag abläuft – sicher werden sich auch jene einfinden, die so lange für den Erhalt des Parkes demonstrierten.