SeyranGay
Das Pferd auf dem Kirchdach
Es war ein eiskalter Winter, als ich die erste Reise nach Russland antrat. Dass ich mir ausgerechnet diese Jahreszeit ausgesucht hatte, hatte einen ziemlich simplen Grund: Im Winter sind die sonst matschigen Straßen in dieser Region einfach besser zu bereisen, weil der Untergrund gefroren und fest ist. Natürlich ritt ich auf meinem guten alten Pferd, denn wer möchte im Winter eine so weite Strecke schon zu Fuß zurücklegen.
Bevor ich meine Geschichte erzähle, möchte ich euch noch einen guten Rat mit auf den Weg geben: Wenn ihr irgendwann einmal im Winter nach Russland reisen möchtet, dann zieht euch verdammt warm an. Es war nämlich fürchterlich kalt dort und ich hatte nicht die passende Kleidung für diese Reise ausgewählt. So musste ich frierend Stunde um Stunde reiten und konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.
Je länger ich aber ritt, desto dunkler wurde es. Nirgendwo war ein Licht zu sehen, nur noch öde weiße Schneelandschaft war um mich herum. Ich war so entsetzlich müde geworden und wollte einfach nur noch schlafen. Irgendwann entdeckte ich mitten im Schnee ein gemütliches Plätzchen, band mein Pferd an einem Ast an und legte mich hin. Ich schlief tief und fest in dieser Nacht - und habe wahrscheinlich wohlig geschnarcht.
Dann aber passierte etwas, dass werdet ihr sicher nicht glauben! Denn als ich am nächsten Morgen ausgeruht aufwachte, da lag ich doch tatsächlich mitten auf einem Friedhof. Stellt euch das nur einmal vor! Quicklebendig an einem solchen Ort! Außerdem war weit und breit kein Schnee mehr zu sehen. Doch meine Sorge um mich selbst war jetzt klein. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Wo ist mein Pferd? Plötzlich hörte ich ein Wiehern, blickte empor. Da hing es, mein Pferd, kopfüber an einer Kirchturmspitze.
Nun wusste ich auch, was passiert war. Nachts war der Schnee nach und nach weggeschmolzen und ich war sanft wie auf Engelsflügel zur Erde geglitten. Der Ast, an dem ich mein Pferd am Abend festgebunden hatte, war der Kirchturm des Dorfes gewesen, in dem ich mich nun befand. Ich musste nun nicht mehr lange überlegen, was ich als Nächstes tun wollte, zog meine Pistolen, die ich bei längeren Reisen immer bei mir führe, legte an, zielte und traf das Halfter des Pferdes. Augenblicklich stand mein guter alter Gaul gesund und munter neben mir. Ich schwang mich auf seinen Rücken und schon ging die Reise weiter.
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